A Plague Tale: Innocence
Asobo Studio dürfte den wenigsten Gamern ein Begriff sein. Der französische Entwickler zeigte sich bisher in erster Linie für Portierungen und seichte Adaptionen von Disney-Filmen wie Wall-E oder Toy Story 3 verantwortlich. A Plague Tale: Innocence ist jedoch weder eine Portierung noch ein billiger Linzenztitel, sondern stattdessen eine neue IP und ein düsteres, story-lastiges Abenteuerspiel mit mittelalterlichem Setting. Asobo Studio und Publisher Home Focus Interactive sind mit A Plague Tale zweifelsohne ein großes Risiko eingegangen. Ob sich diese Risikobereitschaft für uns als Spieler gelohnt hat, das verraten wir euch im nachfolgenden Test.
Die Familie de Rune
In A Plague Tale: Innocence schlüpfen wir in die Rolle der erst 15-jährigen Amicia de Rune. Die Jugendliche lebt als Tochter einer Adelsfamilie bisher ein sorgenfreies Leben im Frankreich des 12. Jahrhunderts. Mit ihrem Vater Robert und ihrem Hund Lion ist sie häufig in einem Waldstück in der Nähe des Familienanwesens unterwegs, so auch während dem ersten Kapitel des Spiels, das als eine Art Tutorial dient. Ihre Mutter und ihr fünfjähriger Bruder Hugo sind zuhause geblieben. Letzteren kennt Amicia eigentlich gar nicht, denn er leidet unter einer seltsamen Krankheit und darf daher praktisch nie sein Zimmer verlassen.
Es ist früher Herbst und an den Bäumen hängen bereits erste verwelkte Blätter, doch die Morgensonne strahlt kräftig vom Himmel und taucht die Landschaft in warmes Licht. Amicia unterhält sich ausgelassen mit ihrem Vater, übt vor einem Apfelbaum den Umgang mit ihrer Schleuder und spielt mit Lion, der seine Freiheit im Wald sichtlich genießt. Der Hund nimmt dann allerdings die Fährte eines Wildschweins auf und rennt, die Rufe seiner Herrchen ignorierend, davon. Amicia verliert ihn aus den Augen und folgt blind der Richtung, aus der sein Gebell zu kommen scheint, findet aber zunächst nur das zuvor gejagte Wildschwein – halb zerfetzt und blutüberströmt. Die heitere, friedliche Atmosphäre des Spiels weicht jäh einer düstereren Stimmung. Amicia macht sich sofort Sorgen um Lion, dessen Gebell längst aufgehört hat. Sie und ihr Vater kommen nur noch rechtzeitig, um zu sehen wie der Familienhund von hunderten Ratten in ein seltsames Erdloch gezerrt wird. Robert muss Amicia zurückhalten, um sie vor den Ratten zu schützen. Er versucht das sichtlich erschütterte Mädchen mit sanften Worten zu trösten, dies gelingt ihm aber nur zum Teil. Danach überschlagen sich die Ereignisse. Kurz nachdem Amicia und Robert wieder zu Hause sind, fällt ein Abgesandter der Inquisition mit einer Söldnertruppe in der Burg der Familie de Rune ein, um Amicias Bruder aus zunächst unbekannten Gründen zu entführen. Die Söldner gehen mit brachialer Gewalt vor und töten jeden, der ihnen in die Quere kommt. Von einem Fenster aus beobachtet Amicia, wie ihr Vater ermordet wird. Zusammen mit ihrem Bruder entkommt sie nur knapp den Männern der Inquisition und flüchtet in die nahe Ortschaft, doch auch dort lauert der Tod überall. Türen und Fenster sind verbarrikadiert, aller Straßen verlassen. Es scheint, als wären die Anwohner in höchster Eile geflohen. An manchen Wänden sind seltsame Markierungen, die das Rätsel der fehlenden Menschen lösen: Die Pest ist ausgebrochen.
