Test

Hogwarts Legacy bei uns im Test

Von Jeremiah David am 14.04.2023

Am 10. Februar erschien mit Hogwarts Legacy einer der größten Titel des Jahres. Fans der allseits bekannten Bücher- und Filmereihe freuten sich natürlich riesig auf das Open-World-Abenteuer und entsprechend begehrt waren Testmuster. Publisher Warner konnte (oder wollte) uns vor dem Launch kein Exemplar zur Verfügung stellen und so widmeten wir uns zunächst kleineren Titeln. Mit etwas Verspätung haben aber nun auch wir uns eine Schuluniform übergestreift und uns im sagenumwobenen Internat Hogwarts ausgetobt. Hat sich der Ausflug in die Welt von Harry Potter und Konsorten gelohnt? Das verrät unser Test.

Hogwarts ohne Harry

Gleich vorweg: Hogwarts Legacy entführt uns Muggles zwar in die Welt von Harry Potter, spielt allerdings rund hundert Jahre vor der Geburt des berühmten Zauberlehrlings. Das Spiel lässt uns die Wahl, ob wir in die Rolle eines jungen Zauberers oder einer gleichaltrigen Hexe schlüpfen und erzählt fortan eine eigene Geschichte, die, abgesehen von dem Setting, wenig bis gar nichts mit Harry Potters Kampf gegen Lord Voldemort gemein hat und sich leicht zusammenfassen lässt: Auf dem Weg nach Hogwarts wird unsere fliegende Kutsche von einem Drachen überfallen und ein Portschlüssel führt uns und unseren Mentor, Professor Fig, in die Katakomben der Bank Gringotts. Dort treffen wir letztlich auf einen bösen Kobold namens Ranrok, der die Macht einer uralten Magie für sich beanspruchen möchte. Um ihn daran zu hindern, müssen wir in Hogwarts Zaubersprüche erlernen und die vier Prüfungen der sogenannten Hüter bestehen.

Der cineastische Beginn von Hogwarts Legacy ist absolut klasse und macht Lust auf mehr, die Story verflacht danach aber relativ schnell. J.K. Rowling war als Autorin nie an der Entwicklung von Hogwarts Legacy beteiligt und das merkt man, denn unserem selbstgebastelten Hauptcharakter ganz ohne Hintergrundgeschichte fehlt jede erzählerische Tiefe, und auch Ranrok kann Voldemort als Bösewicht nicht annähernd das Wasser reichen. Letztlich sind er und seine Koboldherden nur da, damit wir im Laufe des Spiels auf jemanden ballern dürfen (mit Zaubersprüchen natürlich). Ungeachtet dessen können die meisten Hauptmissionen jedoch trotzdem gut unterhalten, was vor allem daran liegt, dass Hogwarts Legacy reichlich Fanservice bietet. Nach unserer Ankunft in Hogwarts werden wir beispielsweise vom sprechenden Hut einem von vier Häusern zugeteilt: Gryffindor, Slytherin, Hufflepuff oder Ravenclaw. Anschließend dürfen wir nach Hogsmeade, um uns im Laden von Ollivander einen Zauberstab auszusuchen oder bei einem anderen Händler einen Besen zu besorgen.

