Live A Live
So mancher Fan der Square-Spiele wird es zwar vermutlich schon wissen, aber das 2018 erschienene Octopath Traveler war nicht der erste Titel des Entwicklers, in dem ihr die Geschichte mehrerer Charaktere in unabhängiger Reihenfolge erleben durftet. Bereits 1994 brachte die Spieleschmiede das Rollenspiel Live A Live für die Super-NES-Konsole heraus, dessen Handlung euch quer durch Raum und Zeit führt, wobei der Vertrieb damals leider auf den japanischen Markt beschränkt war. Doch jetzt wurde das Abenteuer jüngst unter Zuhilfenahme von Octopaths HD-2D-Engine noch einmal neu aufgelegt und ist diesmal glücklicherweise für Switch-Spieler überall auf der Welt erhältlich. Wie sich das Remake im Wandel der Zeiten schlägt, haben wir uns für euch einmal genauer angesehen.
Octopath Time-Traveler!?
Zuerst einmal das wichtigste: Ungeachtet aller Ähnlichkeiten hat Live A Live nichts mit Octopath Traveller zu tun und ist dementsprechend ein komplett eigenes Spiel. Das wird schon bei der Handlung deutlich, die euch mit jedem Charakter in eine andere Zeit und an einen anderen Ort verschlägt: Höhlenmensch Pogo versucht seine Angebetete vor der rituellen Opferung zu retten, während Erdherz Shifu im kaiserlichen China drei Schüler in seiner Kampfkunst unterrichten möchte und der Shinobi Oboromaru im Japan der Edo-Zeit mit der Rettung eines wichtigen Gefangenen beauftragt wird. Im wilden Westen versucht ein einsamer Revolverheld eine kleine Stadt vor einer Bande Ganoven zu beschützen und der Kämpfer Masaru Takahara will sich in Zweikämpfen als der stärkste Mann unserer Gegenwart beweisen. In der nahen Zukunft möchte ein Waisenkind den Tod seines Vaters rächen und im Weltall der fernen Zukunft versucht ein Wartungsroboter sein Raumschiff und seine Mannschaft vor großer Gefahr zu retten.
All diese Geschichten könnt ihr in beliebiger Reihenfolge erleben, um auf diesem Weg die letzten beiden Kapitel freizuspielen, in denen ihr neben dem finalen achten Charakter auch die Geschichte erlebt, die die vorherigen sieben Teile miteinander verbindet. Dabei bemüht sich der Titel um größtmögliche Flexibilität, sodass ihr die jeweils etwa zwei bis drei Stunden dauernden Kapitel an jeder Stelle speichern und zwischen den einzelnen Geschichten beliebig hin und her wechseln könnt, ohne dabei Fortschritte im Spiel einzubüßen. Die einzelnen Geschichten sind insgesamt sorgfältig ausgearbeitet, erreichen mit ihrem begrenzten Umfang aber natürlich nicht die Komplexität eines Rollenspiels, das sich auf eine einzige Handlung konzentriert. Dennoch macht es Spaß den Geschichten der Charaktere zu folgen, auch wenn es im Sonderfall des Höhlenmenschen Pogo nicht ganz einfach ist, da sich in diesem Kapitel alle Beteiligten durch Grunzlaute und per Zeichensprache miteinander verständigen. Square hat aber auch hier sauber gearbeitet, sodass ihr der Handlung mit wenig Mühe folgen können solltet.
Neues Leben, neue Spielmechanik
Passend zu den acht unterschiedlichen Geschichten hat Square das Spielsystem jedes einzelnen Charakters mit einigen Besonderheiten ausgestattet und auf diesem Weg noch ein wenig mehr Abwechslung in die Kapitel gebracht. So kann, um nur einige Beispiele zu nennen, das Waisenkind Akira die Gedanken seiner Mitmenschen lesen, Höhlenmensch Pogo die Fährte von Gegnern erschnüffeln und der Kämpfer Masaru die Fähigkeiten seiner Gegner erlernen, um diese in den Kämpfen gegen sie einzusetzen. Darüber hinaus gibt es Kapitel, die sich vorwiegend auf den Kampf oder vorwiegend auf die Gespräche mit anderen Charakteren konzentrieren. Und in einigen Fällen könnt ihr Kämpfe schleichend umgehen oder müsst mit eurem Charakter keine Erfahrung sammeln, da er bereits Meister seines Fachs ist und reguläre Gegner mit Leichtigkeit besiegt. Durch all diese kleinen Abwandlungen kommt zu keiner Zeit Langeweile auf, da jedes Leben ein komplett neues Abenteuer darstellt und ihr beim ersten Spielen immer wieder überrascht werdet.
