Test

Life is Strange 2 (Nintendo Switch)

Von Jeremiah David am 31.01.2023

Life is Strange 2 ist nicht der zweite, sondern der dritte Teil der Serie, und auf der Switch wird er jetzt nach dem vierten Teil veröffentlicht. Auf Nintendos Hybridkonsole ist das Leben eben besonders seltsam. Wir klären auf:

2015 landete das französische Entwicklerstudio Dontnod mit Life is Strange einen echten Überraschungshit. Publisher Square Enix ließ daraufhin rasch das amerikanische Studio Deck Nine an einem Prequel mit dem Titel Before the Storm arbeiten, denn Dontnod selbst hatte bereits mit der Entwicklung des Horror-Adventures Vampyr begonnen und konnte daher lediglich nebenbei an dem kostenlosen Mini-Spiel The Awesome Adventures of Captain Spirit und Life is Strange 2 werkeln. Letzteres Spiel wurde schließlich von September 2018 bis Dezember 2019 als episodisches Adventure veröffentlicht, für die PlayStation 4, die Xbox One und den PC – Nintendos Switch erhielt keine Umsetzung. 2021 war Deck Nine wieder am Zug und brachte Life is Strange: True Colors auf den Markt – diesmal nicht nur für die Konsolen von Microsoft und Sony, sondern auch für Nintendos Hybridkonsole. Seitdem ist Square Enix scheinbar um Wiedergutmachung bemüht, denn erst wurde die Life is Strange Arcadia Bay Collection mit den ersten beiden Teilen der Serie auf die Switch portiert, und nun wird am 2. Februar 2023 mit Life is Strange 2 auch noch die letzte verbliebene Lücke im Life-is-Strange-Portfolio der Switch geschlossen.

Romulus und Remus

Wer noch nie mit der Serie zu tun hatte, dem sei gesagt: Alle Teile sind storylastige Abenteuerspiele, die kein oder nur wenig klassisches Gameplay bieten, dafür aber komplexe, emotionale Geschichten erzählen und mit vielschichtigen Charakteren punkten wollen. Während Life is Strange und der Vorgänger uns an den verschlafenen Ort Arcadia Bay entführten, um uns dort mit der 18-jährigen Max Caulfield beziehungsweise mit deren Freundin Chloe Price Abenteuer erleben zu lassen, verschlägt es uns zu Beginn von Life is Strange 2 in den US-Staat Washington, wo wir in die Rolle des 16-jähigen Sean Diaz schlüpfen.

Sean und sein kleiner Bruder Daniel leben mit ihrem Vater Esteban in einem netten Einfamilienhaus am Rande von Seattle. Es ist Halloween und Sean bereitet sich auf eine Fete vor, auf der er seiner Flamme Jenn näher kommen möchte. Seine Freundin Lyla hilft ihm beim Verfassen von Kurznachrichten, um Jenn nicht mit zu plumpen Sprüchen abzuschrecken. Sean revanchiert sich für die Hilfe, indem er für die bevorstehende Party Bierdosen aus dem Kühlschrank und Snacks aus dem Küchenregal stibitzt. Daniel arbeitet derweil an einem Zombie-Kostüm inklusive Kunstblut, auf das er besonders stolz ist. Als er nach draußen rennt, um im Garten zu spielen, gerät Daniel allerdings in einen Streit mit einem Nachbarn, dem die lateinamerikanische Familie offensichtlich ein Dorn im Auge ist. Sean mischt sich ein und der Streit eskaliert. Ein herbeigeeilter Polizist hält Daniels Kunstblut für echt und zückt vorschnell seine Dienstwaffe. Ein Schuss fällt, ein Mensch stirbt. Im Chaos brennen Daniel die Sicherungen durch, und mit einem Schrei löst der 9-Jährige in bester X-Men-Manier eine Druckwelle aus, die das Polizeiauto umstösst und den dazugehörigen Polizisten wie eine Marionette durch die Luft schleudert. Kurz darauf verliert Daniel das Bewusstsein. Sean packt seinen Bruder und flüchtet vom Tatort, ehe noch mehr Polizisten eintreffen. Fortan sind er und Daniel auf der Flucht; ein ungleiches Paar, das sich wie ein zweiköpfiges Wolfsrudel über Oregon, Kalifornien und Arizona nach Mexiko durchschlagen will.

Roadtrip wider Willen

Wolfsrudel? Tatsächlich beginnen die Kapitel zwei bis fünf jeweils mit einer Rückblende, die die bisherigen Ereignisse zusammenfasst, Sean und Daniel dabei jedoch als graue Wölfe wie in einem Kinderbuch darstellt. Daniel bezeichnet sich mit seinen zunehmend stärker werdenden Telekinesiskräften als "Superwolf", fühlt sich vom Leitwolf Sean jedoch zurückgehalten. Sean sieht sich als Ersatzvater und Mentor für seinen kleinen Bruder. Er versucht ihn zu beschützen und ihm gleichermaßen Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit einzuimpfen. Die Beziehung der Jungs rückt in den Vordergrund. Daneben spielen noch Themen wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im von Donald Trump regierten Amerika ein zentrales Thema der Geschichte, werden aber nie zufriedenstellend ausgearbeitet.

Sean und Daniel treffen auf einige höchst unsympathische Zeitgenossen, aber auch auf andere Aussteiger aus der Gesellschaft, die ihnen helfen. Serientypisch bietet Life is Strange 2 etliche ruhige, emotionale Momente und kann als Coming-of-Age-Geschichte mit unterschiedlichen Schauplätzen an der Westküste der USA durchaus überzeugen, hat aber ohne jeden Zweifel dennoch die schwächste Story aller Life-is-Strange-Teile.

