Test

F1 2016

Von Niko Schopinski am 04.09.2016

Wer zeitnah zum Release der aktuellen Konsolen im Weihnachtsgeschäft 2013 eine akkurate Formel 1-Simulation zocken wollte, wurde enttäuscht. Die 2013er-Saison endete nahezu simultan mit Veröffentlichung von Xbox One und Playstation 4, viele Fans erwarteten somit den ersten Ableger der neuen Generation für das Jahr 2014. Doch die Geduld wurde von Entwickler Codemasters auf eine weitere harte Probe gestellt: F1 2014 wurde wieder nur für die „alten“ Konsolen und den PC veröffentlicht, Besitzer der neuen Geräte schauten weiter in die Röhre. Trotz der langen Wartezeit geriet das im letzten Jahr dann endlich veröffentlichte F1 2015 eher zum Early-Acces-Snack, als zu wirklich vollwertiger Kost. Der Titel bot zwar ein solides Grundgerüst, enttäuschte aber mit wenig Umfang und wirkte an einigen Stellen auch etwas unfertig. Nun ist es an der Zeit, die vernachlässigten Fans mit vollwertiger Kost zu beglücken. Ob dies gelungen ist, klärt der Test der PS4-Version.

Karriere machen

Der bei F1 2015 wohl am häufigsten kritisierte Punkt war die Abwesenheit eines weitreichenden Karrieremodus. Zwar gab es die Möglichkeit, eine Meisterschaftssaison mit einem Fahrer aus dem echten Formel 1-Zirkus zu absolvieren, viel mehr als eine uninspirierte Aneinanderreihung von Standardrennen stellte diese aber nicht dar. Glücklicherweise haben die Entwickler endlich die Zeit genutzt und F1 2016 eine umfangreiche und motivierende Karriere verpasst, die nun das absolute Herzstück des neuen Spiels darstellt. Zum Start wird der gewünschte Umfang eines Rennwochenendes abgefragt. Natürlich ist es möglich, ein komplettes Rennwochenende zu absolvieren, alternativ kann aber auch auf Kurz- oder Blitzqualifying und verkürzte Rennen umgeschaltet werden. Die Trainings-Sessions lassen sich übrigens nicht komplett deaktivieren. Was anfangs etwas unverständlich anmutet, erklärt sich aber durch die Ressourcenpunkte, die für die Weiterentwicklung des F1-Boliden erfahren werden können. Mehr dazu aber später. Der Umfang von Qualifying und Rennen lässt sich praktischerweise auch vor jedem weiteren Rennen neu bestimmen, so ist der Spieler nach der Anfangswahl nicht unwiderruflich festgelegt. Sehr gut! Nun darf sich der geneigte Hobbypilot seinen Avatar aus einigen vorgefertigten Gesichtern aussuchen und endlich als eigenes Alter Ego die Rennfahrerkarriere starten. Neben einem individuellen Helm werden noch Vor- und Nachname, Namenskürzel, Nationalität und Startnummer abgefragt, dann stellt sich schon die adrette Agentin vor, die sich um Vertragsangebote und die Kommunikation mit dem Team kümmert.

Der persönliche Laptop fungiert als übergeordnete Schaltzentrale der Karriere, hier können wichtigen Statistiken abgefragt, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung geplant und auch das nächste Rennwochenende angesteuert werden. Grundlagen der Reifenregularien und wichtige Erklärungen bezüglich der Trainingsinhalte und -ziele sowie der neuen Ressourcenpunkte werden in kurzen und nett gemachten Videotutorials erklärt.

Trainingsweltmeister

Die freien Trainings sind nun nicht länger belanglose Fahrten zum Kennenlernen der Strecken, sondern integraler Bestandteil der Rennwochenenden und notwendig für die Weiterentwicklung des Fahrzeugs. Die verschiedenen Aufgaben und Schwerpunkte motivieren und geben das Gefühl, an wirklich ernstzunehmenden Testfahrten für die technische Verbesserung des Boliden teilzunehmen.

