Es ist wieder Zeit. Kurz vor der geplanten Enthüllung von Nintendo NX dringen erstmals Gerüchte aus verlässlicher Quelle ans Tageslicht. Wir bewerten die Meldungen und ordnen sie ein.

Man konnte fast die Uhr danach stellen. Im April des Jahres 2011 tauchten eines Tages plötzlich Gerüchte um „Project Café“ auf, einem vermeintlichen Nachfolger der Wii-Konsole. Mehrere Medien berichteten unabhängig voneinander darüber und beriefen sich auf anonyme Quellen. Zwei Monate später stellte Nintendo auf der E3 schließlich Wii U vor. Und bestätigte damit einen großen Teil der inoffiziellen Vorabmeldungen.

Nun wird es mit Nintendo NX ernst. Nach viel Stochern im Nebel in den vergangenen Monaten erreichen jetzt die ersten ernstzunehmenden Gerüchte die internationale Fangemeinde. Eurogamer, eine verlässliche Quelle, skizzierte das mögliche Konzept von Nintendos neuer Konsole unter Berufung auf anonyme Tippgeber. Doch was ist wirklich dran an den aktuellen Meldungen? Wir ordnen sie für euch ein und bewerten sie.

Wie glaubwürdig sind die NX-Gerüchte?

Zunächst die Gretchenfrage: Sollte man sich überhaupt mit Gerüchten beschäftigen, wo doch die natürliche Gefahr besteht, dass sie sich letztlich als Humbug herausstellen? Im aktuellen Fall: Ja. Je näher die Vorstellung einer Konsole rückt, desto mehr Zulieferer, Dritthersteller und Partner müssen eingebunden werden, um den Launch vorzubereiten. Je mehr Partner involviert sind, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass echte Details nach außen dringen. 

Nintendo will NX im März 2017 auf den Markt bringen, so der aktuell offizielle Stand. Das ist in acht Monaten. Vor der Markteinführung muss Nintendo das Gerät erst einmal vorstellen. Das wird aller Voraussicht nach im frühen Herbst passieren, im September oder Oktober, damit ausreichend Zeit bleibt, um Marketing für das neue Konzept zu betreiben. Kurzum: NX wird dem Prototypenstadium entwachsen sein, Nintendo muss jetzt Nägel mit Köpfen machen. Es ist Zeit, sich festzulegen und gegenüber ausgewählten Partnern den Schleier zu lüften. 

Heute ist es also schlichtweg wahrscheinlicher als vor einem Jahr, dass jemand, der gegenüber Medien behauptet, etwas von NX gesehen zu haben, auch wirklich etwas von NX gesehen hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gerüchte nicht frei erfunden sind, ist hoch.

Wird NX ein Handheld oder eine Konsole?

Die aktuellen Meldungen besagen, dass NX weder Handheld noch Konsole wird. Beziehungsweise beides. Die Rechenleistung soll hinter einem tabletartigen Bildschirm stecken. An dieses Tablet werden zwei Controller-Adapter angedockt, die die Steuerung erleichtern. In dieser Konfiguration wäre NX eine mobile Handheld-Konsole. Zu Hause würde man die Controller-Adapter entfernen und den Bildschirm in eine Docking-Station stecken, die das Bild auf den Fernseher überträgt. Gespielt wird dann mit den beiden Controller-Einzelteilen oder mit anderen Nintendo-Eingabegeräten. Der Handheld würde so zur TV-Konsole.

Diese Idee ist, gelinde gesagt, nicht neu. Sie war eine der ersten, die Fans und Experten für NX hatten. Nukleus der Spekulation ist eine organisatorische Maßnahme von Nintendo aus dem Februar 2013. Damals integrierte Satoru Iwata die vormals separate Entwicklungsabteilung für Handheld-Konsolen in die allgemeine Hardware-Entwicklung. Es entstand das Nintendo Integrated Research & Development-Team. Ziel war es, die Kräfte für die Entwicklung der Plattformen, auf denen Nintendo seine Spiele veröffentlicht, zu bündeln. Um „Assets [also Spiele] besser transferieren zu können“, hieß es damals. Mittlerweile ist Nintendo IRD in dem Bereich Platform Technology Development aufgegangen, der auch die Entwicklung von Betriebssystemen, Netzwerkdiensten oder Entwicklerframeworks verantwortete.

