Advance Wars 1+2 Re-Boot Camp
Normalerweise werden Spiele verschoben, weil sie nicht fertig sind. Oder weil die Weihnachtszeit lukrativer ist. Alles anders bei Advance Wars 1+2 Re-Boot Camp: Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 strich Nintendo das Strategiespiel, das im April erscheinen sollte, zunächst von allen Release-Listen. Kein historischer Einzelfall: Seine US-Weltpremiere feierte es auf dem GameBoy Advance. Am 10. September 2001. Was am nächsten Tag geschah, ist heute Geschichte. Man könnte meinen, der Start eines Advance-Wars-Spiels sei ein böses Omen …
Ein Jahr später – die Bomben fallen immer noch in Europa – ist das Kriegsspiel mit putzigen Panzern und lustiger Luftabwehr nun aber inkonsequenterweise doch da. Kann man, darf man, sollte man einen Test dazu schreiben, ohne das Spiel in seine Zeit einzuordnen? Ich meine: nein. Und trotzdem ist es, nur, ein Spiel. Ein ziemlich gutes.
83 Millionen Militärexperten
Advance Wars und der Krieg – ein Zusammenfall der Zufälle? Die Wahrheit ist wohl: Der Mensch ist einfach eine kriegslüsterne Spezies. Irgendwo tobt immer ein Krieg; meistens wegen nichts und wieder nichts. Er übt eine seltsame Faszination auf Homo "Sapiens" aus. Wo Kriegsshooter wie Call of Duty die Lust auf Action und Drama befriedigen, ist Advance Wars etwas für die feineren Seelen, die das Schlachtfeld aus sicherer Distanz beobachten. Insofern passt das Remake womöglich ziemlich gut in diese Zeit. Immerhin sind 83 Millionen deutsche Fußballtrainer nach kurzer Virologie-Umschulung nun zu Militärstrateginnen und Sicherheitsexperten avanciert und kennen sich bestens mit Rüstungsproduktion, Frontverläufen und internationaler Abschreckung aus. Advance Wars ist ein Spiel auch für sie und für alle, die das Grauen des Krieges ausblenden und seine strategisch-taktische Perspektive nüchtern rational abstrahieren können.
Vor allem ist es ein Spiel für alle, die einfach zu lernendes Taktik-Gameplay lieben, das dann immer komplexer und tiefer wird. In diesem Switch-Remake sind gleich beide GameBoy-Advance-Ableger enthalten, die inhaltlich und spielerisch eng zusammenhängen. Sie bilden daher ein natürliches Bundle mit satten 30 bis 40 Stunden Spielzeit und hohem Wiederspielwert neben der Story.
In Advance Wars übernehmen Spielerinnen und Spieler die Kontrolle über den Kommandooffizier (CO) eines Heers, das aus verschiedenen Kampfeinheiten besteht – von Panzern und Fahrzeugen über Flugzeuge bis hin zu Schiffen. In jeder Mission bewegt ihr eure Bataillone Zug um Zug über eine 2D-Lagekarte und versucht, den Gegner auszumanövrieren. Mit taktisch überlegenen Einheiten (zum Beispiel Flak gegen Hubschrauber) nutzt ihr das Momentum des Erstschlags, blockiert Brücken oder Straßen, besetzt Städte, Basen und Infrastruktur oder erobert gar das Hauptquartier des Feindes. Besonders spannend wird es auf Maps, wo Basen, Airports oder Flughäfen ins Spiel kommen, an denen die Armeen neue Einheiten produzieren können.
Wenn all diese Spielmechaniken zusammenkommen, entwickelt Advance Wars seinen ganzen Charme. Es wird dann angenehm knifflig, das Terrain vorteilhaft zu nutzen, die richtigen Einheiten in die richtigen Gefechte zu entsenden, Verluste strategisch zu kalkulieren und einen Weg zum Missionsziel zu finden. Anders als etwa Fire Emblem (ebenfalls von Entwickler Intelligent Systems) entwickelt sich Advance Wars dadurch schnell zu einem spannenden Tauziehen, bei dem mal der eine und mal der andere die Oberhand gewinnt, bis sich das Blatt wendet. Das Spiel achtet darauf, niemanden zu überfordern. Es lässt sich über mehrere Missionen hinweg Zeit, alle Mechaniken und Szenarien vorzustellen. Dazu zählen etwa der Kriegsnebel, der die Sicht auf die gegnerischen Einheiten verschleiert; oder die Talente und Spezialfähigkeiten der unterschiedlichen Kommandeure, die bestimmte Statuseffekte für alle oder einzelne Einheiten bewirken. Dieses erste Viertel des Spiels hat mitunter Tutorial-Charakter und zieht sich ein wenig; zum Glück können Veteranen bestimmte besonders explizite Einführungen überspringen.
Krieg … wie niedlich.
Das Ganze wäre kein Nintendo-Spiel, wenn es nicht superzugänglich gestaltet wäre. Nüchtern betrachtet ballern da Kampfpanzerbataillone mit einem Schuss ganze Kompanien von Fußsoldaten weg, die dann mir nichts, dir nichts vom Bildschirm fliegen. Doch dabei sieht das Ganze äußerst niedlich aus und dürfte bei niemandem Albträume auslösen; das Spiel ist sogar frei ab 6 Jahren.