Beim sogenannten Streckenakklimatisierungsprogramm gilt es, auf dem Kurs platzierte Markierungen zu durchfahren, die sich auf der jeweiligen Ideallinie befinden. Dies schult die Streckenkenntnis und spornt sehr dazu an, eine akkurate Linie zu fahren. Außerdem soll an den entsprechenden Abschnitten der Strecken auch das DRS aktiviert werden. Je nach Genauigkeit der zurückliegenden Fahrt werden im Anschluss Ressourcenpunkte verteilt, die in die Freischaltung bestimmter Technikpakete des Autos, wie beispielsweise optimierte Aerodynamik oder verbesserte Treibstoffeffizienz, investiert werden dürfen. Die in Auftrag gegebenen Upgrades werden dann zum nächsten Rennwochenende umgesetzt. Ein weiteres Trainingsziel ist das Reifenmanagement. Hierbei soll unter Schonung der Reifen eine vorgegebene Rundenzeit unterboten werden. Eine Grafik zeigt den Zustand der Pneus an, bei regelmäßigen Fahrten über die Kerbs oder Ausflügen ins Kiesbett ist der rote Bereich schnell erreicht. Außerdem gibt es weitere Ressourcenpunkte für das Erreichen einer für das Qualifying tauglichen Rundenzeit und für diverse Teamziele. Die neuen Trainingsfahrten sind eine motivierende Neuerung innerhalb der Karriere, wer darauf aber verzichten möchte oder bereits seine Ziele erreicht hat, der kann sich auch vorzeitig zum Qualifying begeben. Was nun folgt, ist im Grunde bekannte Kost.

Das Wetter lässt sich in der Karriere nicht verstellen, es läuft komplett dynamisch und unvorhersehbar ab. Dabei sind die Fahrten bei Starkregen deutlich anspruchsvoller, als  Ausflüge bei schönstem Sonnenschein. Auch an die Anpassung der F1-Boliden hat Codemasters gedacht. In der Garage lässt sich das Setup des Fahrzeugs mit Hilfe eines Tablets in fünf Stufen, von maximalem Abtrieb bis zum maximaler Spitzengeschwindigkeit, grob verstellen. Optional dürfen sich Experten aber auch an detailliertem Feintuning versuchen. Außerdem kann die Reifenstrategie im Rahmen der Regularien dezent angepasst werden – wem das zu kompliziert ist, der bestätigt einfach die angebotene Voreinstellung. Die neue Fahrerkarriere kann übrigens auch als Profikarriere gestartet werden, in der der Spieler vollumfängliche Rennwochenenden unter massiv erschwerten Bedingungen (keine Fahrhilfen, kein HUD, nur Cockpitkamera, Schwierigkeitsgrad „ultimativ“ usw.) absolvieren kann. Das dürfte für Profis durchaus reizvoll sein, allerdings könnte man sich dies auch selbst konfigurieren.

News

Sobald das erste Rennen beginnt, kommt direkt eine spannende Neuerung von F1 2016 zum Tragen: Der manuelle Start. Hierbei muss der Fahrer zunächst die Kupplung treten (beim Dualshock 4-Controller die X-Taste gedrückt halten), dann auf das Gaspedal treten (R2 drücken), bis eine passende Motordrehzahl erreicht ist und beim Erlöschen der roten Startampeln schließlich die Kupplung lösen (X-Taste loslassen) und durchbeschleunigen. Doch Vorsicht: Wer zu früh startet, riskiert eine Durchfahrtsstrafe oder gar die Disqualifikation vom Rennen. Der manuelle Start lässt sich auch in den Einstellungen deaktivieren, die kleine Geschicklichkeitseinlage bringt aber deutlich mehr Spannung und Pfiff ins Spiel. Die ebenfalls neu integrierte Einführungsrunde ist nett gemeint und sorgt für weitere Authentizität, ist im Grunde aber zum Gähnen langweilig. Gut, dass sie dem Spieler nicht aufgezwungen wird und sich vorher abschalten oder auch noch währenddessen überspringen lässt. Ansonsten hat es endlich auch das Safety Car wieder ins Spiel geschafft. Es fügt sich gut ein und bringt weitere Spannung ins Spiel. Das Safety Car und auch die Einführungsrunde sind aber erst ab einem Rennumfang von mindestens 25%, bezogen auf die Volldistanz, verfügbar.

Und wie fährt es sich?

