Kommentar: Ich verstehe JRPGs nicht
Bevor ich mit diesem Artikel anfange, möchte ich eine Sache unmissverständlich klar machen: Die nachfolgenden Zeilen spiegeln meine persönliche Meinung und noch wichtiger meinen persönlichen Geschmack wider. Nichts liegt mir ferner als JRPG-Fans ihr Lieblingsgenre madig zu machen. Geschmäcker sind unterschiedlich und das ist gut so! Davon abgesehen bin ich alles andere als ein JRPG-Experte. Auf dem SNES hab ich irgendwann in den 90er-Jahren, als Leute noch gar nicht zwischen japanischen und westlichen RPGs unterschieden, Secret of Mana gespielt, auf einem Emulator Seiken Densetsu 3 und etwas später auf der PS2 Final Fantasy X. Auf der Xbox 360 und der PS4 hab ich unterschiedliche JRPGs anspielen dürfen, keines länger als eine Stunde. Das war’s schon. Von vielen „essentiellen“ japanischen Rollenspielen kenne ich vermutlich nicht einmal den Titel und so gesehen bin ich völlig unqualifiziert diesen Text zu schreiben. Dennoch rufe ich vorlaut in die Runde:
Ich mag JRPGs nicht!
Ich bin Mitte dreißig, aber noch immer treffe ich mich mehr oder weniger regelmäßig mit ehemaligen Klassenkameraden. Meistens wird dann auch die Glotze für eine gemeinsame Videospielsession angeschmissen. Wir erinnern uns gerne an vergangene Abende mit dem Nintendo 64 oder Gamecube, an lange Nächte mit Mario Kart, Super Smash Bros., Perfect Dark, TimeSplitters und co. Einer meiner engsten Freunde ist leidenschaftlicher JRPG-Spieler und als er mich zuletzt besuchen kam, brachte er Persona 5 mit. Ich hatte ihn gebeten das Spiel mitzubringen, weil ich im Netz nur gute Dinge über den Titel gehört hatte. Die Metacritic-Wertung liegt bei einer erstaunlichen 93.
Nach einer dreiviertel Stunde mit dem Spiel hatte ich allerdings bereits mehr als genug. Hätte ich Persona 5 zu dem Zeitpunkt eine Wertung verpassen müssen – und ja, mir ist bewusst wie blödsinnig es wäre ein Spiel nach 45 Minuten zu beurteilen – hätte ich dem Titel vermutlich 3 von 10 Punkten gegeben. Maximal.
Mir wurde an diesem Tag wie schon so oft zuvor bewusst: Ich mag JRPGs nicht, und verstehe auch nicht, was andere Spieler an ihnen so anziehend finden, gleichzeitig bin ich aber auch völlig fasziniert davon, dass Gamer weltweit oft dutzende oder gar hunderte Stunden in JRPGs stecken. Das Genre hat über die letzten zwei bis drei Jahrzehnte hinweg eine eigene Fankultur entwickelt, die im Bereich der Videospiele absolut seinesgleichen sucht. JRPGs scheinen für manche Spieler mehr als nur einfache Videospiele zu sein. Die größten Serien werden nahezu religiös angehimmelt. Mein Kumpel bezeichnete Persona 5 gar als das beste Videospiel, das er jemals gespielt hätte.
Womöglich hätte sich meine Meinung nach einigen weiteren Stunden gebessert, aber ich bezweifle es. Dazu gibt es bei JRPGs einfach grundsätzlich zu viele Aspekte, die mir zuwider sind, mein Geschmack ist einfach zu anders.
Der erste negative Punkt, den ich nennen möchte, hat zugegebenermaßen gar nichts mit der Qualität der Spiele zu tun und ich schäme mich ein klein wenig dafür, dass ich mich überhaupt daran aufreibe, aber der Vollständigkeit halber möchte ich ihn erwähnen: Viele JRPGs haben absolut bescheuerte Titel.
