Test

Modern trotz Nostalgie-Faktor? Wir haben Gran Turismo 7 ausführlich getestet!

Von Andreas Held am 10.03.2022

Die Antwort auf die Frage, wann der letzte Gran-Turismo-Teil erschien, ist tatsächlich etwas subjektiv. Das viereinhalb Jahre alte Gran Turismo Sport gilt wohl selbst aus Sicht von Polyphony Digital nur als Spin-Off, und wurde von vielen Serienfans als ein Gran Turismo 7 Prologue wahrgenommen. Der Release von Gran Turismo 6 liegt mittlerweile über neun Jahre weit zurück, aber selbst der sechste Teil des selbsternannten Real Driving Simulators genießt nicht den besten Ruf. Serienschöpfer Kazunori Yamauchi lies seinerzeit in Interviews verlauten, dass die meisten Spieler nicht mehr so viel Zeit mit einzelnen Titeln verbringen möchten, und dass der GT-Modus von Gran Turismo 6 dies widerspiegeln werde. Die meisten Käufer des PlayStation-3-Titels erfüllten Yamauchis Wunsch: Sie verbrachten deutlich weniger Zeit mit dem Rennsimulator und vergaßen ihn recht schnell wieder. Der sechste Serieneintrag gilt heute gemeinhin als der schwächste Teil des Franchise. Ein großer Teil der Community ist sich sogar einig, dass Gran Turismo schon 2004 mit dem vierten Teil seinen Höhepunkt erreichte, seitdem mindestens stagniert ist und sich in vielen Aspekten sogar zurückentwickelt hat.

Sony scheint die Stimmung in der Fan-Basis zu kennen und vermarktete Gran Turismo 7 in erster Linie mit dem Versprechen, dass die langerwartete Fortsetzung sich wieder zu ihren Wurzeln bekennen würde. Dazu wurde nicht nur die Rückkehr des GT-Modus groß angekündigt - auch klassische Strecken wie der Trial Mountain und der Deep Forest Raceway feierten in Trailern ihr großes Comeback. Nach einer langen Wartezeit und Verschiebungen des Releasetermins dürfen wir uns nun endlich ansehen, ob die Marketing-Versprechen auch eingelöst wurden.

Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst...

Um es kurz zu machen: Den klassischen GT-Modus, in dem wir aus verschiedenen Rennserien wählen können, die vom Sunday Cup bis hin zur Gran-Turismo-Weltmeisterschaft reichen, gibt es auch im siebten Teil nicht. Stattdessen entscheiden wir uns im Veranstaltungskalender zunächst für einen der über 30 Kurse und wählen anschließend ein Renn-Event, das auf dieser Strecke ausgetragen wird. Die Anzahl und Vielfalt der Veranstaltungen wurde dabei ordentlich zurückgefahren: Spezialisierte Serien, in denen nur bestimmte Automarken oder wenige verschiedene Fahrzeugmodelle zugelassen sind, gibt es eigentlich nicht mehr. Offizielle Statements aus den Marketing-Materialien bewerben "über 100 Events" - doch da es sich bei den meisten von ihnen um drei bis fünf Minuten lange Einzelrennen handelt, kann man sich schnell ausrechnen, dass der Umfang selbst im Vergleich zum relativ kurzen GT-Modus des sechsten Teils noch einmal deutlich eingedampft wurde.

Zentraler Anlaufpunkt des neuen Karrieremodus ist das GT Cafe, ein teuer eingerichtetes Restaurant irgendwo im Wald, in dem über Texteinblendungen kommunizierende NPCs den Spielverlauf vorgeben. Cafebesitzer Luca überreicht euch dutzende Speisekarten, die euch indirekt vor die Aufgabe stellen, zwei bis drei streng vorgegebene Einzelrennen zu gewinnen. Abwechslung gibt es nur selten in Form von sehr kurzen Quests, die offensichtlich als Tutorial für andere Aspekte des Spiels gelten sollen - beispielsweise das Aufwerten von Fahrzeugen im Tuning-Shop oder das Schießen von Fotos im Scapes-Modus. Die Restaurantmetapher scheint kommunizieren zu wollen, dass euch Gran Turismo 7 vor ein riesiges Buffet aus spielerischen Möglichkeiten stellt, aus dem ihr eure Lieblingsaktivitäten auswählen dürft. Da jedoch auf jeder Speisekarte nur ein einzelnes Gericht steht, fühlen wir uns eher an die Aussage "Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!" erinnert. Wenn wir in Gran Turismo 7 ein bestimmtes Rennen absolvieren, dann nicht, weil wir uns bewusst dazu entschieden haben - sondern weil uns das Spiel gesagt hat, dass wir das jetzt so machen sollen.

