Death Stranding
Wir befinden uns irgendwann in der nahen Zukunft oder wahrscheinlicher noch in einem Paralleluniversum. Nach einer mysteriösen Katastrophe, der die meisten Menschen zum Opfer gefallen sind, sieht der Osten der USA jetzt wie die karge, aber zugegebenermaßen schöne Landschaft Islands aus. Dunkle Felsen umgeben von Moospolstern und Grasbüscheln dominieren das Terrain.
Ein zunächst noch namenloser Mann ist auf einem futuristischen Motorrad abseits aller Straßen unterwegs. Er hält an, um sich die Landschaft anzuschauen. Sein Blick gleitet über den Horizont, dann über die Schulter zurück in die Richtung, aus der er gekommen ist. Er bemerkt einen Schwarm Krähen über einem Felsen. Einige der Tiere fallen tot vom Himmel, denn es hat zu regnen begonnen und der Regen beschleunigt die Zeit. Ein einzelner Regentropfen fällt auf das Haupt des Motorradfahrers und färbt sein Haar an dieser Stelle weiß. Der Mann streift sich gelassen seine Kapuze über und nimmt mit seiner Maschine wieder Fahrt auf. Er muss Unterschlupf vor dem Regen finden, muss dazu jedoch über einen Abgrund springen. Beim Landemanöver streift er eine Frau, die mit einem seltsamen Sci-Fi-Regenschirm willkürlich in der Gegend herumsteht, und er fällt von seiner Maschine. Sein Motorrad geht verloren, er bleibt jedoch unverletzt und kann sich gerade noch zu Fuß in eine Höhle retten. Dort trifft er die Frau wieder. Zusammen verstecken sie sich erst vor dem Regen, dann vor einem unsichtbaren Wesen, das nur anhand von Abdrücken im Schlamm zu erkennen ist. Die Frau heißt Fragile, trägt gerne Lack- und Lederkostüme und isst fliegende Insekten, weil Letztere dem Zeitregen entgegenwirken. Genau wie der Motorradfahrer, der sich ihr als Sam Porter Bridges vorstellt, verfügt sie über DOOMS und kann deshalb die Anwesenheit der unsichtbaren Kreaturen wahrnehmen.
Die Frau verschwindet. Sam muss ab jetzt ohne Motorrad weiter. Das Intro des Spiels ist zu Ende. Willkommen in der Welt von Death Stranding!
Wieso ist der Apfel kariert? Weil die Birne Violine spielt.
Sollten es die oberen Zeilen, die wirklich nur die ersten Minuten des Spiels beschreiben, nicht schon längst klar gemacht haben, sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich gesagt: Die Story von Death Stranding ist so außergewöhnlich, surreal und komplex wie sie bescheuert ist. Kojima präsentiert uns mit ernster Miene und auf völlig pathetische Art und Weise eine fast reine Trash-Story. Mit viel Wohlwollen lässt sie sich als Sci-Fi-Märchen beschreiben.
Unser Hauptprotagonist Sam Porter Bridges (gespielt von Norman Reedus) ist ein Kurier, der sich nur von Monster-Energy-Drinks ernährt, wenn er nicht gerade fliegende Insekten futtert. Er ist aber zugleich auch der Sohn der im Sterben liegenden US-Präsidentin und ein sogenannter Wiederkehrer, was bedeutet, dass er praktisch unsterblich ist. Er leidet außerdem unter Aphenphosmphobia, einer Krankheit, die dafür sorgt, dass jeder menschliche Kontakt Narben auf seiner Haut hinterlässt. Sein Arbeitgeber ist die Firma Bridges, die sich auf Leichenbeseitigung, übernatürliche Babys in tragbaren Brutkästen (sogenannte Bridge Babys oder auch BBs) und den Transport unterschiedlichster Gegenstände spezialisiert hat. Die Welt, in der er lebt, wird nach einer Katastrophe – dem Gestrandeten Tod – von furchteinflößenden Wesen aus dem Reich der Toten bedroht. Die wenigen Überlebenden der Katastrophe hausen in isolierten Städten und Bunkern, und so versucht Sam mit Hilfe einiger völlig exzentrischer Charaktere, die auf so bunte Namen wie Fragile, Die-Hardman, Deadman, Heartman oder Mama hören, die zerstückelte Gesellschaft des Landes wieder zusammenzuführen. Um dies zu bewerkstelligen, muss er von Stadt zu Stadt beziehungsweise von Bunker zu Bunker reisen und sie an das chirale Netzwerk anschließen. Chiralium ist dabei ein chemisches sowie magisches Element, das aus Kristallen gewonnen wird.