Trotz aller Innovation gibt es aber natürlich auch wieder ein übergeordnetes Spielsystem, das in weiten Teilen dem JRPG-Durchschnitt entspricht und abseits aller zu den Kapiteln gehörenden Besonderheiten für eine gewisse Normalität sorgt: Außerhalb der Kämpfe bewegt ihr euch durch die dreidimensionale Welt, unterhaltet euch mit freundlichen Charakteren und durchsucht Behälter, die vom System freundlicherweise glitzernd markiert werden, nach nützlichen Gegenständen. Trefft ihr auf einen Gegner, wechselt ihr in das übliche rundenbasierte Kampfsystem, in dem ihr euren Charakter und seine Verbündeten auf einem ebenfalls dreidimensionalen Feld bewegen, angreifen, Gegenstände nutzen oder abwarten lassen könnt. Die Schwierigkeit der Kämpfe bewegt sich fließend zwischen trivial und sehr fordernd, ist aber in der Regel, selbst bei schweren Kämpfen, spätestens nach einigen Anläufen zu schaffen. Gewinnt ihr, sammelt ihr mit den meisten Charakteren Erfahrung und erlernt mit steigenden Charakterstufen weitere Fähigkeiten. Eine Niederlage all eurer im aktuellen Kapitel aktiven Charaktere führt zum “Game Over”-Bildschirm, lässt euch im Anschluss aber direkt wieder einen Speicherstand laden. Da das Spiel auch automatisch oft und gerne speichert, gehen euch somit in den meisten Fällen selten mehr als ein paar Minuten Spielzeit verloren. In der Beute besiegter Gegner oder den plünderbaren Behältnissen findet ihr hin und wieder neue Ausrüstung oder Materialien, um Selbige herstellen zu können. Im übersichtlich gestalteten Menü angelegt, verbessern die Gegenstände, wie in Rollenspielen üblich, euren Charakter und machen die Kämpfe etwas einfacher. Die Charaktere auf eine höhere Stufe zu bringen bleibt aber in jedem Fall wichtig, sodass ihr Kämpfen nur aus dem Weg gehen solltet, wenn euch das System dazu rät.
Allgemein ist es ratsam, den Hinweisen des Systems Aufmerksamkeit zu schenken, besonders da es mit dem Remake einige Funktionen erhalten hat, die euch das Leben spürbar erleichtern. Neben den bereits erwähnten glitzernden Schränken, die ihr durchsuchen könnt, zeigt euch das Spiel jetzt während der Kämpfe auch die Reichweite von Fähigkeiten und bietet euch in der Welt ein simples aber gut funktionierendes Navigationssystem, das das nächste Ziel und noch nicht besuchte Räume anzeigt. Letzteres lässt sich allerdings in den Optionen auch ausschalten, wenn ihr die ohnehin nicht allzu großen Gebiete selber erkunden möchtet.
Der Umfang des Spiels ist mit insgesamt 20 bis 30 Stunden objektiv angemessen, könnte JRPG-Veteranen aber vergleichsweise kurz erscheinen. Gerade dieser Umstand kann Live A Live für Genre-Neulinge allerdings reizvoll machen, da ihr die Geschichten in kleinen Häppchen getrennt voneinander erleben könnt. Vorausgesetzt natürlich, ihr seid bereit, euch auf die vielen verschiedenen kleinen Anpassungen im Gamedesign einzulassen. Denn wer ein konsequentes und vielleicht sogar starres Spielsystem vorzieht, könnte den Titel wie eine Minispiel-Sammlung empfinden und dadurch vielleicht enttäuscht werden. An der grundsätzlichen Qualität des Spiels ändern all diese Überlegungen aber nichts.