Fahrtechnisch stellt F1 2016 eher eine sanfte Evolution des Vorgängers dar. Oberflächlich betrachtet ist eher wenig passiert, im Detail ist das Fahrverhalten aber noch etwas griffiger geworden. Positiv ist anzumerken, dass sich der neue Titel sowohl mit dem Controller, als auch mit Lenkrad, ohne weitere Anpassungen direkt hervorragend steuern lässt. Das im Test verwendete Wheel (Thrustmaster TM T300 Ferrari GTE) fühlte sich auf Anhieb fantastisch an und erforderte keinerlei Experimente bei den Einstellungen zur Lenkempfindlichkeit. Insgesamt fühlt sich F1 2016 hervorragend und sehr ausgewogen an. Für höheren Anspruch lassen sich natürlich wieder ABS sowie die Traktionskontrolle deaktivieren bzw. Letztgenannte auch abschwächen. Doch Vorsicht: Ohne die Hilfen bricht schnell das Heck aus, gefühlvolles Beschleunigen ist essentiell vonnöten. Wem das zu anstrengend ist, der dürfte mit aktivierten Fahrhilfen aber immer noch ein befriedigendes Fahrerlebnis haben. Eine gute Hilfe für Anfänger ist die dynamische Ideallinie: Sie kann optional zugeschaltet werden und zeigt den Streckenverlauf und auch die Bremspunkte recht zuverlässig an. Seid ihr multitaskingfähig, so dürft ihr euch intensiver mit der Multifunktionsanzeige beschäftigen. Diese gibt euch während der Fahrt wichtige Informationen zum Zustand eures Fahrzeugs, außerdem könnt ihr direkt einige Einstellungen wie zum Beispiel Abtrieb und Bremskraftverteilung anpassen sowie die Reifenwahl für den nächsten Boxenstopp überdenken. Etwas weniger ablenkend ist der Boxenfunk: Per einfacher Sprachbefehle lassen sich über das Mikrofon eines angeschlossenen Headsets ein Boxenstopp anfordern oder wichtige Statusinformationen zum Fahrzeug und dem Rennverlauf abfragen. Wer sich ernsthaft mit den Sprachbefehlen auseinandersetzt, bekommt nach kurzer Eingewöhnungs- und Lernphase einen echten Mehrwert und teils große Hilfestellung für das Renngeschehen geboten. Außerdem verstärken die Funksprüche das Mittendrin-Gefühl; sie kommen enorm der Atmosphäre zugute.

Hübsches Ding?

Bei der Technik muss sich der geneigte Hobbypilot mit kaum wahrnehmbaren Verbesserungen zufrieden geben. Das Spiel sieht gut bis sehr gut aus, gerade Lens-Flare-Effekte, Hitzeflimmern, die Lichtstimmung und auch die Fahrzeugmodelle sind sehr gelungen. Ein erheblicher Fortschritt im Vergleich zum Vorgänger ist der Titel aber nicht. Das Geschwindigkeitsgefühl ist immer noch hervorragend, zudem laufen die Rennen flüssig ab. Erkauft wird das wie im Vorgänger mit sichtbarem Bildzerreißen, sobald Kurven durchfahren werden. Gefühlt ist dies aber minimal weniger auffällig, als beim Vorgänger. Sehr stimmungsvoll ist die bei allen Strecken mögliche Wahl der Tageszeit. Zumindest bei den Schnellrennen kann beispielsweise der traditionell als Nachtrennen ausgetragene Große Preis von Singapur auch am helllichten Tag stattfinden. Fahrten bei Dunkelheit sind hingegen nur in Bahrain, Singapur und Abu Dhabi verfügbar. In Verbindung mit den traditionell tollen Regeneffekten gibt es somit erfreulich unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Raserei.

Die Charaktermodelle der virtuellen Stars gehen förmlich soweit in Ordnung. Man kann inzwischen auch die Teamchefs wie Christian Horner, Toto Wolff und Maurizio Arrivabene beim Bejubeln eines Rennsieges recht gut erkennen. Was den Detailgrad angeht, ist auf den aktuellen Systemen aber definitiv mehr möglich. Auch auf Lippensynchronität bei den kurzen Gesprächen mit der Agentin wurde leider nicht allzu viel Wert gelegt. Der Sound der Boliden klingt leider immer noch etwas dünn – Konkurrenten wie Project CARS wissen da mehr zu beeindrucken. Wem die Funksprüche mal wieder viel zu leise und somit kaum zu verstehen sind, der sollte ein wenig mit den Audio-Optionen herumspielen, sonst könnten während eines hitzigen Rennens wichtige Informationen zu Benzinmenge und Zustand der Bereifung untergehen.

Entdecke die Möglichkeiten

Sehr erfreulich ist die Tatsache, dass sich das Spiel sehr individuell dem eigenen Geschmack anpassen lässt. Neben dem Umfang der Rennen, dem Wetter und der Tageszeit lassen sich etliche weitere Parameter, zum Beispiel bei den erweiterten Lenkradeinstellungen, der Knopfbelegung und dem Beispiel von Project CARS folgend, jetzt auch bei den Kameraperspektiven justieren. Darüber hinaus kann der Spieler je nach persönlichen Vorlieben neben den diversen Fahrhilfen auch das Schadensmodell hinzuschalten, abmildern oder komplett deaktivieren. Dieses wirkt zwar eher oberflächlich, sorgt aber trotzdem für gesteigerten Blutdruck bei intensiven Positionskämpfen. Die Strafen für zu intensives Kurvenschneiden lassen sich nicht komplett abschalten, bei der Wahl zwischen „regulär“ und „streng“ ist das erstgenannte aber recht verzeihend ausgerichtet. Ansonsten sind die ausgesprochenen Strafen für aggressives Fahren noch immer nicht durchgehend gerecht oder logisch. Wie auch bei F1 2015 neigen die computergesteuerten Fahrer leider dazu, stur der Ideallinie zu folgen und den Spieler ab und an rüde von der Strecke zu schubsen. Wenn das Spiel dann noch dem Geschädigten die Schuld an dem Unfall gibt und eine entsprechende Strafe ausspricht, ist Frust vorprogrammiert. Gut, dass man in diesem Fall Gebrauch von der unlimitiert verfügbaren Rückspulfunktion machen kann.