Leider ist das GT Cafe nicht optional, denn sämtliche Funktionen des Spiels müsst ihr erst freischalten, indem ihr die einzelnen Speisekarten abarbeitet. Ihr habt kein Interesse an Rennen gegen die KI und wollt direkt in Multiplayer-Rennen einsteigen? Pech gehabt, das geht nicht. Sobald euch Luca aus seinen Fittichen entlässt, habt ihr dann endlich die große Gran-Turismo-Sandbox vor euch und könnt in mehreren Spielmodi versuchen, alle Gold-Trophäen zu erwerben. Neben den angesprochenen Renn-Events bietet euch das Spiel jeweils 60 Lizenztests und Fahrprüfungen an, in denen ihr meist noch kürzere, aber auch wesentlich schwierigere Aufgaben erfüllen müsst. Die neuen Lizenztests fallen zwar einfacher aus als in den Vorgängern; trotzdem wird vermutlich auch diesmal nur ein winziger Bruchteil aller Spieler dazu in der Lage sein, alle Goldmedaillen zu sammeln. Obwohl im Vergleich zu früheren Teilen einige Rückschritte gemacht wurden, ist der Umfang mit über 30 Strecken, über 400 Fahrzeugen, über 100 Events und insgesamt 120 Missionen nicht unbedingt klein.

Nostalgie pur

In vielen anderen Aspekten, die eigentlich einer dringenden Überarbeitung bedürften, ist sich Gran Turismo seit seinem Debut im Jahre 1997 absolut treu geblieben. Die KI-Fahrer scheinen in ihrer eigenen Welt zu fahren und man hat bisweilen den Eindruck, dass man nicht wirklich ein Rennen gegen sie fährt, sondern sich die Strecke nur rein zufällig mit ihnen teilt. Da ihr euch in den meisten Rennen innerhalb weniger Minuten vom letzten auf den ersten Platz vorarbeiten müsst und dies gegen eine gute KI gar nicht möglich wäre, sind die Gegner selbst auf dem höchsten der drei Schwierigkeitsgrade entsprechend langsam. Und während sich die Fahrphysik natürlich mit jedem neuen Teil weiterentwickelt, laufen Kollisionen immer noch sehr ähnlich ab wie auf der ersten PlayStation. Fahrzeuge verlieren selbst bei stärkeren Zusammenstößen kaum Bodenhaftung und können sich grundsätzlich nicht überschlagen. Auf dem Trial Mountain könnt ihr wie vor 25 Jahren einige Zeit sparen, indem ihr die 180°-Kurve nach der langen Geraden nicht sauber anbremst, sondern einfach mit Vollgas an der Wand entlangschlittert. Das Schadensmodell ist bestenfalls rudimentär: Knallt ihr mit 300 km/h gegen eine Barriere, habt ihr danach vielleicht einen kleinen Kratzer oder eine Beule auf der Frontstoßstange. Im Karrieremodus sind sämtliche Fahrzeugschäden aber ohnehin deaktiviert und lassen sich auch nicht einschalten.

Diese offensichtlichen Punkte sind nur Beispiele dafür, wie sich Polyphony Digital schlichtweg weigert, die von Genrekonkurrenten lange etablierten Features auch bei sich umzusetzen. Wollt ihr das völlig überladene HUD konfigurieren und die Streckenkarte oder die ständig eingeblendete Rangliste ausblenden? Das geht nur, wenn ihr das HUD komplett abstellt und somit auch wichtige Informationen wie eure aktuelle Geschwindigkeit oder die Tankanzeige verliert. Wollt ihr längere Rennen mit eingeschalteten Fahrzeugschäden und notwendigen Boxenstopps fahren? Das geht nur im Arcade-Modus, in dem die Preisgelder gemessen am Zeitaufwand deutlich niedriger ausfallen als in den vorgegebenen Rennen. Boxenfunk gibt es nicht. Ein Rewind-Feature gibt es nicht. Wenn ihr eure Tuning-Setups online mit anderen Spielern teilen wollt, müsst ihr Screenshots machen und diese ins Internet stellen, damit andere Spieler sie manuell kopieren können. All diese Aspekte lösen die Forza-Serie und auch die meisten anderen aktuellen Rennspiel-Franchises schon seit Langem deutlich besser.