Solche und ähnliche Szenen kennen wir aus den Büchern und Filmen und es macht einfach Spaß sie nachzuspielen. Etwas nervig ist allerdings, dass die Hauptstory ständig von mehr oder weniger langweiligen Sammelaufgaben ausgebremst wird. Für die meisten Hauptmissionen benötigen wir bestimmte Zaubersprüche, die uns verschiedene Professoren beibringen können. Die Professoren verlangen jedoch, dass wir vor dem Erlernen der Zauber stets ein paar Aufgaben für sie erledigen, und das sind in der Regel Fleißaufgaben, die im Kontext der Story gar keinen oder nur wenig Sinn machen: So müssen wir mit unserem Besen etwa an bestimmten Orten durch schwebende Luftballons fliegen, eine vorgegebene Anzahl an Gegner mit bestimmten Kombos besiegen, Tränke brauen oder Pflanzen wie Alraunen und Venemosa Tentacula züchten. Während wir uns in Spielen wie Skyrim oder The Witcher 3 gerne von erstklassig geschriebenen, optionalen Sidequests ablenken lassen, sind es hier unnötige Unterbrechungen. Immerhin gibt es in Relation zu dem Gesamtangebot an Nebenmissionen nur relativ wenige Pflichtaufgaben. Hogwarts Legacy folgt der bekannten Ubisoft-Formel und spickt die Weltkarte mit unzähligen Symbolen, die abgearbeitet werden wollen, um unseren Charakterlevel zu erhöhen. Die meisten Nebenmissionen können getrost als unspektakuläre Standardkost abgestempelt werden, wir wollen aber nicht verschweigen, dass es auch etliche lohnenswerte Sidequests gibt. Begleiten wir beispielsweise den Slytherin-Schüler Sebastian Sallow, der seine Schwester von einem Fluch befreien möchte, dürfen wir drei unverzeihliche Flüche erlernen und im Kampf gegen Ranroks Koboldbrut einsetzen.

Hex, hex!

Apropos Koboldbrut: Wenn wir nicht gerade durch Hogwarts wandern, bekämpfen wir in Lagern, dem verwunschenen Wald oder in magischen Tempelanlagen häufig Kobolde, dunkle Magier, verwunschene Ritter, Spinnen und Trolle. Die Tempelanlagen, in denen die Prüfungen der Hüter stattfinden, erinnern ein wenig an die Tempel vergangener Zelda-Spiele und sollen uns nicht nur mit Kämpfen, sondern auch mit Denksportaufgaben fordern. Schwebende Plattformen müssen verschoben und Schalter aktiviert werden, um magische Portale zu öffnen oder Durchgänge passierbar zu machen. Das ist unterhaltsam, aber nichts, was es nicht auch in dutzenden anderen Spielen gäbe. Anders verhält es sich dagegen beim ausgeklügelten Kampfsystem. Unser Zauberer oder unsere Hexe kann sich weder mit klassischen Schuss- noch Schlagwaffen zur wehr setzen, dafür aber auf eine große Auswahl Zauber zurückgreifen. Auf der PlayStation 5 werden diese mit dem rechten Trigger und den Symboltasten eingesetzt. Gegner können verbrannt, eingefroren, mit Druckwellen gestoßen, herangezogen oder durch die Luft gewirbelt werden, wobei sich jeder Zauberspruch nach der Nutzung erst wieder aufladen muss. Eine Art Standardattacke, bei der Gegner mit roten Funken beschossen werden, wird mit R1 ausgelöst und ist durchgehend verfügbar. Mit der Kreistaste weicht unser Charakter zudem gegnerischen Angriffen aus, mit der Dreieckstaste wird geblockt.

Viele Zaubersprüche sind auch außerhalb der Kämpfe nützlich. Mit dem Flammenzauber Confringo können beispielsweise nicht nur Feinde versengt, sondern auch Fackeln entfacht werden. Mit Wingardium Leviosa bewegen wir Blöcke, um an höher gelegene Stellen zu kommen. Andere Zauber sind ausschließlich außerhalb der Kämpfe einsetzbar, wie der Reparo-Zauber, mit dem Gegenstände repariert werden können, oder der Beschwörungszauber, mit dem wir im sogenannten Raum der Wünsche verschiedenste Werkbänke und andere Möbel erstellen dürfen. Insgesamt gibt es 26 Zaubersprüche und acht grundlegende Zauber, die nach und nach erlernt werden. Einzig das Erlernen der unverzeihlichen Flüche dürfen wir ablehnen. Wenn wir sie beherrschen und einsetzen, sinkt unsere Beliebtheit bei bestimmten NPCs. Das entspricht zwar den Romanen, ist aber trotzdem etwas irritierend, denn im Spiel ist es kaum nachvollziehbar wieso Avada Kedavra, Crucio oder Imperio schlimmer sein sollen, als die anderen Zaubersprüche, mit denen wir Gegner in Flammen aufgehen lassen, gegen Felsen schmettern oder in Stücke reißen.

Schnapp sie dir alle!

