Test

Shantae

Von Andreas Held am 05.05.2021

Nicht so bescheidene Anfänge

Shantae hat sich heutzutage in der Spieleindustrie etabliert und es sogar - wenn auch nur als Spirit - in Super Smash Bros. geschafft. Doch bis ins Rampenlicht war es ein weiter Weg: WayForward erschuf seine Platformer-Heldin bereits 1997, hatte es jedoch aufgrund der hohen Anforderungen an das Game-Boy-Color-Modul und der damit verbundenen hohen Produktionskosten schwer, einen Publisher zu finden. Am Ende stellte Capcom, als der Game Boy Advance schon seit etwa einem Jahr erhältlich war, vermutlich nur eine niedrige fünfstellige Anzahl von Exemplaren des Metroidvanias her, das ein gemischtes Echo von der Fachpresse erhielt und kommerziell absolut floppte. Mit der Zeit wurde Shantae jedoch als eines der besten Game-Boy-Spiele überhaupt bekannt, was zusammen mit der streng limitierten Auflage und dem Erfolg späterer Serienableger dafür sorgte, dass das originale Game-Boy-Modul zu einem absoluten Sammlerstück wurde. Allein der Datenträger bringt auf eBay im Schnitt über 400€, für ein komplettes Set mit OVP und Anleitung wurden zuletzt über 2.700€ auf den Tisch gelegt. So war es sehr willkommen, dass WayForward in Kooperation mit Limited Run Games einen offiziellen Re-Release der originalen Hardware auf den Weg gebracht hat. Wer den immer noch sehr hohen Preis für das speziell hergestellte Handheld-Modul nicht berappen wollte, kann nun stattdessen im eShop der Nintendo Switch eine Portierung von Shantaes erstem Abenteuer erwerben.

Shantae: Episode 1

"Oh nein, du bist meine Erzrivalin, die Piratin Risky Boots! Ich wünschte, ich wäre ein richtiger Djinni und nicht nur ein Halb-Djinni - dann könnte ich meine Heimatstadt Scuttle Town viel besser vor dir beschützen!" So, oder zumindest ähnlich gestelzt, klingen die Dialoge zu Beginn des Handheld-Titels, die ihren Spielern die Grundzüge der Spielwelt erklären wollen, in die sie gerade eingetaucht sind. Obwohl Shantae Schlimmeres verhindern kann, erbeutet Risky bei ihrem Angriff auf Scuttle Town eine Dampfmaschine, mit der sie offenbar nichts gutes vorhat. Shantae muss deshalb ihren Posten verlassen und die Spielwelt ihres Debut-Titels bereisen, um Risky das Handwerk zu legen und die Dampfmaschine zu ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückzubringen.

Nach kurzer Zeit wird klar, dass WayForward einen für Game-Boy-Verhältnisse unglaublich ambitionierten Titel erschaffen hat. Das Metroidvania bietet uns eine große, nicht lineare Spielwelt mit Alternativrouten und zahlreichen versteckten Collectibles. Auch das Gameplay ist überraschend komplex: Mit der Zeit kann Shantae nicht nur neue Waffen und Spezialangriffe erwerben, sondern auch Tänze mit verschiedenen Effekten lernen. Einige davon verwandeln Shantae in verschiedene Tiere, mit denen sie in Bereiche der Spielwelt vordringen kann, die für ihre menschliche Form außer Reichweite liegen. Auf ihrer Mission muss die Heldin außerdem einige Dungeons bewältigen, die in Größe und Komplexität mühelos mit den Verliesen mithalten können, die wir aus der Zelda-Serie kennen. So müssen eine ganze Zeit lang Gegner besiegt, Schlüssel gesammelt und Rätsel gelöst werden, bis wir uns schließlich dem Endkampf stellen können. In vielerlei Hinsicht ist der Game-Boy-Titel sogar spürbar anspruchsvoller und komplexer als neuere Serienableger.