HD 2D, 3D, Ole!
Auf der technischen Seite des Remakes gibt es nur wenig, das man bemängeln könnte. Die gesamte Akustik wurde neu vertont und alle Dialoge wurden mit englischer Synchronisation unterlegt, während es natürlich auch wieder Deutsche Texte zum mitlesen gibt. Die Ladezeiten des Spiels sind durchgehend flink und auch die Steuerung mit ihrer gezielt minimierten Belegung funktioniert tadellos. Der wahre Star der Technik sollte natürlich die neue Grafik sein, die in weiten Teilen sehr gut umgesetzt wurde und dank der HD-2D-Engine eine gelungene Kombination aus zwei- und dreidimensionaler Grafik liefert. Die Entwickler haben die Optik aus der Vorlage nicht nur stumpf übernommen, sondern die Freiheiten der neuen Technik genutzt, um zum Beispiel im “Wild West”-Kapitel Kameraeinstellungen zu simulieren, die man sonst in Filmen verwenden würde, um Stimmung zu machen. Das gibt dem Spiel in Sachen Gamedesign keinen Mehrwert, ist aber hübsch anzusehen und zeigt, das hier Menschen am Werk waren, die von der neuen Fassung des Spiels eine klare Vorstellung hatten. Nur vereinzelt gibt es Momente in denen ein Pixelcharakter zu grob, oder ein 3D-Modell im Hintergrund zu detailliert wirkt und damit den Eindruck der Optik ein wenig stört. Wirklich problematisch sind diese stilistischen Einbrüche aber nie und der positive Eindruck bleibt nahezu durchgehend bestehen.
Fazit:
28 Jahre nach seinem ersten Erscheinen wirkt Live A Live dank der Liebe zum Detail mit der es neu aufgelegt wurde so frisch wie am ersten Tag. Die Geschichten wurden toll erzählt und der Mut der Entwickler, das Spielsystem an die Umstände der Geschichten anzupassen und somit jedes Kapitel zu etwas besonderem zu machen, macht den Titel zu einem besonderen Abenteuer, das gerade Spielern, die die erste Version nicht kennen ein paar vergnügliche Stunden bescheren kann. Dass wir im vorherigen Satz nicht “viele vergnügliche Stunden” schreiben konnten, ist das einzige wirkliche Problem des Titels, der trotz all seiner Qualitäten für Genre-Kenner vermutlich zu kurz ist, während er den Fans westlicher Spiele zu JRPG-lastig sein könnte, um ihm eine Chance zu geben. Was tragisch ist, da Live A Live gerade für Spieler, die in das Genre einmal hineinschnuppern wollen, ohne sich mit einer epischen 100-Stunden-Story zu überladen der ideale Einstieg sein könnte. So kann es leider gut sein, dass Live A Live irgendwo zwischen den sprichwörtlichen Stühlen hängen bleibt und nur von Fans und experimentierfreudigen Spielern eine Chance bekommt. Die dürften aber auf ihre Kosten kommen und wenn ihr euch zu einer der beiden Gruppen zählt oder von der schönen HD-2D-Grafik eines Octopath-Spiels nicht genug bekommen könnt, könnt ihr bedenkenlos zugreifen.
Ich finde die Stärke von Live A Live ist auch gleichzeitig eine Schwäche. So sehr ich einige Episoden mag und auch die angepassten Spielmechaniken dahinter, gibt es doch wiederum eins, zwei Episoden durch die ich mich gerade quäle. Vom Setting und der Story her finde ich z.B. die "Ferne Zukunft" super, allerdings ist bis auf die letzten Minuten die Spielmechanik ja auf eine reine "mobile Kamera" reduziert. Man läuft von Checkpoint zu Checkpoint, liest Text, sieht sich Zwischensequenzen an und dann weiter zum Nächsten. Das ist auf Dauer etwas ermüdend, das hätte ich mir dann lieber komplett als Film/ablaufende Sequenzen angeschaut.
Insgesamt aber empfehlenswerter Titel/Remake, die 8.0 passt schon ziemlich gut als Schnitt über alle Episoden.