Test

Sniper Elite 5

Von Robert Emrich am 05.06.2022

Wenn Wehrmachtssoldaten beim fernen Klang eines einzelnen Schusses zusammenzucken und sich Kugeln in der Röntgenansicht ihren Weg durch die Körper ihrer Opfer graben, kann das nur eines bedeuten: Elite-Scharfschütze Karl Fairburne ist im neuesten Teil der Stealth-Shooter-Serie erneut auf Mission, um die Schergen des Dritten Reiches das Fürchten zu lehren. Wir haben uns an seiner Seite auf den Weg durch Frankreich gemacht und das Spiel auf Herz, Nieren und alles was uns sonst noch vor das Fadenkreuz kam geprüft.

Un-Krauts vergehen nicht

Frankreich, Ende Mai 1944: Während die Vorbereitungen für Operation Overlord, die Landung der Westalliierten in der Normandie, noch auf Hochtouren laufen, befindet sich unser Protagonist bereits auf dem Festland hinter den feindlichen Linien. Mit dem Auftrag der Aufklärung und Sabotage der deutschen Truppen betraut, verbünden wir uns mit der lokalen Widerstandszelle, als uns erste Informationen zu einem neuen Geheimprojekt der Nazis in die Hände fallen. Wie sich zeigt, sind Hitlers Wissenschaftler trotz unserer in den vorherigen Teilen geglückten Missionen nicht unter zu kriegen und “Operation Kraken” soll den weiteren Kriegsverlauf zugunsten der Achsenmächte entscheidend ändern können. Dass wir da nicht einfach nur zusehen können, ist Ehrensache und so macht sich unser Scharfschütze ein weiteres mal auf den Weg, um die Nazis aufzuhalten und die Welt ein wenig sicherer zu machen.

Die Handlung des Spiels entspricht in groben Zügen der des Vorgängers und ist so vorhersehbar, wie ihr es von einem Shooter erwarten könnt. Einen besonderen Anspruch auf Tiefgründigkeit hat Sniper Elite aber auch gar nicht und als simple Motivation, um sich in die Schlacht zu stürzen (oder vielmehr zu schleichen) reicht die Geschichte allemal. Trotzdem ist es ein wenig schade, dass der Titel aus seiner Handlung und den Nebenfiguren nicht ein wenig mehr herausholt. Alleine die französische Resistance hätte bestimmt jede Menge Stoff für die eine oder andere interessante Nebengeschichte geboten. So verkommen ihre Kämpfer und Kämpferinnen aber zusammen mit den alliierten Soldaten zu besseren Statisten, während die interessanten Sprechrollen an die Wehrmachtssoldaten gingen, die sich in jedem Level angeregt über alles mögliche unterhalten.

Auf ins Gefecht!

Auch spielerisch erinnert der neueste Teil der Serie stark an seine Vorgänger, was in diesem Fall aber eine gute Nachricht ist. Wie in Stealth-Shootern üblich, schleicht ihr euch über kilometergroße Karten, um euer Missionsziel zu erreichen und nebenbei eure Feinde mehr oder weniger heimlich auszuschalten. Dabei stehen euch wie immer diverse Waffen und Möglichkeiten zur Verfügung, sodass ihr eure Gegner nicht nur aus der Entfernung, sondern auf Wunsch sogar gänzlich unblutig im Nahkampf K.O. schlagen könnt. Sprengfallen, Schusswaffen für den Frontalangriff und diverse Möglichkeiten, die Gegner Opfer ihrer Umgebung werden zu lassen, sind natürlich ebenfalls wieder vorhanden, sodass ihr frei experimentieren und eure Spielweise je nach Situation anpassen könnt. Dabei erreicht das Spiel zwar nicht ganz die spielerische Freiheit, die euch zum Beispiel Hitman 3 zur Verfügung gestellt hat, liefert dafür aber, dem Namen entsprechend, eine unterhaltsamere Erfahrung, wenn es um Abschüsse aus großer Distanz geht. Hier ist Sniper Elite den meisten Genre-Kollegen sowieso weit voraus und kann seine Stärken voll ausspielen. Verschiedene Optionen im Spiel bieten euch entweder ein authentisches Erlebnis, bei dem ihr die Flugbahn eurer Kugel je nach Wind und Entfernung selber bestimmen müsst oder allerlei Hilfestellungen mit denen die Abschüsse vergleichsweise einfach werden. Lohnend fühlen sich die Treffer aber in jedem Fall an. Besonders wenn der Abschuss mit der für die Spielreihe üblichen Kill-Cam quittiert wird, die der Flugbahn eurer Kugel folgt und den Schaden am Gegner in einer blutigen Röntgendarstellung zeigt. Letztere lässt sich aber selbstverständlich, wie schon in den vorherigen Teilen, abschalten, um den Titel ein wenig magenfreundlicher zu machen und auch die Häufigkeit der Kill-Cam, könnt ihr je nach Vorliebe anpassen.

