Test

Wild Hearts

Von Andreas Held am 20.02.2023

Ein ungleiches Paar

Es sorgte nicht gerade für wenig Verwunderung, als ausgerechnet EA ein von Omega Force entwickeltes Spiel im Monster-Hunter-Genre ankündigte. Doch auf den zweiten Blick ist diese Konstellation gar nicht so abwegig. Omega Force, das hauptsächlich an der Warriors-Serie arbeitet, versuchte sich vor knapp zehn Jahren schon einmal an diesem Genre und veröffentlichte insgesamt drei Ableger von Toukiden, die jedoch wenig Beachtung fanden: Im Vergleich zur Capcom-Serie wurde der Schwierigkeitsgrad erheblich gesenkt, doch die von den Produktmanagern offenbar erwartete Käuferschar aus Gelegenheitsspielern, die sich ein zugänglicheres Monster Hunter wünschten, blieb aus. Gut möglich, dass Koei Tecmo nach diesem Flop keine Lust hatte, einen weiteren Ausflug in dieses Genre zu finanzieren und deshalb EA als Publisher einspringen musste.

Mittlerweile haben sich die Zeiten geändert. Spätestens nach 17,5 Millionen verkauften Elden-Ring-Exemplaren sollte jedem klar sein, dass herausfordernde Videospiele auch im 21. Jahrhundert nicht nur eine Daseinsberechtigung haben, sondern sehr erfolgreich sein können. Vielleicht auch deshalb hat Kotaro Hirata, der Director von Wild Hearts, die Existenz von Toukiden in einem Interview mit The Verge glatt verleugnet und stattdessen behauptet, dass die Entwicklung für Omega Force ein "komplett neues Genre" darstelle. Das Gespräch drehte sich hauptsächlich darum, wie stark, böse und gefährlich die sogenannten Kemono seien, auf die in Wild Hearts Jagd gemacht wird. Hirata äußerte außerdem die Hoffnung, dass sein Titel zu einem ähnlich großen Franchise wie die Warriors-Serie heranwachsen könnte. Ob das gelingen wird?

Die Ruhe vor dem Sturm

Bevor wir herausfinden können, ob die Kemono ihrem Ruf gerecht werden, führt uns Wild Hearts mit einem langen Tutorial gemächlich an seine Spielmechaniken heran. Diese erinnern teilweise sehr stark an Monster Hunter, wurden jedoch deutlich vereinfacht. Spielelemente wie das Nachschärfen der Waffen fehlen völlig, und die meisten Sammelitems können wir durch einen einfachen Druck auf die L2-Taste einsammeln - Gegenstände wie eine Spitzhacke oder das Fangnetz, mit dem wir in Monster Hunter World kleinere Tiere fangen konnten, gibt es nicht. Dadurch ist Wild Hearts außerhalb der Jagd-Quests deutlich einfacher zu spielen, aber durch die fehlenden Animationen geht auch einiges an Flair verloren. Nach unseren ersten Schritten treffen wir an einem Lagerfeuer einen maskierten Shamisen-Spieler und dürfen bei dieser Gelegenheit mit einem sehr umfangreichen und vielfältigen Editor unseren Charakter erstellen. Kurz darauf stirbt unsere Hauptfigur im Kampf gegen einen riesigen Wolf - wird jedoch von dem mysteriösen Musiker wiederbelebt und hat danach die Fähigkeit, Kisten oder ganze Gebäude praktisch aus dem Nichts entstehen zu lassen.

Diese sogenannten Karakuri sind in zwei Klassen eingeteilt. Die erste davon ist hauptsächlich für den Einsatz im Kampf konzipiert. Kisten, Sprungfedern und weitere Apparaturen sollen uns dabei helfen, den Angriffen der Kemono auszuweichen und können teilweise auch für Offensivaktionen eingesetzt werden. Im Laufe der Zeit lernen wir neue Möglichkeiten, diese Utensilien miteinander zu kombinieren: Drei übereinandergestapelte Sprungfedern verbinden sich beispielsweise zu einem großen Hammer, der den Kemono ordentlich auf den Latz hauen kann. Omega Force hat sich Hilfe von den Köpfen hinter Dragon Quest Builders geholt, um die Gamepad-Steuerung für das Anlegen dieser Bauten so schnell und komfortabel wie möglich zu gestalten. Meistens funktioniert das auch - aber eben nur meistens. Wenn in einer hektischen Situation eine Kiste nicht genau dort landet wo sie soll, dadurch ein Schutzwall nicht rechtzeitig fertig wird und in der Folge ein 20 Meter großes Wildschwein über unseren Charakter trampelt, werden Monster-Hunter-Fans der alten Schule vielleicht nicht ganz zu Unrecht über die Fortnite-Kids und ihr neumodisches Zeugs schimpfen.

