Test

The Sinking City (Nintendo Switch)

Von Jeremiah David am 12.09.2019

Lovecraft-Horror für Hobby-Detektive

The Sinking City ist ein Open-World-Abenteuerspiel mit Rollenspielelementen und einem starken Fokus auf Erkundung und Recherche, inspiriert durch die Werke des Autors H.P. Lovecraft, der besonders durch den Cthulhu-Mythos bekannt wurde. Das ukrainische Entwicklerstudio Frogwares hat für die aktuelle Konsolengeneration bereits die beiden Sherlock Holmes-Spiele Crimes & Punishments und The Devil's Daughter entwickelt, kennt sich mit mysteriösen Detektivgeschichten also bestens aus.

In The Sinking City spielen wir im Osten von Massachusetts um 1920 den Privatdetektiv Charles Reed. Der gute Mann wird von schrecklichen Alpträumen und seltsamen Visionen geplagt. Darin sieht er immer wieder eine überflutete Stadt und ein riesiges Tentakelmonster. Um hinter das Geheimnis seiner Visionen zu kommen, macht er sich nach dem Erhalt eines Briefes nach Oakmont auf, einer Ortschaft, die nach scheinbar übernatürlichen Sturmfluten teilweise unter Wasser steht und mehr oder weniger von der Außenwelt abgeschnitten ist.

Dort angekommen stellt er schnell fest, dass die Einwohner der ehemals florierenden, inzwischen jedoch stark heruntergekommenen Fischerstadt Fremden gegenüber äußerst argwöhnisch sind. Die Leute sind auch optisch ein mehr als seltsames Völkchen. Manche sehen fast wie Affen aus, andere haben Fischköpfe. Beide Gruppen sind auf ihr Aussehen stolz, können sich aber gegenseitig nicht ausstehen. Reed wird nur deshalb akzeptiert, weil er als Privatdetektiv gleich nach seiner Ankunft am Hafen bei der Aufklärung eines Falls helfen kann. Der Sohn des affengesichtigen Bürgermeisters Robert Throgmorton ist spurlos verschwunden. Auch andere Einwohner fehlen seit einigen Tagen. Als Gegenleistung für die Hilfe bietet Throgmorton Reed seine Unterstützung an. Er ist außerdem interessiert daran, herauszufinden, wieso sich einige Oakmonter immer seltsamer benehmen und hat im Zusammenhang mit einer Massenhysterie bereits eine Expedition zum Meeresgrund finanziert.

Mehr Krimi- als Actionspiel

Der Hafen von Oakmont stellt eine Art Tutorial dar. In diesem zunächst von der Außenwelt abgegrenzten Teil der Stadt befragen wir einige Männer, die den Vermissten Albert Throgmorton zuletzt gesehen haben und untersuchen deren Haus. Die zwielichtigen Herren geben an, dass der junge Mann zunächst von einem Rettungsboot aufgegriffen wurde. Danach soll er völlig ausgerastet sein.

Ähnlich wie in The Vanishing of Ethan Carter oder Call of Cthulhu, einem weiteren Adventure im Lovecraft-Universum, kann Reed bei der Untersuchung von Fällen in eine Art Detektivmodus schalten. Das Spiel nennt diesen Modus "Retrokognition". Reeds Umgebung wird dann in kalten Blautönen wiedergegeben und geisterhaft Gestalten spielen wichtige Ereignisse aus der Vergangenheit nach. So sieht Reed, wie Albert im Hafen von einigen Fischern angegriffen wurde. Eine Spur führt in eine nahe gelegene Halle, wo Reed zum ersten Mal auf einen Gegner trifft. Ein kleines, spinnenartiges Wesen, das auch aus einem Teil der Silent Hill-Serie stammen könnte, greift den Privatdetektiv an und zwingt ihn dazu, seine Schusswaffe zu zücken. Auf der Switch kann Reed anders als auf der PlayStation 4 oder Xbox One nicht nur mit den Analog-Sticks zielen. Die Entwickler haben die Switch-Versionen des Spiels mit einer optionalen Bewegungssteuerung versehen, aber egal für welche Steuerungsmöglichkeit ihr euch entscheidet, ihr werdet mit den Kämpfen wenig Spaß haben. Die klassische Steuerung fühlt sich äußerst träge und schwammig an, während die Bewegungssteuerung vertikal zwar gut funktioniert, horizontal aus irgendeinem Grund jedoch kaum nutzbar ist. Glücklicherweise muss sich Reed nicht sonderlich oft gegen Gegner bewähren. Meist kann er vor Feinden einfach flüchten, was im Kontext des Spiels tatsächlich auch Sinn ergibt, denn Munition ist in Oakmont nach der Flutkatastrophe so rar, dass einzelne Patronen als Währung verwendet werden. Zur Not kann Reed Schusswaffen auch für Melee-Attacken einsetzen. 

Nach dem Aufklären des ersten Falls öffnet sich ein Tor im Hafengebiet und wir können in die restlichen Bezirke von Oakmont. Der Ort ist in sieben Bereiche unterteilt und entpuppt sich als durchaus groß. Manche Bereiche sind zu Fuß begehbar, andere können dagegen nur mit einem Boot erkundet werden. Telefonzellen dienen in bester Harry Potter-Manier der Schnellreise. Leider ziehen sich beim Erkunden der Stadt die Schwächen in der Technik nicht nur durch die beiden Steuerungsvarianten beim Kämpfen.

