
Sea of Solitude
Auf der EA-Pressekonferenz zur E3 2018 stach Sea of Solitude schon allein aufgrund der Optik und melancholischen Präsentation hervor. Cornelia Geppert von Jo-Mei Games durfte sogar auf die Bühne und das Spiel etwas genauer vorstellen. EA war offensichtlich bereits früh sehr von dem Projekt überzeugt und unterstützte das Berliner Entwicklerstudio demnach auch innerhalb des hauseigenen EA Originals Programms. Dieses hat bisher bereits Fe (NplusX-Test) und A Way Out (NplusX-Test) hervorgebracht - nicht die schlechteste Gesellschaft, wie auch unsere Reviews beweisen.
Journey trifft auf Depressionen
In Sea of Solitude, das passenderweise das Akronym SoS besitzt, schlüpfen wir in die Rolle der jungen Frau Kay, deren Psyche alles andere als „oKay“ ist. Das erfahren wir im Verlaufe des Spiels ziemlich schnell. Wir beginnen unsere Reise auf einem kleinen Boot mitten im Ozean, die eigentliche Spielwelt basiert allerdings lose auf Berlin. Obwohl die Stadt unerklärlicherweise völlig überschwemmt wurde, bewegen wir uns die meiste Zeit zu Fuß fort. Bei dieser Moses-Erfahrung hilft uns ein mysteriöses Mädchen aus Licht, das wir auf unserem Weg immer wieder treffen. SoS zeigt hier klassische Eigenschaften eines Walking Simulators, so bekommen wir über große Strecken nur wenig rasante Action geboten, sondern treiben die Story viel mehr durch Erkundung und das Lösen von kleinen Rätseln voran. Auch bei der Erzählung der Geschichte orientiert sich das Spiel an Genregrößen wie „Journey“ oder „The Vanishing of Ethan Carter“. Viele Umstände werden gar nicht erklärt und auch die Gründe für die Existenz der verschiedenen Charaktere, die wir auf unserer Reise treffen, müssen wir uns nach und nach zusammenreimen.
Neben dem besagten Lichtmädchen begegnen wir vor allem großen Monstern aus einer schwarzen Substanz. Diese Kreaturen stellen verschiedene psychische Probleme und Erkrankungen dar, die Kay in ihrem Leben entweder bei sich selbst oder in ihrem nahen Umfeld bereits hautnah mitbekommen hat. Und damit wären wir auch schon beim Hauptgrund für die Entwicklung von Sea of Solitude. Cornelia Geppert, CEO von Jo-Mei und Creative Director des Spiels, wollte hier vor allem die Trennung von ihrem damaligen Lebenspartner und die daraus resultierenden Folgen verarbeiten. Im März 2019 stellte bereits die New York Times fest, dass SoS zu einem aktuellen Trend gehört, die mentale Gesundheit in Videospielen zu thematisieren. Durch den Erfolg von „Hellblade: Senua's Sacrifice“ und „Celeste“ wird dieser Trend wohl noch weiter gestärkt und auch der Titel der Berliner ist ein wichtiger Beitrag in dieser Sparte.
Wichtig, doch keine Therapie
Sea of Solitude nimmt sich gleich einer ganzen Reihe von sozialen Ängsten und psychischen Problemen an und zeigt einige von ihnen als Monster verkörpert direkt im Spiel. Von Mobbing und Selbstzweifeln über Streit, Trennung und Scheidung bis hin zu Einsamkeit und Depressionen wird hier eine breite Palette abgedeckt. Wohl fast jeder Spieler wird schonmal selbst Erfahrungen in mindestens einem dieser Bereiche gemacht haben und kann somit zumindest Teilstücke des Titels besonders gut nachvollziehen. Es ist kein Spiel, das einfach nur Spaß bereiten soll, sondern eine kreative Interpretation ernsthafter Probleme, garniert mit ein wenig Gameplay.
Dieses bietet übrigens neben den Walking-Sim-Attributen Erkunden und Rätseln auch noch Stealth-Passagen und echte Bosskämpfe, obwohl diese nie allzu komplex werden, da Kay weder wirklich kämpfen noch sterben kann. Bei einem Ableben starten wir wieder direkt vor der aktuellen Passage. Das ist aber in einem Spiel, in dem es einzig und allein um die Geschichte und die zu übermittelnde Botschaft geht, kein Kritikpunkt. Die Gebiete der drei Level, die wir innerhalb von zwölf Kapiteln erkunden, sind zwar ziemlich linear gehalten, bieten aber immer ein wenig Freiraum, um abseits des Hauptpfads herumzuschnüffeln. Und das lohnt sich, denn insgesamt sind in der Spielwelt jeweils 32 Möwen und Flaschenposts versteckt. Während die Möwen uns stets einen schönen Rundumblick über die Umgebung verschaffen, versorgen uns die Briefe in den Flaschen mit durchaus interessanten Zusatzinfos zu den Geschehnissen rund um Kay.
Innerhalb der drei bis vier Stunden Spielzeit bekommen wir durch die Vielzahl an aufgegriffenen psychischen Themen reichlich spielerische Abwechslung geboten, auch wenn Kay im Grunde nur Herumlaufen kann. Die einzelnen Passagen zu Fuß oder mit dem Boot werden immer wieder durch Dialoge mit den Monstern unterbrochen (diese sind allerdings teils etwas amateurhaft vertont) und mit zunehmender Spieldauer setzen sich auch die einzelnen Story-Puzzleteile zu einem großen Ganzen zusammen, sodass wir eigentlich erst mit dem Spielen aufhören wollten, als die Credits über den Bildschirm liefen. An dieser Stelle allerdings noch der Hinweis: Obwohl Sea of Solitude die angesprochenen Probleme auf eine einzigartige Weise aufarbeitet, ist das Spiel natürlich kein Ersatz für eine richtige Therapie!
Fazit:
Sea of Solitude ist kein normales Videospiel, das will es auch gar nicht sein. Jo-Mei Games und Cornelia Geppert haben hier eigene, schmerzhafte Erfahrungen verarbeitet und vor diesem Hintergrund ist es einleuchtend, dass der Titel nicht die Intention besitzt, Spaß zu bereiten. Viel eher bekommen wir hier ein ungewöhnliches Adventure, das schwierige Themen aufgreift und auf eine interessante Art und Weise zu einem Spiel formt, das aufgrund der kurzen Spielzeit und der Vielfalt an behandelten Problemen nie langweilig wird. Das Gameplay erinnert größtenteils an klassische Walking Sims, die Bosskämpfe, Bootsfahrten und Stealth-Passagen können die Erkundung jedoch gelungen auflockern. Trotz der offensichtlichen Limitationen bei der Vertonung der Dialoge ist Sea of Solitude ein wichtiges Spiel und kann eventuell sogar einigen Leuten helfen.
Von uns getestet: Xbox-One-Version