Die zweite Karakuri-Klasse umfasst größere Gebäude, die als permanente Anlagen gedacht sind und deshalb auch nach Abschluss eines Quests nicht verschwinden. Dazu gehören unter anderem Zelte, die als Schnellreisepunkte dienen, oder Aussichtstürme, mit denen ihr in der Nähe herumlaufende Kemono ausspähen könnt. Dieser Aspekt erinnert eher an Death Stranding als an Fortnite, denn in erster Linie sollt ihr diese Bauten einsetzen, um in den verlassen Gebieten eure eigene Infrastruktur aufzubauen. Leider ist die Anzahl der Gebäude, die ihr in jedem der fünf Areale platzieren könnt, streng begrenzt. Diese Limitierungen lassen sich mit der Zeit zwar lockern, aber trotzdem bin ich relativ schnell dazu übergegangen, alle Karakuri unmittelbar nach ihrer Benutzung wieder abzureißen - um möglichst gar nicht erst in die Situation zu kommen, dass ich in einem abgelegenen Winkel der Spielwelt ein gerade nötiges Gebäude nicht bauen darf. Diesen Aspekt hätte Omega Force also sicherlich etwas motivierender gestalten können.

Literweise Heiltränke gegen übermächtige Monster

Nach der Erstellung unseres Charakters und dem ersten Ausprobieren der Spielmechaniken geht es dann sofort ans Eingemachte und wir werden auf unser erstes, richtiges Jagd-Quest geschickt. Schon sehr früh im Spiel fällt dabei auf, dass die Kemono gefühlt deutlich stärker sind als die Riesenechsen, mit denen wir es in der Monster-Hunter-Serie zu tun bekommen. Alle verfügen über unvorhersehbare Angriffe, denen wir nur sehr schwer ausweichen können und die bei einem Treffer einen sehr großen Teil des Lebensbalkens unserer Hauptfigur entleeren. Bereits im ersten Kapitel des Spiels brennen manche Gegner ein derart überladenes Effektfeuerwerk an AoE-Attacken ab, dass man auf dem Bildschirm zeitweise kaum mehr etwas erkennen kann, und springen dabei fast im Sekundentakt von einem Ende der Arena zum anderen. Damit wir dem etwas entgegensetzen können, geben uns die Entwickler auf jedes Quest zehn Heiltränke mit, die wir durch das Pflücken von üppig vorhandenen Pflanzen aufstocken oder an Brunnen komplett wieder auffüllen können. Das ist auch nötig, denn wahrscheinlich werdet ihr für eine erfolgreiche Jagd Dutzende dieser Tränke zu euch nehmen müssen.

Weitere Unterstützung erhalten wir von unserem Tsukumo, einem kleinen Roboterwesen, das so ziemlich exakt die Rolle einnimmt, die die Palico in der Monster-Hunter-Serie spielen. Die kugelförmige Gestalt kann zwar kaum selbst austeilen, ist im Kampf jedoch trotzdem nützlich und versorgt uns nicht nur mit Lebensenergie und Ressourcen, sondern kann in Schlüsselsituationen die Aufmerksamkeit der Kemono auf sich ziehen und somit verhindern, dass wir einen K.O.-Schlag kassieren, der einen unserer drei Versuche aufbrauchen würde. Darüber hinaus dürfen wir im Online-Modus einen oder zwei Gleichgesinnte auf eine Jagd mitnehmen. In Multiplayer-Jagden dürfen sich alle Gruppenmitglieder gegenseitig wiederbeleben, was das Erlegen der Kemono natürlich eine ganze Ecke einfacher macht.

Schöne Optik mit Blessuren

Omega Force ist nicht gerade bekannt dafür, opulente Grafikblender auf heimische Fernsehbildschirme zu zaubern. Mit Wild Hearts hat sich der Warriors-Entwickler nun wirklich Mühe gegeben: Die im feudalen Japan angesiedelte Spielwelt ist wunderschön gestaltet und kann mit verlassenen Dörfern und Schreinen ebenso glänzen wie mit der üppigen Flora und Fauna, die den Gebieten Leben einhaucht. Das klare Highlight bilden die Designs der verschiedenen Kemono, die eine ganze Ecke kreativer, opulenter und schöner anzusehen sind als die Kreaturen, die wir aus der Monster-Hunter-Serie kennen. Leider sieht die hübsche Umgebungsgrafik schon aus wenigern Metern Entfernung nicht mehr annähernd so beeindruckend aus wie aus der Nähe. Texturen und 3D-Modelle werden deutlich heruntergerechnet, was natürlich auch dazu führt, dass bei schnellen Sprints durch die malerischen Jagdgründe ständig neue Details vor uns aufploppen - teils in wenigen Metern Entfernung. Auch die häufigen Ladezeiten mit einem hässlichen Ladebildschirm würde man sich in dieser Konsolengeneration eigentlich nicht mehr wünschen. Immerhin läuft Wild Hearts mit einer fast immer stabilen Framerate über den Bildschirm.