Allen Parallelen zu den Vorgängern zum Trotz, haben es sich die Entwickler bei Rebellion natürlich trotzdem nicht nehmen lassen, einige Mechaniken des Spiels zu überarbeiten. Waffen werden jetzt nicht mehr durch die Erledigung von Aufgaben verbessert, sondern indem ihr einzelne Bauteile, wie Zielfernrohre, Schalldämpfer oder Magazine nach Bedarf austauscht. Da die meisten Bauteile einzelne Werte auf Kosten von anderen Eigenschaften verbessern (Schalldämpfer machen euch zum Beispiel schwerer aufspürbar, reduzieren dafür aber auch den Schaden, den eure Waffe verursacht) entsteht eine gewisse Spieltiefe, wenn ihr die Vor- und Nachteile jedes Bauteils je nach Spielstil abwägen müsst. Nötig ist das aber nicht zwingend und die meisten Waffen leisten auch so sehr gute Arbeit. Davon abgesehen gibt es jetzt auch bei der Munition eine größere Auswahl und vom Holzgeschoss, das die Gegner nur betäubt bis zur panzerknackenden Munition kann jeder Munitionstyp für jede Waffe gefunden werden. 

Damit ihr euch so richtig austoben könnt, hat Rebellion die Level außerdem noch ein gutes Stück vergrößert und bietet euch in Frankreich mit weitläufigen Inseln, labyrinthartigen Kleinstädten und riesigen Nazi-Basen alle möglichen Spielplätze. Jedes Gebiet wurde aufwendig und mit viele Liebe gestaltet und besonders die späteren Level, in denen die Region Opfer der Bombardierungen und Kämpfe wurde, strotzen nur so vor Details, sodass ihr auf den acht Karten jeweils drei bis fünf Stunden verbringen könnt, ohne dabei zwingend alles entdeckt zu haben. Sammler und Freunde von kreativen Spielweisen können die Missionen problemlos mehrfach spielen und das Spiel belohnt euch hin und wieder mit neuen Waffen, Bauteilen oder kosmetischen Gegenständen.

Doch nicht alle Neuerungen überzeugen komplett und besonders der neue Talentbaum, der euch mit steigendem Charakterlevel mit verbesserten Fähigkeiten versorgen soll, fühlt sich in vielen Bereichen nur wenig lohnend an. Von den Möglichkeiten, Gegner länger zu markieren und mehr Ausrüstung mit sich zu tragen einmal abgesehen, sind die meisten anderen Fertigkeiten kaum oder nur bedingt sinnvoll einsetzbar. Das in diesem Bereich nicht voll ausgeschöpfte Potential macht den Titel aber auf keinen Fall schlecht, sondern nur ein bisschen gewöhnlicher, als er sein müsste.

Die wilde Jagd im Mehrspieler-Modus

Wie schon seine Vorgänger bietet euch auch Sniper Elite 5 wieder diverse Möglichkeiten, um das Spiel mit oder gegen andere Spieler genießen zu können. Neben dem altbekannten Koop-Modus in dem ihr die Kampagne mit bis zu drei Mitspielern bestreiten könnt, gibt es natürlich auch wieder den PvP-Modus in dem ihr euch im Kampf mit 15 anderen Spielern messen könnt. Gänzlich neu ist die Option der Achsen-Invasion, die sich im Spiel jederzeit aktivieren und deaktivieren lässt und die in ihrer Funktionalität ein wenig an das PvP in Elden Ring erinnert: Mit aktivierter Option könnt ihr als Scharfschütze der Wehrmacht in die Kampagne eines anderen Spielers einsteigen, oder umgekehrt von einem anderen Spieler während eurer Kampagne besucht werden. Mit dem Ziel, euch gegenseitig zu töten, bietet das Spiel euch ein intensives Katz-und-Maus-Spiel, das weit über die Fähigkeiten der regulären (und sowieso nur mäßig intelligenten) NPCs hinaus geht. Außerdem könnt ihr an besonders kniffligen Stellen im Spiel um Hilfe bitten, wodurch ihr einen verbündeten Mitspieler an eure Seite gestellt bekommt, der euch ein wenig unter die Arme greifen kann. Dank Crossplay-Funktionalität funktionieren alle Mehrspieler-Möglichkeiten auf Wunsch auch plattform-übergreifend, können aber in den Optionen auf die eigene Plattform beschränkt werden, wenn ihr euch am Gamepad nicht mit einem Spieler mit Maus und Tastatur messen möchtet.