Always Online, Loot-Boxen und Mikrotransaktionen

Das heißt aber nicht, dass Gran Turismo 7 überhaupt keine Frischzellenkur erfahren hat, denn viele moderne Games-as-a-Service-Elemente haben es ins fertige Spiel geschafft. Eine stabile Internetverbindung ist auch für den Einzelspielermodus zwingend erforderlich - bricht diese ab, werdet ihr aus dem Spiel gerissen und könnt lediglich unbezahlte Einzelrennen gegen die KI fahren. Derartige Verbindungsabbrüche sind uns am Releasewochenende fast im Stundentakt passiert und führten nicht selten zum Verlust von Spielfortschritt. Erfüllt ihr die tägliche Aufgabe, eine Marathon-Distanz (also etwas über 42 Kilometer) am Steuer eines Fahrzeugs zurückzulegen, erhaltet ihr ein Roulette-Ticket, mit dem ihr an einer Art Glücksrad einen zufälligen Geldbetrag, ein Tuning-Teil oder ein neues Auto gewinnen könnt. Leider ist dieses Roulette offensichtlich gezinkt und bleibt fast immer auf einem kleinen Geldbetrag stehen, aber immerhin werden die Glücksspiel-Tickets nicht für Echtgeld verkauft. Dafür könnt ihr im PlayStation-Store beliebig viele Ingame-Credits auf euer Konto laden, wenn ihr euch sofort die schnellsten Autos kaufen und diese voll aufrüsten wollt.

Besonders perfide ist dabei die Art und Weise, wie die seltensten Wagen innerhalb des Spiels angeboten werden. Diese sind zum einen sündhaft teuer, sodass ihr zehn Stunden oder noch länger grinden müsstet, um euch ein einzelnes dieser Autos leisten zu können. Es ist schon arg auffällig, wenn in einem Spiel, das in all seinen Facetten auf schnelle Erfolge und geringe Spielzeiten ausgelegt ist, der einzige Aspekt, der sich mit Echtgeld überspringen lässt, plötzlich zu einem massiven Zeitfresser wird. Zum anderen werden die "legendären" Wagen nur in einem speziellen Shop mit langsam rotierendem Inventar angeboten. Wie lange sie dort verfügbar sind und ob sie später noch einmal angeboten werden, kann euch niemand sagen. Einige Fahrzeuge sind sogar mit dem Warnhinweis "begrenzter Bestand" versehen - was auch immer das genau heißen mag. Viele Spieler dürften aus Angst davor, dass sie das für den Erwerb eines dieser Sammlerstücke nötige Spielgeld nicht schnell genug beisammenbekommen, lieber ihre Kreditkarte zum Kauf von Credits einsetzen als ein entsprechendes Risiko einzugehen. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist dies ein von Polyphony Digital ganz bewusst eingesetzter psychologischer Trick, um die Verkaufszahlen der Mikrotransaktionen zu befeuern. In einem 80 Euro teuren Vollpreisspiel muss man so etwas mit aller Härte kritisieren.

Objektophilie

Natürlich gibt es auch ein paar Dinge, die Gran Turismo 7 richtig macht. Die Fahrphysik ist nach wie vor über jeden Zweifel erhaben und deckt vom untersteuernden Kleinwagen über das träge Muscle Car bis hin zum wendigen Rennboliden alles ab. Die abwechslungsreiche Auswahl an Rennstrecken fährt neben den üblichen Verdächtigen wie dem Nürburgring oder der Laguna Seca auch einige Deep Cuts wie den Willow Springs Raceway oder kreative, nicht real existierende Strecken auf. Technisch ist der Titel absolut solide und bietet bei einer ansehnlichen Optik stabile 60 FPS. All diese Pluspunkte sind jedoch auch auf Konsolen kein Alleinstellungsmerkmal mehr - viele andere Rennsimulationen wie Assetto Corsa oder die Formel-1-Spiele von Codemasters haben längst zur Produktionsqualität von Gran Turismo aufgeschlossen. Somit bleibt als einzige spielerische Trumpfkarte der GT-Modus, denn die Karrieremodi anderer Rennspiele sind in der Regel deutlich enger gefasst und nach einem Wochenende durchgespielt. Gran Turismo 7 sollte euch zumindest ein bis zwei Wochen lang beschäftigen können, wenn ihr alle Renn-Events abschließen wollt - und noch deutlich länger, falls ihr Goldmedaillen jagen, möglichst viele Autos sammeln oder die Ranglisten im Online-Multiplayer-Modus erklettern wollt.