Technisch durchwachsen

Man muss den Entwicklern von Frogwares zugutehalten, dass The Sinking City auf Nintendos kleiner Hybridkonsole nicht nur läuft, sondern dabei auch noch eine relativ stabile Framerate hält. The Sinking City ist so gesehen einwandfrei spielbar, allerdings merkt man dem Spiel an allen Ecken und Enden an, dass Frogwares zum Erreichen dieses Ziels viele Kompromisse eingehen musste. Teilweise sehr lange Ladezeiten sind in Oakmont an der Tagesordnung, und während die Charaktere gerade bei Nahaufnahmen meist durchaus detailliert daherkommen, sind viele Bereiche der düsteren Welt kaum mehr als funktional. Matschige Texturen, grobe Objekt- und Umgebungsmodelle, ein relativ starkes Kantenflimmern, fehlende Schatten und Pop-Ups machen The Sinking City auf der Switch vor allem in den offenen Gebieten der Stadt Oakmont zu einem ausgesprochen unschönen Spiel. Auf das Gameplay hat das wenig Einfluss, allerdings leidet die Atmosphäre darunter, und jeder potentielle Käufer der Switch-Version sollte sich bewusst sein, dass Letztere technisch bestenfalls auf dem Niveau eines Spiels der frühen Xbox 360/PS3-Generation ist. Auf einem großen Fernseher wird dieser Umstand besonders deutlich. 

Auch die KI stammt aus einer anderen Zeit: NPCs laufen in Oakmont völlig plan- und ziellos umher und bieten keinerlei Interaktionsmöglichkeiten. Eine am Straßenrand stehende, laut weinende Frau können wir nicht ansprechen, vom Zeitungsjungen können wir keine Zeitung bekommen, dem Fischhändler können wir keinen Fisch abkaufen. Leute juckt es auch nicht, wenn wir direkt neben ihnen einen Safe ausräumen oder Gegenstände aus einem Schrank klauen.

Sherlock Reed

Die Grafik, die KI und die Kämpfe können also nicht überzeugen. Wie steht es mit den Rollenspielelementen in The Sinking City? Charles Reed kann eigene Munition und Medizin herstellen, das Crafting-System ist jedoch alles andere als komplex, und ähnlich verhält es sich mit dem Skill-Tree: Für das Abschließen von Haupt- und Sidequest bekommen wir Punkte, die wir in die Kategorien Kampf, Körper und Geist investieren dürfen, doch diese wirken alle halbherzig umgesetzt. Reed wird durch das Aufleveln lediglich physisch stärker, kann mehr Gegenstände tragen oder effektiver mit Waffen umgehen, das heißt vorhandene Attribute werden verbessert. Tatsächlich neue Skills kann Reed nicht erlernen.  

Wo liegen denn dann die Stärken des Spiels? Gibt es überhaupt welche? Nun, The Sinking City erzählt eine solide Mysterygeschichte mit Krimi-Elementen, und im Vergleich zu anderen Spielen überlässt der Titel dem Spieler viel eigene Detektivarbeit. Es reicht nicht aus, einfach nur ein paar Tasten zu drücken, um die Geschichte ohne eigenes Zutun voranzutreiben. Als privater Ermittler müssen wir tatsächlich logisches Denkvermögen einsetzen, und dafür bietet uns The Sinking City annähernd echte Möglichkeiten der Recherche und Ermittlung. Das geschieht mit Hilfe städtischer Archive, einer Fallmappe und sogenannter Gedankenspiele.

In den Archiven der Stadt, die wir bei der örtlichen Zeitung, im Krankenhaus oder bei der Polizei finden, kann Reed mit Hilfe von Schlagwörtern nach alten Artikeln, Anzeigen oder Akten zu bestimmten Themen oder Personen suchen. Die Fallmappe listet gefundene Hinweise zum Hauptfall und zu sämtlichen Sidequests auf. Manche Hinweise sind mit einem Symbol versehen, das Aufschluss darüber gibt, was weiter zu tun ist. So können Hinweise einen Dialog, einen speziellen Gegenstand, ein Foto oder eine Archivrecherche erfordern. Gedankenspiele wiederum sind Fakten in Textform, die miteinander kombiniert werden können. Im Prinzip lassen sich dadurch Schlussfolgerungen herleiten, wobei nicht jede Schlussfolgerung richtig sein muss und einen möglichen Täter ebenso ent- wie belasten kann. Schlussfolgerungen wiederum führen zu Fazits, die neue Hinweise freischalten oder indirekt zu neuen Hinweisen führen können. Nicht immer ist sofort klar, was zu tun ist, und manche Textbausteine bei Gedankenspielen sind etwas zu knapp und damit zu vage formuliert, aber dennoch gibt es wenig Spiele, die ein authentischeres Detektivfeeling vermitteln können.

FAZIT

The Sinking City ist ein gutes Detektivspiel mit einer relativ interessanten Mysterystory. Zugleich ist es aber leider auch ein schlechtes Actionspiel und ein höchstens mittelmäßiges Rollenspiel. Optisch ist The Sinking City auf Nintendos Hybridkonsole zudem kein Augenschmaus und die grau-braune Stadt Oakmont mit ihren grenzdebilen Einwohnern lädt nicht wirklich zum Erkunden ein. Hobby-Detektive und Lovecraft-Fans dürfen einen vorsichtigen Blick riskieren, sollten sich der vielen Schwächen des Titels jedoch bewusst sein.

Unsere Wertung:
6.5
Jeremiah David meint: "Solides Detektivspiel mit schwacher Präsentation und mühseligen Kämpfen"
The Sinking City (Nintendo Switch) erscheint für Nintendo Switch. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet.
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