Nintendos Ziel hinter diesen Maßnahmen ist klar: Die sture Trennung zwischen Handheld und Konsole aufheben. Ein Spiel wie Luigi’s Mansion 2 solle eben nicht nur auf dem Nintendo 3DS, sondern viel leichter auch auf der Heimkonsole zum Laufen gebracht werden. Auf dem New Nintendo 3DS hat Nintendo mit Xenoblade Chronicles 3D schon einmal ausprobiert, wie so etwas funktionieren könnte.

Das beschriebene NX-Konzept, das mit den aktuellen Gerüchten beileibe nicht zum ersten Mal erwähnt wird, wäre der Inbegriff dieser Philosophie. Es gäbe nicht mehr zwei Nintendo-Plattformen, sondern eine – und dennoch hätte man weder das Handheld-Geschäft noch den Konsolenmarkt aufgegeben. Nintendo könnte all seine Spieleentwickler auf diese eine Konsole einschwören. Eine Maßnahme, die wirtschaftlich enorm sinnvoll wäre und in klarer Konsequenz der Umstrukturierungen der letzten Jahre steht. Die Gerüchte sind also sehr realistisch.

Wird NX Cartridges nutzen?

Die aktuellen Gerüchte gehen abseits der Handheld-/Konsolenfrage bereits in technische Details. So ist auch die Rede davon, dass die NX-Konsole keine Discs mehr nutzen, sondern zu Cartridges zurückkehren wird.

Auch diese Meldung hören wir nicht zum ersten Mal. Mit Blick auf die bemunkelten Handheld-Fähigkeiten von NX waren Cartridges immer eine valide Option, schließlich ist ein Disc-Laufwerk in mobilen Systemen unüblich. Auf der letzten Investoren-Konferenz der Firma Macronix soll der General Manager CY Lu darüber gesprochen haben, dass man für Nintendos kommendes System Speicherbausteine liefern soll. Ein eindeutiges Indiz für die Cartridge-Technologie, handelt es sich bei Macronix doch um den Produzenten der Module für den Nintendo 3DS. Als The Legend of Zelda – Breath of the Wild dann zur E3 auch als Cartridge-Spiel in Markenschutz-Datenbanken auftauchte, erhärteten sich die Spekulationen. Schließlich war der Titel zu diesem Zeitpunkt schon für NX angekündigt. Und die Wii U-Version hätte mit Cartridges nichts zu tun. Sollte NX ein Hybrid werden, sind auch Cartridges sehr wahrscheinlich.

Wird das NX-Innenleben von Nvidia-Chips betrieben?

Der wohl bemerkenswerteste Teil der Gerüchte: Nintendo setzt bei der Hardware-Architektur auf Technologie von Nvidia, nicht auf AMD- oder Intel-Chips. Genauer gesagt ist von Chips der Tegra-Reihe die Rede. NX würde sich technologisch damit recht weit von PlayStation und Xbox, aber auch von Wii U entfernen. 

Nvidia-Technologie würde ins Bild einer mobilfähigen Hardware passen, denn Nvidias Chips sind auch für mobile Geräte entwickelt worden. Nicht nur mit der hauseigenen Shield-Box, sondern auch mit einem eigenen Tablet hat Nvidia bereits einen Weg in den Gaming-Sektor gesucht. Nintendo könnte den Amerikanern ein willkommener Partner sein. Das Rechenherz will die Balance zwischen Energiekonsum und Leistung herstellen und schaffte es in mehreren Tests, große Titel der Xbox 360 und PlayStation 3 in hoher Qualität wiederzugeben.