Die gute Nachricht ist, dass Death Stranding tatsächlich versucht viele dieser seltsam klingenden Details der Spielwelt zu erklären. Die schlechte Nachricht: Die Erklärungen ergeben selten mehr Sinn, als die Dinge, die erklärt werden müssen. Wer Death Stranding frustfrei spielen möchte, muss über der Story stehen und darf nicht versuchen, sie mit konventionellen Mitteln zu analysieren. Die Geschichte enthält zwar einige Symbole und Referenzen, die sich teilweise durchaus auf unsere eigene Welt und deren geopolitische Situation übertragen lassen, aber größtenteils ist sie einfach nur ein wildes Konstrukt aus pseudo-wissenschaftlichen und esoterischen Begriffen, die das Spiel als surreales Erlebnis zusammenhalten. Immerhin sind einige Story-Passagen und speziell die Hauptcharaktere so fantasievoll bizarr, dass sie trotz fehlender Logik wirklich gut unterhalten können.
Alright! I‘m a delivery boy!
Sam Porter Bridges ist, wie oben bereits beschrieben, ein Kurier – ein absolut legendärer und von allen Mitmenschen verehrter Kurier zwar, aber letztlich nicht mehr als ein Postbote, dessen Aufgaben in der Regel darin bestehen, verschiedene Gegenstände von A nach B zu transportieren. Das sind häufig essentiell wichtige Gegenstände, wie Medizin oder Waffen, aber gelegentlich auch völlig banale Dinge wie eine Pizza. Viel Zeit verbringen wir deshalb damit, wie ein Packesel mit großen Kisten beladen und in entsprechend gemächlichem Tempo quer durch die karge Landschaft zu stapfen. Was in anderen Videospielen bestenfalls nervige Sidequests sind, das sind hier Missionen, die sich über dutzende Stunden ziehen und den mit Abstand größten Teil von Death Stranding ausmachen. Das einsame Durchstreifen der schier endlosen Weiten kann eine entspannende bis kathartische Wirkung entfalten, viel häufiger aber einfach nur langweilen. Verschiedene Fahrzeuge und Exoskelette sollen die Transportmissionen kurzweiliger gestalten, oft lässt das Terrain deren Nutzung jedoch nicht oder nur begrenzt zu.
Damit das Gameplay nicht völlig verflacht, hat sich Kojima immerhin ein paar Kniffe einfallen lassen. Wenn es im Spiel zu regnen beginnt, können GDs (Gestrandete Dinge) auftauchen – so werden die Monster im Spiel genannt. Im Beisein von GDs fängt unser Bridge Baby im mobilen Brutkasten zu schreien an und fungiert so als eine Art GD-Frühwarnsystem. Durch das Bridge Baby werden die GDs zudem für Sekundenbruchteile sichtbar. Sam, der das Spiel ohne Waffen beginnt, muss dann den Atem anhalten und möglichst leise an den GDs vorbeischleichen. Nach dem Erhalt spezieller Waffen – zunächst Granaten aus Blut und Exkrementen – kann Sam die GDs auch bekämpfen.
Wird Sam von den GDs erwischt, ziehen ihn die Monster in die Fuge, eine Welt zwischen Leben und Tod. Um wieder zu seinem Körper zu gelangen, muss er dort einem goldenen Strang folgen, der wie ein überdimensionaler Faden in der Luft hängt.
Anderswo warten zwar keine übernatürlichen Wesen aus dem Totenreich, aber auch menschliche Gegner können Sam Probleme bereiten. Die sogenannten MULEs haben es auf Sams Fracht abgesehen, während die Mitglieder einer Militia namens Homo Demens Sam davon abhalten wollen, die Städte miteinander zu vernetzen.
Neben den seltsamen Monstern, den Diebesbanden und Söldnern, die alle verhältnismäßig selten auftauchen, ist es aber vor allen Dingen die Landschaft an sich, die Death Strandings glorifizierte Fetch-Quests zu Herausforderungen werden lassen. Wenn Sam mit einem hohen Stapel an Kisten und Containern über holprigen Untergrund stapft, muss er seine Balance immer wieder anpassen, um nicht umzufallen und sein kostbares Frachtgut zu beschädigen oder schlimmer noch zu verlieren. Bereits vor dem Beginn jeder Mission muss er seine Ausrüstung und die Fracht so über seinen Körper verteilen, dass sie ihm möglichst wenig in die Quere kommt. Selbst eine perfekt ausbalancierte Ware kann aber durch Sturmböen oder zu hastige Bewegungen aus dem Gleichgewicht gebracht werden und wenn das passiert, müssen wir entsprechend passender Einblendungen den linken oder rechten Trigger drücken, um die Fracht wieder ins Lot zu bringen. Drücken wir beide Trigger gleichzeitig, greift Sam seine Fracht fester und geht langsamer, was speziell an Abhängen oder in tieferen Flüssen wichtig ist. Klingt mühsam? Ist es auch.