Dadurch, dass Sean und Daniel immer auf Achse sind, bekommen sie kaum die Gelegenheit, engere Beziehungen zu irgendwem außer dem jeweiligen Bruder aufzubauen. Sean darf an einer Stelle im Spiel eine Liebesbeziehung anfangen, diese endet aber mehr als abrupt. Die Beziehung zu Daniel ist zu allem Überfluss ab dem zweiten Kapitel nicht die innigste und geprägt von wiederholten Auseinandersetzungen, auch dadurch bedingt, dass weder Sean noch Daniel die hellsten Sterne am Nachthimmel sind. Daniel verhält sich anfangs wie ein 4-Jähiger, der es beispielsweise nicht sonderbar findet, dass ihn sein älterer Bruder ganz ohne Vater mehrere Nächte in der Wildnis schlafen und hungern lässt. Später mimt er einen pubertierenden Teenager, der grundsätzlich das Gegenteil von dem tut, was man ihm sagt. Auch Sean neigt dazu, immer wieder dämliche Entscheidungen zu treffen, auf die wir als Spieler keinen Einfluss nehmen dürfen. Life is Strange als Serie rühmt sich damit, dem Spieler viele Entscheidungsfreiheiten zu lassen, hier können wir aber vorrangig nur nebensächliche Dinge beeinflussen, um die Beziehung zu Daniel zu stärken oder zu schwächen.

Hinzu kommen einige Probleme mit dem Pacing. Interessantere Phasen wechseln sich immer wieder mit langweiligen Passagen ab. So müssen wir beispielsweise im zweiten Kapitel mit Daniel mehrere Runden eines sehr simplen Würfelspiels spielen, um Zeit in einer kleinen Hütte totzuschlagen, oder zu Beginn des dritten Kapitels via Rückblende einen Streit zwischen den Jungs miterleben. Solche und ähnliche Szenen sollen uns als Spieler wohl noch näher an Seans Leben heranführen, tragen aber kaum oder gar nicht zur Hauptstory bei und wirken daher wie unnötiges Fülllmaterial. Life is Strange 2 ist mit rund 16 Stunden Spielzeit der umfangreichste Ableger der Serie, das ist aber leider nicht als Vorteil zu sehen.

Wie schlägt sich die Switch-Version?

Für die Portierung von Life is Strange 2 zeigte sich Dragon's Lake Entertainment zuständig. Die Entwickler haben nicht nur Erfahrung mit Portierungen allgemein, sondern speziell auch mit der Life-is-Strange-Reihe, schließlich war Dragon's Lake auch schon für die Portierung von True Colors zuständig. Dementsprechend ist die Switch-Version fast rundum gelungen, wobei Besitzer der Hybridkonsole natürlich im Vergleich mit der PS4- oder Xbox-One-Version einige grafische Abstriche erwarten sollten. Die Auflösung wurde auf 1280 x 720 Pixel reduziert. Einige Modelle im Spiel sind zudem weniger detailliert, einige Texturen weniger knackig. Die cartoonartige, relativ simple Optik der Serie sorgt aber dafür, dass die Veränderungen nur im direkten Vergleich auffallen. Die Charaktere sind schön gestaltet, die unterschiedlichen Landstriche Amerikas visuell authentisch umgesetzt. Vereinzelt auftretende Pop-Ups sowie kleinere Probleme mit der Framerate, die vor allem in offeneren Außengebieten vorkommen können, schmälern den Spielspaß nur minimal. Im Großen und Ganzen ist Life is Strange einwandfrei spielbar.

Einen oderntlichen Job machen auch die englischen Synchronsprecher. Eine deutsche Sprachausgabe gibt es nicht, nur deutsche Untertitel, die angesichts Seans Jugendsprache gelegentlich etwas kreativ ausfallen können - der "Schniedelblocker" Daniel lässt grüßen. Die ruhige, oft melancholische Hintergrundmusik besteht wie auch schon in den anderen Teilen der Serie aus originalen Stücken sowie lizenzierten Liedern von Bands wie First Aid Kit oder Justice.

FAZIT:

Life is Strange 2 greift die typische, ruhige Atmosphäre der Reihe auf, und wer auf solche Unterhaltung steht, bekommt genau das, wofür Life is Strange inzwischen bekannt ist: Eine kompetent erzählte, emotionale und etwas melancholische Story mit minimalistischem Gameplay. Die Switch-Version kann technisch natürlich nicht mit den anderen Versionen mithalten, das tut dem Spielspaß jedoch keinen Abbruch. Dass unsere Wertung dennoch etwas niedriger ausfällt, als bei den anderen Teilen der Serie, liegt mitnichten an der Technik, sondern an der Story der Gebrüder Diaz, die einfach nie die Höhen von Life is Strange 1 oder Before the Storm erreicht.

Unsere Wertung:
7.0
Jeremiah David meint: "Roadtrip nach Mexiko statt emotionaler Achterbahnfahrt in Arcadia Bay - für Switch-Verhältnisse sauber umgesetzt."
Life is Strange 2 (Nintendo Switch) von Dontnod/Dragon's Lake erscheint am 02.02.2023 für Nintendo Switch. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Square Enix zur Verfügung gestellt.
Nur registrierte Benutzer können Kommentare verfassen. Jetzt registrieren