Die Vergleichbarkeit mit anderen aktuellen Konsolen fällt wegen der mitunter verschiedenen Architekturansätze schwer; grob eingeschätzt wäre NX leicht leistungsstärker als die aktuelle Wii U-Konsole, allerdings potenziell hinter PlayStation 4 und Xbox One, geschweige denn deren bereits angekündigten Nachfolgern, Scorpio und PS4 Neo. 

Der grafische Sprung wäre wohl in etwa vergleichbar mit dem vom Nintendo GameCube zu Wii. Nintendo ist bekannt dafür, seine Konsole zu Gunsten besonderer Features und Funktionen nicht auf Leistungsfähigkeit zu trimmen; auf eine Konsole, die bei der grafischen Leistungsfähigkeit „nur“ einen Mittelweg geht, muss man sich also ohnehin einstellen.

Es ist allerdings noch zu früh, um wirklich belastbar beurteilen zu können, um welche spezifische (Nvidia-)Hardware es sich handeln könnte, um den X1-Chip oder einen möglichen Nachfolger aus der Tegra-Reihe. Letztlich wird das auch eine Kostenfrage. Die Hardware-Konfiguration kann sich vor dem Launch noch geringfügig ändern. Auch muss sich zeigen, wie leicht es die Nvidia-Technologie den Drittherstellern machen würde, Spiele von anderen Konsolen auf NX zu portieren.

Prinzipiell sieht es aber gut aus. Während die Wii U auf einer PowerPC-Architektur basierte, sind die Chips von Nvidia ARM-basiert. Diese Architektur ist besonders auf Mobilgeräten wie Smartphones und Tablets so weit verbreitet, dass inzwischen alle großen kommerziellen Spiele-Engines diese Architektur unterstützen. Davon abgesehen würde eine zu hohe Leistungsdifferenz im Vergleich zur PS4 und Xbox One aber dazu führen, dass die Entwickler auf eine kostspielige Anpassung ihrer Grafiken und 3D-Modelle auf ein NX-verträgliches Niveau verzichten oder die Publisher daher lieber erst einmal nur etwas betagtere und leichter zu portierende Titel aus ihrem Lineup für NX veröffentlichen. Nintendo könnte also wieder Probleme damit bekommen, attraktive Spiele abseits der eigenen auf seiner Plattform anzubieten. 

Wird NX über weitere besondere Features verfügen?

Es wird also immer wahrscheinlicher, dass Nintendo mit NX auf eine Hybridkonsole setzt, die man sowohl mitnehmen als auch zu Hause über den Fernseher betreiben kann. Doch … ist das alles? 

Der Ansatz wäre vor allem für Nintendo ein pfiffiger, schließlich muss man sich bei der Spieleentwicklung nicht mehr zwischen zwei Plattformen zerreißen. Und Fans profitieren von ständigem Nachschub an Nintendo-Software. Doch: Ein neues Spielerlebnis würde Nintendo nach jetzigem Stand nicht kreieren. Man hätte einen ganz klassischen Handheld entwickelt und ihn mit einer ganz klassischen Heimkonsole verbunden (die dann zusammen natürlich nicht mehr klassisch sind). Doch weder wäre NX die leistungsfähigste noch die spielerisch innovativste Konsole auf dem Markt. Exklusive Features wie die Bewegungssteuerung der Wii-Konsole hätte sie nach jetzigem Stand nicht. Einem großen Publikum zu erklären, warum es toll ist, seine Spiele jetzt auch mitnehmen zu können, obwohl die meisten unterwegs doch ohnehin nur seichte Casual-Spiele spielen wollen und keine epischen Zelda-Abenteuer, dürfte schwierig werden.

Ob Nintendo also noch weitere innovative Ideen für NX hat – das bleibt derzeit unklar. Genau wie so viel anderes, was dieses neue System betrifft. Nintendo hat es bislang nur mit einem Adjektiv beschrieben: „brandneu.“