Wie ein düsteres Märchen
Die obigen Zeilen beschreiben nur die ersten der insgesamt 17 Kapitel des Spiels. Die danach folgenden Abschnitte sind bisweilen noch deutlich düsterer, und sollte es nicht schon längst klar sein, sei hiermit gleich gesagt: A Plague Tale: Innocence ist inhaltlich ganz sicher kein heiteres Spiel. Es erzählt vor allem in der ersten Hälfte eine Geschichte von Leid, Verlust und Trauer, bevor schließlich mehr und mehr Fantasy-Elemente dem Spiel einen märchenhaften und ganz zum überhasteten Ende hin leider auch etwas unlogischen Charakter verleihen.
Die französischen Städte und Dörfer der Spätgotik waren schmutzige, elende Orte und werden von Asobo Studio auch genau so dargestellt. Die Folgen der Beulenpest, der Inquisition und des Kriegs der Franzosen gegen den englischen König Eduard III sind in A Plague Tale allgegenwärtig. Amicia und Hugo wandern durch zerstörte Städte und verwüstete Gutshöfe mit unzähligen toten Menschen und Tieren. Sie überqueren Schlachtfelder mit gefallenen Heeren. Aber dennoch verfügt das Spiel über so manchen schönen Moment, denn obwohl Amicia ihren Bruder kaum kennt und er ihr gerade anfangs nicht uneingeschränkt traut, kümmert sie sich wie eine junge Mutter um ihn. Es ist diese Beziehung zwischen Amicia und Hugo, die A Plague Tale eine ganz besondere Atmosphäre verpasst. Die Geschwister müssen in einer unwirtlichen Welt überleben und lernen sich dabei gegenseitig immer besser kennen. Die Freundschaft zwischen Amicia und Hugo ähnelt dabei der von Joel und Ellie in The Last of Us oder auch der zwischen Clemetine und AJ in Telltale‘s The Walking Dead.
Wir steuern Amicia dabei, ebenfalls wie in The Last of Us, aus einer Third-Person-Perspektive, die näher ans Geschehen heranrückt, wenn wir mit unserer einzigen Waffe, einer Schleuder, auf etwas zielen. Amicia kann ganz normal gehen, rennen oder schleichen. Wenn sie sich in geduckter Haltung bewegt, vermag sie sich in hohem Gras oder anderem Dickicht zu verstecken. Das ist auch nötig, denn anders als Joel oder Ellie ist Amicia keine Kämpferin. Im Nahkampf hat sie gegen die Söldner der Inquisition keine Chance, aus der Distanz kann sie sich mit ihrer Schleuder jedoch durchaus effektiv verteidigen und darüber hinaus verschiedenste Geschosse verwenden, um beispielsweise Heubündel in Brand zu setzen, Laternen zu zerstören oder Gegner zu verletzen. Die Geschosse können, sofern Amicia im Besitz der passenden Items ist, jederzeit mit Hilfe eines Crafting-Menüs hergestellt werden. Zum Craften einer größeren Munitionstasche, einer besseren Schleuder oder anderen Dingen benötigt Amicia dagegen eine Werkbank und bestimmte Werkzeuge.
Vor allem Projektile zum Löschen oder Entfachen von Feuer sind wichtig, denn neben den Schergen der Inquisition sind es in erster Linie gigantische Rattenschwärme, die Amicia und Hugo das Leben schwermachen. Die tödlichen Nager mit rot leuchtenden Augen reagieren empfindlich auf Licht und weichen daher vor Fackeln oder Feuerstellen zurück. Selbst gepanzerte Inquisitoren wagen sich nur mit einer Fackel oder einer Laterne ausgerüstet durch die von Ratten verseuchten Gebiete des Spiels. Raubt man den Herren ihr Licht, fallen sie schnell den wimmelnden Kreaturen zum Opfer.
Mit den Trigger-Tasten benutzten wir Amicias Schleuder, mit der linken Schultertaste können wir die Projektile alternativ auch werfen. Das ist leiser und vor allem dann praktisch, wenn Gegner nur durch einen raschen Steinwurf gegen einen metallischen Gegenstand abgelenkt werden sollen.