Trotz aller Kritik ist natürlich klar, dass Wild Hearts den PS5- und Xbox-Series-X-Versionen von Monster Hunter Rise optisch haushoch überlegen ist - dies ist jedoch so ziemlich der einzige Aspekt, in dem Omega Force gegen Capcom punkten kann. Dadurch, dass so viele ikonische Spielmechaniken wie die Palicos, die Quest-Struktur oder das Abhacken von Schwänzen aus Monster Hunter übernommen wurden, fällt das Fehlen anderer Mechaniken - z.B. das Schärfesystem oder das Kombinieren von Items - umso mehr auf. Wild Hearts wirkt hier wie ein "Monster Hunter Lite", was Omega Force vermutlich sogar beabsichtigt hat, um seinen Titel zugänglicher zu gestalten. Auch der Umfang geht diesen Weg: Wild Hearts startet mit 21 Kemono, was noch mal rund 30% weniger Monster sind als in Monster Hunter World, das seinerzeit schon für seinen eingedampften Umfang kritisiert wurde. Besonders enttäuscht haben mich die Rüstungssets: Sie sind ebenfalls nicht sonderlich zahlreich und die meisten von ihnen sind generische Samurai-Rüstungen, sodass es nicht sonderlich auffällt, wenn ihr Teile unterschiedlicher Sets miteinander kombiniert.

Vielleicht ist ein direkter Vergleich mit Monster Hunter unfair, weil Capcom bei der Entwicklung eines neuen Teils auf viele bereits vorhandene Assets und Erfahrungen zurückgreifen kann, die jede neue Serie erst mal aufbauen muss. Und vielleicht ist dieser Vergleich auch deshalb unfair, weil Wild Hearts für sich betrachtet immer noch ein richtig gutes Spiel ist. Die Spielzeit der Kampagne ist auf 30 bis 40 Stunden ausgelegt - mit Potential für deutlich mehr, wenn ihr alle Rüstungen sammelt und alle Waffenarten ausgiebig testen wollt. Das Gameplay ist nach einer Eingewöhnungsphase wirklich gut, und das Erjagen der toll gestalteten Kemono kann mindestens genauso viel Spaß machen wie der fünfzigste Kampf gegen einen Rathalos.

FAZIT:

Auch wenn Wild Hearts den direkten Vergleich mit Monster Hunter noch nicht gewinnen kann: Omega Force hat sich seit Toukiden deutlich gesteigert und zusammen mit EA einen Titel in die Läden gestellt, der sich vor niemandem verstecken muss. Die Dämonenjagd im mittelalterlichen Japan gehört spielerisch zu den besten Action-RPGs am Markt, ist vor allem im Einzelspielermodus wirklich herausfordernd und hat genug Inhalt für Dutzende Stunden Spielzeit. Die trotz technischer Fehler wirklich schöne Optik, die vor allem mit den Designs der Kemono überzeugen kann, rundet das Gesamtbild ab. Wild Hearts ist vielleicht noch nicht ganz so ausgereift wie sein offensichtliches Vorbild - aber auf jeden Fall deutlich besser als so manch anderer "AAA"-Titel der letzten Monate. Wer Monster Hunter Rise noch nicht gespielt hat, ist mit den gerade erschienen PS5- und Xbox-Portierungen des Capcom-Titels vermutlich besser beraten, insbesondere da sie deutlich günstiger haben sind. Wer die Sunbreak-Erweiterung bereits auf Switch oder dem PC durchgespielt hat, neues Futter sucht und über das nötige Kleingeld verfügt, kann bei Wild Hearts aber gerne zuschlagen. Falsch macht ihr damit sicherlich nichts.

Unsere Wertung:
8.5
Andreas Held meint: "Noch nicht ganz auf dem Level der neueren Monster-Hunter-Teile - aber in jedem Fall eine willkommene und sehr empfehlenswerte Abwechslung."
Wild Hearts von Omega Force erscheint am 17.02.2023 für PC und PlayStation 5 und XBox Series. Wir haben die Version für PlayStation 5 getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von EA zur Verfügung gestellt.
Nur registrierte Benutzer können Kommentare verfassen. Jetzt registrieren
2 Kommentare:
Jerry)
Jerry
Am 20.02.2023 um 19:58
Schöner Test! Bin von dem Spiel positiv überrascht.
Denios)
Denios
Am 21.02.2023 um 02:35
Hatte mal Toukiden Kiwami für die Vita, aber bereits nach kurzer Spielzeit abgebrochen und das Spiel wieder verkauft, hat mich leider so gar nicht gehooked. Außerdem bin ich in Monster Hunter jetzt schon "drin", da brauch ich persönlich eigentlich nix anderes mehr, vor allem, weil Sunbreak auch durch seine Title Updates dermaßen vollgestopft mit Content ist, dass mir da eh nie die Quests ausgehen werden. Trotzdem freut es mich, wenn die Serie gute Konkurrenz bekommt, dann strengen sich die Entwickler bei Capcom hoffentlich weiterhin schön an!