Es ist dem kalifornischen Entwickler WayForward gut gelungen, das Remake ins Jahr 2023 zu holen. Animationen und kurze Filmsequenzen strahlen jetzt im hochwertigen Anime-Style und mit Voice Acting (das sich ziemlich quietschig anhört). Ansonsten ist alles etwas schärfer, detaillierter und niedlicher geworden. Das Grinsen erstarrt nur ein wenig, wenn man sich bewusst macht, wie realistisch das eigentlich alles ist: Zwei Kommandooffiziere in sicheren Zentralen spielen Schach mit ihren „Einheiten“, die doch aus hunderten Menschen bestehen. Wie sagte schon George Bernard Shaw: „Krieg ist, wenn Menschen aufeinander schießen, die sich nicht kennen, auf Befehl von Menschen, die sich wohl kennen, aber nicht aufeinander schießen.“
Rund um die Missionen von Advance Wars 1 und 2 spielt sich eine seichte Kriegsgeschichte ab, in der irgendwann jeder mal alle Grundsätze des Völkerrechts bricht. Die Rahmenstory, die in Advance Wars 2: Black Hole Rising ihre Fortsetzung findet, ist eher Träger für das strategische Gameplay; anders als bei Fire Emblem, wo mittlerweile die Geschichte die eigentlichen Gefechte zu übertönen scheint.
Im Westen wenig Neues
Bei alldem wird man mitunter die Frage nicht los, wozu es dieses Remake eigentlich gebraucht hat – und warum ein ganz neues „Switch Wars“ keine Option war. Sicher: Das Spielprinzip ist immer noch äußerst eingängig und ausgezeichnet gealtert. Die HD-Auffrischung sieht zwar moderner aus als der GBA-Pixel-Look, kommt über das Prädikat „zweckmäßig“ dennoch nicht hinaus. Einige neue Komfortfunktionen wie beschleunigte Animationen oder eine Reset-Funktion für Züge sind willkommen.
Die wohl wesentlichste Neuerung findet sich im Level-Editor, der im Prinzip unbegrenzten Content-Nachschub aus der Community der Advance-Wars-Kriegstreiber liefert. Ein gelungenes Galerie- und Sound-Archiv ist auch dabei. Außerdem ein Online-Modus, der allerdings nur Matches gegen Freunde erlaubt. Praktisch: Zu zweit, dritt oder viert könnt ihr Advance Wars lokal sogar auf nur einer Konsole spielen, indem Konsole oder Controller hin- und hergereicht werden. Oder ihr verbindet bis zu vier Systeme (und Spiele) drahtlos miteinander. Im Multiplayer-Modus gibt es auch eigene Maps mit bis zu vier Kriegsparteien, in denen ihr die Szenarien frei festlegen könnt.
FAZIT:
Soll man, kann man, darf man? Sicherlich verharmlost Advance Wars 1+2 Re-Boot Camp den Krieg auf niedlich-lapidare Weise. Aber es ist eben auch ein verdammt gutes Taktikspiel. Die spielerische Tiefe, die sich aus der Einfachheit seines Spielprinzips und der Komplexität seiner Möglichkeiten ergibt, macht einfach Spaß. Heute wie vor 22 Jahren. Spielerisch ist der Titel gut gealtert, technisch befindet er sich jetzt auf zweckmäßigem Niveau, das niemanden nachhaltig begeistern wird. Mit gleich zwei seichten Story-Kampagnen, rundenbasiertem Multiplayer und Level-Editor weiß das Spiel einige Wochen lang zu unterhalten. Wer ein (Re-)Boot-Camp als Militärstratege sucht, um in Polit-Talkshows über die weltpolitische Lage mitzukommen, sollte von diesem Spiel zwar keinen Erkenntniszuwachs erwarten, aber immerhin einige Stunden Spielspaß.
I seem to smell the stench of appeasement in the air, Herr Herrmann ;)
Wirklich etwas verbessert im vgl. zu den Original Titeln scheint man mir aber nicht zu haben, abseits von Online-Komponenten und dem bescheuertem Rewind-Button (gegnerische Züge überspringen, Kampfanimationen ausschalten, etc. und einen Level-Editor gab es schon damals) - welcher halt unnötig ist, da es in diesem Spiel keine einzigartigen Einheiten wie in Fire Emblem gibt, sondern es sich um eine reine Materialschlacht mit Namen- und gesichtslosen Kanonenfutter handelt.
Die Optik finde ich ehrlich gesagt beschämend, sieht halt aus wie das billigste Handy-Spiel. WayForwards Beteiligung erklärt natürlich irgendwo diesen westlichen Cartoon Stile. Weiß echt nicht ob Nintendo hier den Auftrag an die Richtigen vergeben hat, auch wenn ich die Shantae-Reihe mag, optisch bin ich halt Pixel-Hool und kann diesem "Indie/Mobile"-Look nichts abgewinnen.
Nichts desto trotz hoffe ich auf einen Erfolg des Re-Boot Camp und damit verbunden weiterer Remakes oder neuer Teile der Reihe. Advance Wars: Days of Ruin - der letzte und mein persönlich liebster Ableger, da dieser eine für die Reihe einzigartige Story liefert - ist vor 15 Jahren erschienen und seitdem lag die IP brach.
Zumindest zwei weitere Remake Collections mit den Japan exklusiven Famicom/SuperFamicom Wars sowie Gameboy Wars 1+2+3 würden mich sehr freuen.