Technisch sehr gut aber mit kleinen Mängeln

Nachdem wir ja bereits beim Test des vierten Teils für die Nintendo Switch erfahren konnten, mit welcher Sorgfalt Rebellion an die technische Umsetzung seiner Spiele herangeht, waren die Erwartungen beim Test der Series-X-Version des aktuellen Teils natürlich entsprechend hoch. Und tatsächlich überzeugt der Titel auf der Konsole in weiten Teilen mit seiner tollen Grafik, die euch hochauflösende und detaillierte Ausblicke auf mehrere hundert Meter entfernte Ziele gönnt, ohne dabei auf irgendwelche Probleme zu stoßen. Auch die Ladezeiten sind wieder pfeilschnell und übertreffen hardwarebedingt sogar die schon beeindruckend schnellen Ladezeiten der Switch-Version des Vorgängers, sodass ihr selten länger als ein paar Sekunden auf den Spielstart warten müsst. Akustisch bietet euch das Spiel eine gute englische Synchronisation (bei der die Nazis naturgemäß alle in deutscher Sprache synchronisiert wurden) und eine tolle Soundkulisse, schwächelt aber ein wenig beim Umfang des Soundtracks. Zwar hat jeder Level seine eigene Melodie, die auch immer schön komponiert wurde. Doch nach drei Stunden in einem Level mit dem immer gleichen Stück ermüdet die musikalische Untermalung dann doch irgendwann, die sich zum Glück aber nie zu aufdringlich in den Vordergrund spielt. Die Steuerung funktionierte während unseres Tests tadellos und auch die Online-Funktionalität stellte uns vor keine Probleme.

Nur einige kleine Fehler, die bei der Bedienung der Waffen in seltenen Fällen auftraten, haben uns zeitweise das virtuelle Leben schwer gemacht. Obwohl wir sie im laufenden Spiel selber lösen konnten, verpassten sie dem ansonsten sehr guten Eindruck, den die Technik hinterlässt doch einen kleinen Dämpfer.

Fazit:

Mit Sniper Elite 5 hat Rebellion die Serie erfolgreich fortgesetzt und bietet euch neue Abenteuer in der gewohnt guten Qualität für die ihr die Spiele kennt. Mit kleinen, zum größten Teil gut durchdachten, Änderungen schaffen die Entwickler es, das Spiel frisch zu halten, ohne dabei etwas an der bewährten Formel des Spiels zu ändern, sodass ihr mit dem Kauf des Titels genau das bekommt was ihr erwartet: Einen Stealth-Shooter in dem ihr die Gegner gut und gerne aus ein paar hundert Metern ins Jenseits befördern könnt. Dass Karls fünftes Abenteuer (die “Zombie Army”-Spiele einmal nicht mitgezählt) sein Potential bei der Geschichte nicht voll ausschöpft, ist ein wenig schade. Und auch der leicht langweilige Talent-Baum und der etwas zu kurze Soundtrack bleiben hinter den hoch gesteckten Erwartungen zurück. Am sehr guten Gameplay des Spiels ändern diese Kritikpunkte aber nichts und so bleibt Sniper Elite 5 ein sehr guter Genre-Vertreter, den ihr euch als Fans dieser Spiele bedenkenlos zulegen könnt.

Unsere Wertung:
8.0
Robert Emrich meint: "Tolle Fortsetzung der Reihe, die fast immer ihr Ziel trifft."
Sniper Elite 5 von Rebellion erscheint am 26.05.2022 für PC und PlayStation 4 und PlayStation 5 und XBox One und XBox Series. Wir haben die Version für XBox Series getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Rebellion zur Verfügung gestellt.
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