Das Steuerkreuz dient dazu, Hugo oder später auch anderen Kameraden einfache Befehle zu geben, wobei der kleine Junge durchaus einen eigenen Kopf besitzt und sich ungeachtet unserer Anordnungen immer wieder von seiner Schwester entfernt, um bestimmte Dinge zu untersuchen. Dabei verhält er sich ganz wie ein echtes Kind. In einer Kirche ruft er beispielsweise laut „Hallo!“, um mit dem Echo des Gewölbes zu spielen, anderswo jagt er Frösche am Ufer eines Bachs oder kommentiert die Enten, die im Wasser baden. Diese kleinen Momente führen neben unzähligen exzellent synchronisierten Dialogen (wahlweise auf Deutsch, Englisch oder Französisch) dazu, dass Hugo und Amicia als Charaktere sehr realistisch und komplex daherkommen und der sowieso schon interessanten Story zu noch mehr Tiefe verhelfen.
Technisch beeindruckend
Grafisch kann A Plague Tale: Innocence nicht mit den großen First-Party-Games für PS4 und Xbox One mithalten, ist aber trotzdem alles andere als hässlich. Die atmosphärischen Umgebungen sind detailreich, die Licht- und Schatteneffekte hervorragend. Amicia und die verschiedenen NPCs im Spiel wurden sehr schön ausgearbeitet und überzeugen größtenteils mit realistischen Animationen. Nur ihre Mimik wirkt bisweilen etwas starr. Die zuvor bereits erwähnte Synchronisation möchte ich an dieser Stelle noch einmal loben, wobei hier darauf hingewiesen werden sollte, dass die deutsche Sprachausgabe nicht ganz auf dem durchgehend hohen Niveau der englischen und französischen Sprecher ist. Die musikalische Untermalung ist dafür aber, natürlich unabhängig von der Sprache, rundum gelungen und unterstreicht mit orchestralen Stücken stets wunderbar das Geschehen. Kurzum: Was Asobo Studio audiovisuell auf die Beine gestellt hat, ist definitiv aller Ehren wert.
Dass A Plage Tale trotzdem kein perfektes Spiel ist, liegt weder an der technischen Umsetzung, noch an den Charakteren. Stattdessen ist es, neben dem Ende der Story, das sich zu sehr in bizarren Wendungen verliert, hauptsächlich das Gameplay, das kleinere Schwächen aufweist. Wenn Amicia nicht gerade gegen Inquisitoren vorgeht, muss sie verschiedene Rätsel lösen, um der Rattenplage zu entkommen, und während manche dieser Rätsel wunderbar unterhaltsam sind und zumindest ein klein wenig Hirnschmalz erfordern, sind viele andere so leicht, dass sie kaum als Rätsel bezeichnet werden können. Immer wieder bewegen wir Karren oder Kelche mit Leuchtfeuern von A nach B, immer wieder durchschießen wir Ketten, damit hängende Gegenstände zu Boden fallen und die Ratten ablenken. Der niedrige Schwierigkeitsgrad zeigt sich auch beim Kampf gegen die Inquisitoren, die sich meist wenig intelligent anstellen. Überaus großzügig gesetzte Checkpoints sorgen zusätzlich dafür, dass sich die Welt von A Plague Tale: Innocence zwar gefährlich anfühlt, es letztlich jedoch nur begrenzt ist. Ratten und Söldner können Amicia einen raschen und grausamen Tod bescheren, dieser hat für den Spieler aber so gut wie keine Konsequenzen. Darunter leidet die Immersion nach einem furiosen Beginn doch merklich. Auch die Tatsache, dass A Plague Tale ein sehr lineares Spielerlebnis mit geringem Wiederspielwert bietet, trübt den Gesamteindruck ein wenig. Lediglich ein paar Sammelitems wie Blumen und verschiedene Kuriositäten, sowie fünf Alchemisten-Wagen motivieren zum wiederholten Spielen bestimmter Kapitel.
Fazit:
Asobo Studio hat eine fantastische, bedrückend-schöne Welt mit faszinierenden Charakteren erschaffen. Während das Spiel zweifelsohne ein paar Schwächen hat, sind es die Stärken, die im Gedächtnis bleiben. Die sympathischen Charaktere und die gleichermaßen emotionale wie mysteriöse Geschichte, die trotz eines etwas bizarren Endes, das nicht jedermann zufrieden stellen wird, direkt aus einem Jugendroman stammen könnte, fesseln für zehn bis 12 Stunden an den Bildschirm. Hoffentlich lässt Focus Home Interactive die Jungs und Mädels von Asobo von nun an öfter solche Spiele machen.