Alleine im Team
Apropos Flüsse: immer wieder müssen Bäche, Flüsse oder auch Höhenunterschiede im Terrain überwunden werden, wozu Sam Leitern und Seile bei sich tragen kann. Mit diesen Gegenständen baut er provisorische Brücken und Treppen. Der Clou hierbei ist, dass diese Hilfsmittel auch von anderen Spielern benutzt werden können. Death Stranding ist mitnichten ein Multiplayer-Titel, alle Solo-Spieler sind jedoch aufgrund der Eigenschaften des Chiraliums indirekt miteinander vernetzt. Dies hat zur Folge, dass sie in erschlossenen Gebieten Gegenstände miteinander teilen und sich kleine Botschaften hinterlassen können. Jede Kopie von Death Stranding funktioniert also wie eine von unzähligen Parallelwelten, in die wir hin und wieder einen flüchtigen Blick werfen dürfen. Vorgefertigte, aus einfachen Symbolen bestehende Hinweise anderer Spieler warnen so beispielsweise vor GDs oder MULEs, oder machen auf versteckte Ressourcen aufmerksam. Wenn wir im Terrain ausrutschen und unsere Fracht verlieren, finden wir mit etwas Glück die Fracht anderer Spieler und können diese stattdessen mitnehmen. Wenn wir im späteren Spielverlauf nach dem Baubeginn einer Straße oder einer größeren Brücke feststellen, dass wir nicht genügend Ressourcen für deren Fertigstellung besitzen, können wir diese einfach ruhen lassen, in der Hoffnung, dass andere Spieler sie für uns fertig bauen. Die Chance, dass das tatsächlich passiert ist relativ hoch, denn eine funktionierende Infrastruktur kommt allen Spielern zugute.
Benutzten wir ein von einem anderen Spieler erstelltes Objekt, können wir wie auf einer Social-Media-Seite ein "Like" hinterlassen. Die Likes bringen uns in einer Rangliste nach oben, haben ansonsten jedoch keinen Einfluss auf das Spiel. Ungeachtet dessen sind die Interaktionen mit anderen Spielern zweifelsohne ein zentrales Element von Death Stranding. Die Nachrichten und Objekte anderer Spieler machen das Spiel nicht nur leichter, sie nehmen der absichtlich kargen, leblosen Welt etwas von ihrer Einsamkeit. Angesichts der Tatsache, dass Sam Porter Bridges Menschen zu vernetzen versucht, im eigenen Namen das Wort „Bridges“ trägt und auch noch für eine gleichnamige Firma arbeitet, ist es sicher nicht abwegig zu behaupten, dass Kojima hier ganz bewusst mehr zwischenmenschliche Beziehungen – Brücken zwischen Fremden – von unserer Zivilisation fordert. Unverständlich ist nur, wieso er diese Botschaft so umständlich und zeitraubend verpackt hat.
Metal Gear Solid lässt grüßen
Wenn Sam nicht gerade Pakete austrägt und mit unsichtbaren Mitstreitern interagiert, kann er Zeit in den Bunkeranlagen verbringen. In privaten Zimmern darf er sich unter anderem mit dem Bridge Baby beschäftigen, duschen oder das WC benutzen, wobei die Toilette in der Dusche untergebracht ist. Letzteres muss so sein, denn Urin, Kot und Duschwasser werden allesamt zur Herstellung von Waffen gegen die GDs abgepumpt. In den privaten Zimmern kann Sam nach einiger Zeit auch eine Schnellreisefunktion benutzen, diese verbindet aber nur die größten Bunker miteinander und kann nicht zum Transport von Waren verwendet werden.
Außerhalb der Bunker schlägt sich Sam durch MULE-Lager oder bekämpft Mitglieder der Homo Demens und deren Anführer Higgs. Die Kämpfe erinnern ein wenig an Kojimas Vorzeigeserie Metal Gear Solid, aber das Gameplay wird nie auch nur annähernd so komplex. Sam kann sich in hohem Gras verstecken, Nahkampfattacken ausführen oder sich mit Schusswaffen verteidigen, wobei er Letztere erst nach vielen Stunden Spielzeit erhält. Weil sich Leichen seit dem Gestrandeten Tod in GDs verwandeln, dienen die exotischen Schusswaffen in der Regel nicht dem Töten von Gegnern, sondern nur dem Kampfunfähig-machen. Das ergibt im Kontext des Spiels natürlich Sinn, hat aber zur Folge, dass sich Gebiete nie endgültig von Gegnern befreien lassen. Nach einiger Zeit stehen ohnmächtige oder mit dem sogenannten Bola-Gewehr gefesselte Feinde einfach wieder auf. Anders formuliert: Gefährliche Gebiete bleiben immer gefährlich und damit ein Hindernis auf den Transportwegen.