Abseits der Kämpfe und Missionen überhäuft uns Hogwarts Legacy mit einer gigantischen Anzahl an Herausforderungen und Sammelitems: Fliegende Buchseiten sind über Hogwarts und Hogsmeade verstreut, Tierwesen sollen zudem gefangen, Münzen und Mondsteine gesammelt, Kleidungsstücke gefunden werden. Letztere haben einen Einfluss auf unsere Gesundheits-, Verteidigungs- und Angriffswerte und sind überall in hunderten kleinen und großen Truhen zu finden. Die zunächst nur geringe Anzahl an Kleidungsstücke, die wir mit uns tragen dürfen, erhöhen wir durch das Abschließen sogenannter Merlin-Prüfungen, die in der Landschaft verstreut sind. Weil es so viele unterschiedliche Kleidungsstücke gibt, die selten zueinander passen, laufen wir vor allem während den ersten Stunden als schrecklicher Modesünder durch die Gegend, ehe wir Designs freischalten, mit denen wir unsere Optik unabhängig von den gefundenen Kleidungsstücken anpassen können.

Wer wirklich alle Items in Hogwarts Legacy finden möchte, wird problemlos über hundert Stunden beschäftigt sein. Da ist es äußerst günstig, dass die Spielewelt der eigentliche Star des Spiels ist. Hogwarts und umliegende Gebiete wurden von den Entwicklern fantastisch detailliert umgesetzt. Speziell das Schloss strotzt nur so vor Details, die sich auch noch je nach Tages- und Jahreszeit ändern. Im Herbst sind die Hallen und Korridore mit Kürbissen geschmückt, im Winter finden wir stattdessen Schneemänner und Weihnachtsbäume. Unabhängig von der Jahreszeit beeindrucken unzählige animierte Gemälde, bewegliche Treppen, Statuen, Brunnen und mehr. Da kann es schon mal vorkommen, dass uns ein paar Barden aus Gemälden ein Ständchen singen, Ritterrüstungen miteinander das Kämpfen anfangen, oder ein Geist einem Klassenkameraden die Bücher klaut. Hogwarts und Hogsmeade werden so fast zu kleinen Museen mit interaktiven Ausstellungen, und es lohnt sich einfach nur herumzustapfen, um sich den "Exponaten" zu widmen. So fällt es auch kaum ins Gewicht, dass die NPCs im Vergleich mit ihrer Umwelt etwas altbacken wirken und während Dialogen wie Charaktere aus alten Bethesda-Rollenspielen größtenteils nur herumstehen.

Von gröberen Bugs oder gar Spielabstürzen wurden wir beim Wandern verschont, allerdings kamen Pop-Ups und spät ladende Texturen immer wieder vor. Hinsichtlich der Präsentation müssen wir zudem bemängeln, dass sämtliche Menüs mit einem Cursor bedient werden, was am PC sicher hervorragend klappt, auf Konsolen ohne eine Maus jedoch eher mühsam ist.

Die deutsche Sprachausgabe ist gelungen, wir empfehlen allerdings die Englische, die den britischen Charme der Filme noch besser einfängt. Lob verdient derweil auch die schöne Hintergrundmusik, die definitiv am Soundtrack der Filme angelehnt ist und die Atmosphäre des Spiels mit bekannt klingenden Stücken wunderbar unterstreicht.

Fazit:

Avalanche Software ist mit Hogwarts Legacy kein großes Risiko eingegangen. Abgesehen vom Kampfsystem spielt es sich wie viele andere Open-World-Rollenspiele, die dem Spieler eine große Karte mit dutzenden Symbolen zum abgrasen, darüber hinaus aber nur wenig Neues bieten. Beim Missionsdesign war den Entwicklern Quantität klar wichtiger als Qualität, das soll allerdings nicht heißen, dass es nicht trotzdem etliche sehr unterhaltsame Missionen gäbe, die über Stunden hinweg an den Bildschirm fesseln können. Was Hogwarts Legacy vergleichbaren Spielen zudem klar voraus hat, ist der unverwechselbare Charme der Harry-Potter-Bücher und -Filme. Hogwarts, Hogsmeade und co sind fantastisch designte, wortwörtlich zauberhafter Orte und es macht einfach Spaß sie zu erkunden.