Neben der Karriere und den obligatorischen Modi Schnellstart und Zeitfahren bietet das Spiel weiterhin die aus F1 2015 bekannte und recht unspektakuläre Meisterschaftssaison an. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, mit Freunden und Fremden aus aller Welt online seine Rennen auszutragen. Wer schon immer mal eine ganze Formel 1-Saison mit seinen Online-Kumpels austragen wollte, der bekommt mit der Mehrspielermeisterschaft nun endlich die Möglichkeit dazu. Darüber hinaus können auch wieder benutzerdefinierte Spielsitzungen nach eigenen Vorlieben zusammengestellt werden. Die Leistung der Boliden lässt sich übrigens gleichschalten, so sind die Mercedes-Piloten nicht mehr im Vorteil. Wer sofort einsteigen möchte, sucht sich aus der Session-Liste seinen Favoriten heraus oder startet direkt in einem der Matchmaking-Modi durch. Anfänger versuchen sich zunächst an den Drei-Runden-Rennen, bei denen Kollisionen mit anderen Fahrern deaktiviert, Rempeleien also nicht möglich sind. Der Sprint-Modus ist da schon aufregender, hier werden fünf Runden mit möglichem Gegnerkontakt absolviert. Wer auf etwas längere Wettbewerbe abfährt, der wählt die Langstreckenrennen, die mit 25% Umfang samt Blitzqualifying und auch dynamischem Wetter ausgetragen werden.

Die Online-Raserei lief während des Tests erfreulich flüssig und ohne spürbare Lags ab. Leider stören, wie bei Rennspielen leider üblich, immer wieder rücksichtslos rempelnde Pistenrambos den Fahrspaß. In Verbindung mit dem teils unlogisch agierenden Bestrafungssystem sorgt dies immer wieder für Ärger. Wer die Möglichkeit hat, seine Rennen mit mehreren und fair fahrenden Freunden zu absolvieren, der wird am Online-Modus aber seine helle Freude haben und dort viel Zeit verbringen können. Der einst mit F1 2011 auf Xbox 360 und PS3 eingeführte Splitscreen-Modus hat es übrigens noch immer nicht auf die aktuelle Konsolengeneration geschafft.

Fazit:

Mit F1 2016 haben die Entwickler von Codemasters nun endlich ein sehr gutes und nach dem Vorgänger fast schon überraschend vollwertiges Rennspiel auf die Beine gestellt. Es vermittelt ein rasantes und knackiges Fahrgefühl und bietet zahlreiche Optionen zur individuellen Anpassung. Der neue Karrieremodus motiviert dazu, tiefer in die Materie und die Welt der Formel 1 einzutauchen und sich intensiver mit den Strecken, den Fahrzeugen und auch einigen Regularien zu beschäftigen. Wer dazu bereit ist, wird mit einem intensiven Spielerlebnis und spannenden Momenten belohnt. Besitzt ihr bereits den Vorgänger und absolviert nur gelegentlich ein paar schnelle Runden, dann könnt ihr aber auch bei F1 2015 bleiben. Bringt ihr allerdings die Zeit und auch die Lust auf, euch nachhaltig mit dem Spiel und der umfangreichen Karriere zu beschäftigen, dann führt kein Weg an dem neuen Titel vorbei. Zwar neigt die KI weiterhin zu unschönen Rempeleien und auch die Technik hat im Detail noch etwas Luft nach oben, allerdings kann das den hervorragenden Gesamteindruck nur wenig trüben.

Unsere Wertung:
8.5
Niko Schopinski meint: "F1 2016 ist mit dem motivierenden Karrieremodus und vielen Detailverbesserungen die bisher beste und reifste Formel 1-Umsetzung und auch insgesamt ein richtig gutes Rennspiel."
F1 2016 erscheint für PC und PlayStation 4 und XBox One. Wir haben die Version für PlayStation 4 getestet.
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