Test

Gloomhaven - Genau so muss eine Versoftung aussehen

Von Nico Zurheide am 24.03.2022

Das Fantasy-Brettspiel Gloomhaven von Autor und Designer Isaac Childres ist bei Board Game Geeks das bestbewertetste Spiel aller Zeiten. Im parallel zu diesem Test erschienenen Unplugged-Artikel habe ich euch bereits lang und breit über das Spiel informiert und einige der komplexen Spielmechaniken erklärt. Dabei bin ich letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass Gloomhaven das wahrscheinlich beste Brettspiel ist, das bislang auf den Markt gekommen ist. Für die Massentauglichkeit reicht es dabei freilich nicht, denn einerseits ist der Einstiegspreis mit etwa 150 Euro nur für das Grundspiel ziemlich hoch, andererseits benötigt der Aufbau ohne übersichtliche Inlays leider recht lange. Und dann müsst ihr immer noch eine Gruppe finden, die sich regelmäßig zum Spielen treffen kann. Das sind einige Hürden, die Flaming Fowl Studio mit der Versoftung des Brettspiels ausmerzen konnte. Das Spiel schlägt momentan mit nur 34,99 Euro bei Steam zu Buche und in der digitalen Version müsst ihr natürlich kein Spielmaterial selbst aufbauen. Außerdem könnt ihr online mit Freunden zusammen spielen und falls nötig auch etwas übersichtlicher die Rolle mehrerer Charaktere gleichzeitig übernehmen, denn damit die Söldnergruppe in Gloomhaven loslegen kann, müssen mindestens zwei aktive Söldner dabei sein.

Asmosieh mal einer an, Asmodee kann es ja doch

Schauen wir uns einmal die bisherigen Versoftungen von Asmodee-Brettspielen an, bekommen wir ein einziges Trauerspiel geboten. Vor allem die schlecht umgesetzten Pandemic und Munchkin - Quacked Quest fallen direkt ins Auge. Nun ist aber glücklicherweise Asmodee nicht Publisher des Brettspiels (das ist Cephalofair Games), sondern nur der digitalen Version und als Entwickler zeichneten die Flaming Fowl Studios verantwortlich und nicht wie sonst üblich Asmodee Digital bzw. die inzwischen geschlossenen Fantasy Flight Games. Generell sind das bessere Voraussetzung, außerdem erschien Gloomhaven bereits 2019 im Early Access und wurde dann bis zum Release im Oktober 2021 mit Hilfe der Community verbessert und fertiggestellt.

Diese Faktoren sorgten schließlich dafür, dass das herausragende Brettspiel mit einer würdigen Versoftung bedacht wurde. Wie im Brettspiel auch übernehmen wir hier zu Beginn die Rolle eines Söldners, den wir aus zunächst sechs verfügbaren Klassen wählen können. Da hätten wir den Inox-Barbar, der in Angriff und Verteidigung glänzt. Die menschliche Schurkin, die stark zuschlagen kann, aber sich hauptsächlich auf Loot konzentriert. Die Ratzen-Gedankendiebin, eine Mischung aus Ratte und Katze, die ihre Gegner mit Gedankenkontrolle bezwingt. Das Savvas-Felsenherz, das sich das Element der Erde zu Nutze macht und viel mit der Umwelt zusammenarbeitet. Der Quatryl-Tüftler, der seine Teamkameraden mit gefährlichen Erfindungen unterstützt. Und die Antriden-Spruchweberin, die alle Elemente nutzt, um mächtige Zauber auf Gegner zu schleudern. Später im Spiel warten noch elf weitere Charaktere auf uns, die alle einzigartige Fähigkeiten besitzen und sich jeweils völlig anders spielen.

Mit dieser Gruppe unterschiedlicher Söldner ziehen wir los, um die 95 Szenarien der Kampagne zu absolvieren. Das Spielprinzip funktioniert dabei genau wie im Brettspiel, jede Runde wählen wir also zwei unserer Handkarten und spielen diese aus. Je nach Initiative wickeln wir dann nacheinander die Effekte dieser Karten ab, wobei auch die Gegner zufällig Karten ausspielen, die unterschiedliche Aktionen auslösen. Für Angriffe besitzt jeder Spieler und die Monster eigene Decks mit Angriffsmodifikatoren, sodass das Spiel komplett auf Würfel verzichten kann. Sämtliche Inhalte des Brettspiels wurden 1:1 in die digitale Version übernommen und sinnvoll mit den üblichen Quality-of-Life-Features eines Videospiels im Vergleich mit einem Brettspiel versehen.

Und noch einen Schritt weiter

Der rundenbasierte Dungeon Crawler bietet also durch die schiere Anzahl an Szenarien, Charakterklassen, Spielkarten und Items schon in der Brettspielkampagne mehr als genug Abwechslung und Inhalt für weit über 100 Stunden. Das detailliert ausgearbeitete Dark-Fantasy-Universum von Gloomhaven kann darüber hinaus aber auch noch grenzenlos erweitert werden, weshalb die Erweiterung "Die Pranken des Löwen" mit 25 neuen Szenarien, zehn neuen Monstern und vier weiteren Charakteren schon bald auch für die Digitalversion als DLC erscheinen soll. Diese bietet aber schon jetzt einen anderen Spielmodus, den es im Brettspiel überhaupt nicht gibt.