Einen strahlenden Lichtblick gibt es dann allerdings doch: Das Design der Fahrzeuge ist der Konkurrenz meilenweit voraus und erreicht auf der PlayStation 5 einen nahezu fotorealistischen Detailgrad. Dies bezieht sich auch und vor allem auf die Innenräume, wo selbst kleinste Armaturen in die 3D-Modelle übernommen wurden. Da ein früheres Modell des Autos, das ich im echten Leben fahre, auch im Spiel enthalten ist, kann ich die Detailtreue sogar aus erster Hand bezeugen. Im Scapes-Modus können wir bis zu drei Fahrzeuge auf einem von über 2.500 Foto-Hintergründen platzieren, und die Render-Engine gibt sich jede Mühe um es so aussehen zu lassen, als ob sich das Auto tatsächlich an diesem Ort befunden hätte. Dieser Effekt funktioniert mal mehr und mal weniger gut, aber wenn er funktioniert, ist das Endergebnis von realen Fotoaufnahmen praktisch nicht mehr zu unterscheiden.

Fazit:

In vielerlei Hinsicht erinnern mich die Kritikpunkte, die ich in diesem Review geäußert habe, an die Argumente, mit denen mein Kollege Jerry oft gegen Nintendo schießt: Polyphony Digital hat sämtliche Innovationen und technischen Fortschritte, die das Rennspiel-Genre in den letzten zehn bis 20 Jahren durchgemacht hat, gekonnt ignoriert und setzt stattdessen weiter auf eine sehr schwache KI, lächerliche Kollisionsphysik und ein lediglich rudimentäres Schadensmodell. Gleichzeitig wurden extrem spielerunfreundliche Design-Entscheidungen wie der selbst im Single-Player-Modus vorhandene Online-Zwang und die vermeintliche Wahl zwischen stundenlangem Grinding oder Echtgeld-Einsatz konsequent durchgezogen. Spielerisch und inhaltlich ist Gran Turismo 7 absolut solide, angesichts der Entwicklungszeit von über neun Jahren aber auch ziemlich enttäuschend. Insbesondere die Tatsache, dass ich das Spielerlebnis nicht so frei konfigurieren kann wie in anderen Genrevertreten und daher zu skurrilen Arcade-Rennen gezwungen werde, in denen ich mich innerhalb von Minuten durch das komplette Fahrerfeld boxen muss, stößt im Jahr 2022 sehr sauer auf. Dazu kommt dann noch mein Ärger darüber, dass ich am Releasewochenende regelmäßig aus dem Spiel geflogen bin, weil Polyphony unbedingt seinen besch... Aufgrund eines Netzwerkfehlers befindet sich dieses Review im Offline-Modus. Der Rest des Fazits ist nur im Online-Modus verfügbar. Bitte überprüfen Sie Ihre Internet-Verbindung.

Unsere Wertung:
7.0
Andreas Held meint: "Gran Turismo 7 ist für die Rennspiel-Serie, was Schwert & Schild für die Pokémon-Serie waren: Ein ambitionsloser Nachfolger, der gerade genug bietet, um aufgrund seines starken Markennamens trotzdem gekauft zu werden."
Gran Turismo 7 von Polyphony Digital erscheint am 04.03.2022 für PlayStation 4 und PlayStation 5. Wir haben die Version für PlayStation 5 getestet. Für diesen Test wurde uns ein Rezensionsexemplar von Sony zur Verfügung gestellt.
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3 Kommentare:
Etzloets)
Etzloets
Am 11.03.2022 um 11:31
Sehr guter Test. Fasst meine Meinung gut zusammen. Es wirkt an vielen Stellen auch so lieblos. Bei soviel Text und Hintergründen keinen Sprecher einzusetzen ist schon schade. Regeneennen waren spielerisch und optisch in Forza Motorsport 5 besser. Die Kampagne ist zu kurz und geradlinig. Sehr schade
Tobsen)
Tobsen
Am 11.03.2022 um 18:17
Sehr guter Test, der die Stärken und Schwächen des Titels gut beleuchtet! Lediglich die von dir erwähnten Discos habe ich zum Glück noch nicht erlebt.
GF0P)
GF0P
Am 12.03.2022 um 10:04
Das mit dem Café, Roulette-Tickets und Echtgeld-Autoshop, sowie dem permanent Online, wirkt beim Lesen, als hätte man sich hier stark bei Forza Horizon orientiert. Und als Fan der Horizon Reihe muss ich sagen, dass mir diese Elemente zunehmend auf den Sack gehen!
Aber will GT nicht eigentlich eine ernsthafte Simulation sein? Was soll da der Quatsch? Und bei einem Disconnect nicht ordentlich spielen zu können geht gar nicht!
Zumindest scheint ja das Kerngameplay abzuliefern und ich hoffe das bringt Turn10 in Zugzwang für Forza 8!