Die Actionpassagen tun dem Spiel dennoch gut, kommen aber besonders während den ersten Stunden viel zu selten vor und hätten deutlich mehr Tiefe vertragen können. Erst sehr spät bringt Kojima mehr Abwechslung ins Gameplay und wir müssen noch einmal betonen: Death Stranding ist letzten Endes kein Action- oder Rollenspiel. Es ist eine stellenweise schrecklich langatmige Postbotensimulation, die lediglich Action- und Rollenspielelemente beinhaltet.
Immerhin weiß Death Stranding technisch fast vollkommen zu überzeugen. Die kargen Landschaften sehen unglaublich realistisch aus, die Schauspieler kommen mit ausdrucksstarken Animationen daher und das Sounddesign mitsamt lizenzierter Songs ist wunderbar atmosphärisch. Besonders die GDs wurden audiovisuell beeindruckend umgesetzt. Spätestens wenn im Zeitregen ein GD-Endboss auftaucht, verwandelt sich das ganze Land um Sam in einen blubbernden See aus schwarzem Teer. Hände greifen aus der dunklen Masse, halten ihn fest, zerren ihn nach unten. Das sieht zum Teil wirklich atemberaubend gut aus.
Death Stranding setzt im Laufe des Spiels zudem Kojima-typisch auf eine gewaltige Anzahl an Videosequenzen, die wie mit einer Handkamera „gedreht“ wurden und ein äußerst cineastisches Flair aufkommen lassen. Dass Death Stranding fantastisch gut aussieht ist übrigens nicht verwunderlich, denn zum Einsatz kommt eine weiterentwickelte Version der Decima-Engine, die von Guerrilla Games für Horizon Zero Dawn entwickelt wurde. Hin und wieder kam es während unserer Testphase jedoch zu kurzen Soundaussetzern, und es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Death Stranding eine absolut chaotische, überladene Menüführung besitzt. Fast jede Taste ist doppelt belegt, und alle Entscheidungen müssen vor dem Verlassen eines Menüs durch das Gedrückthalten einer bestimmten Taste (X oder Dreieck) bestätigt werden - selbst nach Stunden nervt das System immernoch und macht das Itemmanagement zur Qual.
Fazit:
Death Stranding ist als Spiel unglaublich schwer zu bewerten. Es ist einzigartig und lässt sich dadurch nur schlecht mit anderen Spielen vergleichen. Es ist außerdem ein handwerklich nahezu perfekt umgesetztes Kunstwerk, aber ein abstraktes, schwer zu fassendes und seltsam trashiges Kunstwerk, das sich ganz bewusst weit abseits vom Mainstream-Markt platziert.
Kojimas Spiel rund ums metaphorische Brückenbauen bietet einige absolut geniale Momente, fordert allerdings enorm viel Geduld. Denn bis die besten Szenen über den Bildschirm flimmern dürfen, vergehen erst viele, viele Stunden repetitiver, langweiliger Transportmissionen, die nur dazu dienen die Einsamkeit und Trostlosigkeit der Welt zu betonen und Spieler zur indirekten Teamarbeit zu zwingen. Manche Gamer werden die genialen Momente des Spiels dadurch erst recht zu schätzen wissen und die langwierigeren Passagen als notwendiges Übel betrachten, alle anderen werden sich dagegen fragen, wieso Kojima aus einem ziemlich abgedrehten, aber dennoch sehr guten 15-Stunden-Spiel unbedingt ein durchwachsenes 45-Stunden-Spiel machen musste.
Ist schon komisch, früher konnten Spiele für mich nicht lang genug sein, heutzutage bevorzuge ich oftmals sogar so 15-20 Stunden Titel.
Death Stranding hört sich leider so an als wäre dies nicht der Fall...
Natürlich sind 15-20 Stunden Titel als Erwachsener trotzdem praktischer. Ich mag es bspw. gar nicht wenn ich ein stroylastiges 50-100h Spiel nicht am Stück zocken kann. Wenn man da Wochen dran sitzt, weiß man am Ende dann nachher nicht mehr was am Anfang war. Dahingehend gehen 15-20 Stunden Titel schon mal besser runter, ein Wochenende reicht, für längeres braucht man halt ein paar mehr freie Tage.
Wie ich vor kurzem schon mal sagte: Ist interessant, vielleicht dann auf der PS5. :P