Im Gildenmeister-Abenteuer, das während der Early-Access-Phase zusammen mit der Community entworfen wurde, warten noch einmal über 160 Missionen auf euch, die exklusiv in der digitalen Version zu finden sind. Hier starten wir in einer entlegenen Region des Kontinents und müssen nach und nach die Handelswege zwischen den kleinen Städten vor Monstern, Kultisten und anderen bösen Kreaturen sichern. Wir starten dabei wieder mit den üblichen sechs Startcharakteren, was insofern Sinn ergibt, als dass diese sechs Charaktere nicht zu kompliziert zu spielen sind und sinnvoll die verschiedenen Spielstile vermitteln. Der Gildenmeister-Modus startet dabei mit einem gut konzipierten Tutorial und ist damit für Neulinge die beste Anlaufstelle, um das Spielprinzip von Gloomhaven zu verstehen.

Die Missionen im Gildenmeister-Modus können teilweise zwar deutlich kürzer ausfallen als die der Kampagne, dafür können wir die aktiven Söldner unserer Party völlig beliebig zwischen den Missionen austauschen, was im Hauptspiel aufgrund der persönlichen Ziele nicht möglich ist. Diese Ziele entfallen beim Gildenmeister, wo wir stattdessen globalen Erfolgen nachjagen müssen, um neue Inhalte freizuschalten. Diese Erfolge fallen recht vielfältig aus, sodass wir uns tatsächlich intensiv mit allen Charakteren und Spielmechaniken auseinandersetzen müssen, um wirklich alle Inhalte zu Gesicht zu bekommen. Auch hier ist es übrigens stets freigestellt, welche der offenen Missionen wir angehen wollen, eine feste Reihenfolge gibt es hier nicht. Ein weiterer Unterschied im Vergleich zur Kampagne besteht darin, dass die Gruppe sich das gesammelte Gold und die gekauften Items teilt. Auch die Szenarioziele erfüllen nun eine andere Funktion - sollten sie erfolgreich abgeschlossen werden, bekommt die ganze Gruppe ein wenig Erfahrung. Das Verändern des Angriffsmodifikatordecks durch ergatterte Haken ist also nicht mehr verfügbar, hier müssen wir auf vollständige Level Ups warten. 

Noch ein Wort zur Technik: Gut.

Die digitale Version von Gloomhaven sieht schick aus und besitzt detailliert ausgearbeitete Szenarien, die optisch ansprechend und visuell abwechslungsreich präsentiert werden. Die Charaktermodelle sind gut ausgearbeitet und auch das UI ist sinnvoll aufgebaut, sodass wir in jeder Situation die beste Übersicht haben. Musikalisch gibt sich das Spiel keine Blöße und setzt auf atmosphärische Melodien, die die Stimmung der Dungeons hervorragend einfangen. Die bereits angesprochenen Quality-of-Life-Features bereichern das Spielerlebnis und jedes Mal, wenn wir mal wieder das Brettspiel auspacken und aufbauen, wünsche ich mir die digitale Version herbei, in der wir einfach loslegen können. Bei all dem Lob vermisse ich allerdings eine Anzeige der globalen Erfolge und Gruppenerfolge sowie eine zusammenhängende Übersicht der Szenarien, in der ersichtlich ist, welche Missionen welche Wege freigeschaltet und andere Wege ausgeschlossen haben. Kleinere Bugs sind mir in den 160 Spielstunden zwar schon aufgefallen, diese werden allerdings regelmäßig von den aktiven Entwicklern rausgepatcht.

Fazit:

Wenn das beste Brettspiel aller Zeiten in einer wirklich gelungenen Versoftung als Videospiel umgesetzt wird, kann es nur ein gutes Produkt werden. Die digitale Version bietet nicht nur die Kampagne des Brettspiels, sondern geht noch einen Schritt weiter und verfügt zusätzlich über einen umfangreichen Gildenmeister-Modus, der perfekt für Anfänger geeignet und gleichzeitig aufregend für Veteranen des Brettspiels ist. Dabei will ich aber keine falsche Illusion erzeugen: Gloomhaven ist auch digital ein komplexes Kartenspiel, bei dem in jedem Szenario sämtliche Züge gut überlegt sein wollen. Andernfalls werdet ihr vom hohen Schwierigkeitsgrad gnadenlos überfordert (falls ihr aber einmal wirklich nicht weiterkommen solltet, gibt es im Menü verschiedene Schwierigkeitsgrade zur Auswahl). Das alles wurde technisch gut umgesetzt, wobei auch die Spielbarkeit dank des smarten Interfaces nicht leidet. Gloomhaven ist auch digital absolut zu empfehlen!

Unsere Wertung:
9.0
Nico Zurheide meint: "Ein Brett von einem Videospiel von einem Brettspiel."
Gloomhaven von Flaming Fowl Studios erscheint am 20.10.2021 für PC. Wir haben die Version für PC getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Asmodee Digital zur Verfügung gestellt.
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1 Kommentar:
Vyse)
Vyse
Am 25.03.2022 um 14:35
Wie heißt eine Mischung aus Ratte und Katze im Englischen? Crat? :D

Und macht es Sinn sich das Spiel als Solist zuzulegen, um dann alle Charaktere selbst zu spielen? Ginge das überhaupt?
nibez)
nibez
Am 25.03.2022 um 16:02
Die Ratze heißt auf Englisch leider Vermling ^^
Du kannst das durchaus auch alleine spielen, obwohl ich dann höchstens drei Söldner in der Gruppe empfehlen würde. Natürlich wird es dann etwas leichter, weil du ja alle Karten kennst und sie perfekt aufeinander abstimmen kannst. Dafür übersieht man alleine aber auch einige Dinge, insofern ist das mit dem Schwierigkeitsgrad nicht allzu schlimm. Den kann man ohnehin gut anpassen.