Leider ist der Game Boy vielleicht die falsche Plattform für so einen Titel. Wahrscheinlich aufgrund von Hardware-Beschränkungen müssen wir sowohl die Open World als auch die Dungeons des Platforming-Abenteuers komplett ohne Karte und nur mit rudimentären Wegbeschreibungen absuchen, was für viele Spieler ein K.O.-Kriterium sein könnte. Außerdem sorgen die zu nah herangezoomte Kamera und die steife Steuerung sehr oft dafür, dass wir ohne Eigenverschulden getroffen werden. Letztendlich kann die Zielplattform auch nicht als Universalausrede für diese Probleme herhalten, denn fast alle dieser Aspekte hatte das zehn Jahre ältere The Legend of Zelda: Link's Awakening bereits besser gelöst. Auch das Extraleben-System wirkt für einen derartigen Titel eher unpassend: Verlieren wir unseren letzten Versuch, wird Shantae zum letzten Speicherpunkt zurückgeschickt und startet von dort aus erneut. Deshalb empfiehlt es sich, wenn ihr mit Ach und Krach einen Speicherpunkt erreicht, absichtlich ein Game Over herbeizuführen, um eure Extraleben wieder aufzustocken.

Saubere Portierung mit wenigen Extras

Shantae ist auf Nintendo Switch sowohl in der Originalversion als auch im Game-Boy-Advance-Modus spielbar; letzterer greift auf eine optimierte und etwas hellere Farbpalette zurück, sodass der Ur-Modus wirklich nur für absolute Puristen interessant sein dürfte. In beiden Modi dürft ihr jederzeit auf ein Emulator-Menü zurückgreifen und einen Spielstand anlegen oder wieder laden, was sowohl als Komfortfeature als auch zum Aushebeln des recht hohen Schwierigkeitsgrads genutzt werden kann. Eine Rückspul-Funktion gibt es nicht. Technisch laufen beide Versionen absolut sauber und ohne eine wahrnehmbare Verzögerung bei der Verarbeitung von GamePad-Eingaben. Die sehr dudelige Hintergrundmusik kann allerdings schon ein bisschen in den Ohren schmerzen - Jake Kaufman komponierte zwar im Lauf seiner Karriere tolle Soundtracks für Spiele wie DuckTales Remastered, Shovel Knight und Cat Girl Without Salad: Amuse-Bouche, aber 2002 steckten seine künstlerischen Fähigkeiten offensichtlich noch in den Kinderschuhen. Im Hauptmenü können wir eine kleine Galerie mit Artworks, Sprite Sheets und Übersichtskarten einiger Dungeons aufrufen - das war dann aber auch schon das einzige Extra, das WayForward mit auf das Switch-Modul gepackt hat.

Fazit:

Shantae in seiner Ur-Version ist aus heutiger Sicht sicherlich nicht viel mehr als ein Relikt. Selbst Spieler, die auf der Suche nach Herausforderungen sind und spätestens beim Erforschen der komplexen Dungeons durchaus auf ihre Kosten kommen könnten, werden sich vermutlich stark am kompletten Fehlen einer Weltkarte und dem sehr eingeschränkten Gameplay stören. Die Portierung hat durchaus ihre Reize, denn viele der interessantesten Aspekte das Game-Boy-Erstlings - neben den gerade erwähnten Dungeons vor allem die Tänze und die Tierverwandlungen - wurden in späteren Serienablegern komplett gestrichen. Gerade deshalb wäre es vielleicht schön gewesen, wenn WayForward ein komplettes Remaster des Handheld-Metroidvanias auf die Beine gestellt hätte: Dann könnten wir die toll gestalteten Gebiete mit der Unterstützung angemessener Quality-of-Life-Features auch wirklich genießen. So bleibt unterm Strich ein objektiv betrachtet zwar sehr guter, aber auch sehr sperriger Titel, an dem nur eine sehr kleine Zielgruppe wirklich Spaß haben wird.

Unsere Wertung:
7.5
Andreas Held meint: "Shantae ist für einen Game-Boy-Color-Titel einerseits extrem ambitioniert, lässt andererseits jedoch wichtige Kernfeatures vermissen, die selbst auf dem Retro-Handheld umsetzbar wären."
Shantae erscheint für Nintendo Switch. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet.
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