Zweites Fazit von Nico:

Es wird an jeder Ecke von Hogwarts Legacy deutlich, dass die Entwickler selbst große Fans von Harry Potter sind. Kaum ein anderes Videospiel verfügt über solch ein großes und detailreich ausgearbeitetes Gebäude wie das Schloss Hogwarts und dazu kommt auch noch die riesige und beinahe ebenso detaillierte Spielwelt. Diese wird von zahlreichen charismatischen Charakteren besiedelt und bietet zwar viele spannende Orte und Missionen, aber eben auch einen Haufen Ubisoft-mäßigen Alibi-Content. Darüber hinaus ist die Weltkarte auf eine seltsame Weise zweigeteilt, wobei in dem später verfügbaren Abschnitt nichts mehr geschieht, was nicht auch im ersten Teil der Weltkarte funktioniert hätte. Durch ein Weglassen des zweiten Weltabschnitts und mehr Fokus auf Qualität hätte Avalanche ein runderes Spielerlebnis auf die Bildschirme zaubern können. 

Das gelungene Kampfsystem hat Jerry bereits gelobt. Ich persönlich hätte mir noch deutlich gravierendere Auswirkungen durch das Wirken der unverzeihlichen Flüche gewünscht. Generell funktioniert dieser Aspekt des RPGs nicht wirklich: Als Slytherin habe ich es mir fest vorgenommen, immer so gemein wie möglich zu sein und möglichst oft Avada Kedavra, Crucio und Imperio einzusetzen. Da es hier kein Moralsystem gibt, war die einzige Auswirkung meines Verhaltens, dass meine Mitschüler kurz verärgert waren und ich im späteren Spiel keine freundlichen Worte beim Schlendern durch Hogwarts entgegengeworfen bekam. In dem beinahe unvermeindlich kommenden Nachfolger darf der RPG-Anteil also gerne noch in die Höhe geschraubt werden. Dazu noch etwas weniger Füller-Inhalte und einer Topwertung steht nichts mehr im Wege.

Unsere Wertung:
8.0
Jeremiah David meint: "Zauberhafte Umgebungen und reichlich Fanservice machen ein durchwachsenes Missionsdesign mehr als wett."
Hogwarts Legacy von Avalanche Software erscheint am 10.02.2023 für PC und PlayStation 4 und PlayStation 5 und Nintendo Switch und XBox One und XBox Series. Wir haben die Version für PlayStation 5 getestet.
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4 Kommentare:
michi1894)
michi1894
Am 14.04.2023 um 18:41
Schöner Test. Für mich liest sich das wie ein 0815-Open-World-Titel, der einzig durch seine Lizenz ganz groß punkten kann. Ein Musthave ist das jetzt aber in meinen Augen leider nicht geworden.
SantiagoWinehouse)
SantiagoWinehouse
Am 15.04.2023 um 07:25
Ich mache einen Bogen um HP, da ich keinen Cent für die transphobe Erfinderin ausgeben werde - in welcher Form auch immer.
Ramy)
Ramy
Am 17.04.2023 um 14:32
Geht hier und da lieber auf Nummer Sicher und es finden sich ab und zu noch einige technische Unsauberkeiten aber ich habe wirklich viel Spaß mit der Welt Hogwarts Legacy und dem Kampfsystem. Bei Open World Spielen schaue ich mittlerweile ganz genau hin, ob es mir wirklich wert ist, etliche Stunden meiner Zeit für ein Game dieser Größenordnung zu opfern. In HL genieße ich jede Sekunde. Aber ich frage mich schon, wieviel von diesem Spaß übrig bleibt, wenn ich mit den Harry Potter Büchern und Filmen bisher gar keine Berührungspunkte gehabt hätte :)
Ramy)
Ramy
Am 17.04.2023 um 14:37
Die Musik muss ich ebenfalls loben. Es ist eben nicht der Original-Soundtrack der Filme und dennoch gibt es viele musikalische Themen, die ganz deutlich an die Musik der Filme angelehnt sind. Die Beste Lösung, wie ich finde, für ein Spiel, das im Potter Universum stattfindet aber in einer ganz anderen Zeit angesiedelt ist.