Devil Slayer Evil Default Summoner
Ich bin jemand, der aus privaten und beruflichen Gründen viel mit der englischen Sprache zu tun hat. Angesichts schlecht übersetzter Filmtexte oder Buchtitel kann ich eine irrationale Wut entwickeln, und wenn ich dann so etwas wie „Bravely Default: Flying Fairy“, „Shin Megami Tensei: Devil Summoner: Soul Hackers“ oder „Fire Emblem Echoes: Shadows of Valentia“ lese (um mal nur 3DS-Spiele zu nennen), könnte ich mir die Haare ausraufen. Metaphorisch. Meine Glatze macht das zum Glück unmöglich. Ergeben die Titel irgendeinen Sinn? „Horizon Zero Dawn“ – ein westliches Rollenspiel beziehungsweise Action-Adventure, klingt auch nach sinnlos zusammengewürfelten Begriffen, die irgendwie cool klingen sollen, der Titel wird aber im Laufe des Spiels tatsächlich erklärt. Ist das bei diesen JRPGs auch so?
„Bravely Default: Flying Fairy“ ist für mich „Tapfere Voreinstellung: Fliegende Fee”. Das Wort default ist ein Begriff, der normalerweise nur bei technischen Anwendungen benutzt wird, könnte hier aber aufgrund der Verwendung des Adverbs bravely statt dem Adjektiv brave womöglich auch mit einem Gerundium übersetzt werden. Ergibt „tapferes Standardsein“ mehr Sinn? So oder so; kein englischer Muttersprachler käme jemals auf die Idee, diese Wörter auf diese Art miteinander zu kombinieren. Der Titel klingt einfach nur absurd. Highlights abseits des 3DS sind epische Dolmetscheralbträume wie „Z.H.P. Unlosing Ranger VS Darkdeath Evilman“ oder „Evolution: The World of Sacred Device“. Da hatten ein paar japanische Übersetzer vielleicht ein bisschen zu viel Sake.
Das bringt mich auch gleich zum zweiten Punkt: Etwas zu viel Kreativität beweisen japanische Entwickler für mich nicht nur bei der Titelfindung. Auch Charaktere innerhalb der Spiele besitzen viel zu häufig bescheuerte Namen. In den USA sind Alltagswörter als Vornamen gerade unter (B-)Promis in Mode, aber japanische Rollenspiele – vor allem Ableger der Final-Fantasy-Serie – spielen hier in einer ganz anderen Liga. Die fröhlichen Kameraden Blitz (Lightning), Wolke (Cloud), Schnee (Snow), Hoffnung (Hope), Geduld (Patience), Dolch (Dagger) und Reißzahn (Fang) entstammen alle unterschiedlichen Final-Fantasy-Teilen. Die Namen sind bizarr; so bizarr sogar, dass dir, lieber Leser, vermutlich gar nicht aufgefallen ist, dass ich den Charakter Patience an dieser Stelle frei erfunden habe. Da lobe ich mir tatsächlich Spiele, deren Charaktere einfach ihre japanischen Namen beibehalten haben. Nur, ich kann kein Japanisch. Ich kann die Namen nicht aussprechen und weiß auch nicht, ob sie irgendeine Bedeutung haben. Aber gut, weder seltsame Titel noch komische Namen sind wirklich von Bedeutung.
Wieso sind ihre Augen größer als ihre Hände?
Ein wichtigerer Aspekt, der mich nervt, ist, dass die Synchronisation von JRPGs häufig grottenschlecht ist – und das offenbar völlig absichtlich. Die Synchronsprecher versuchen sich ihren japanischen Kollegen anzupassen und neigen dadurch viel zu häufig dazu, ihre sowieso schon exzentrischen Texte übertrieben theatralisch oder alternativ absolut emotionslos vorzutragen. Die japanische Kultur ist zum Teil sehr anders als unsere westliche. Gespräche, die normal denkende Leute aus Europa oder den USA niemals führen würden, gehören zu JRPGs wie Sand zur Sahara. Die Charaktere und ihre Stimmen müssen außerdem viel zu oft bestimmten Klischees entsprechen. Das kleine Mädchen mit dem großen Kopf, riesigen blauen Augen und pinken Zöpfen hat eine so hohe Piepsstimmen, dass es nicht mal schreien muss, um Glas zum Springen zu bringen. Der breitschultrige Kerl ohne Hals hat im Gegensatz dazu eine Stimme so tief, dass sich selbst Marcus Fenix in Ehrfurcht vor ihm verneigen würde. Der hyperaktive, schlaksige Bursche, der ständig Grimassen schneidet, klingt immer, als hätte er während seiner Kindheit einfach nie wie andere Menschen zu reden gelernt.
Vielleicht hat das damit zu tun, dass JRPGs sich stilistisch meist an Animes orientieren. JRPGs mit realistischer Grafik sind selten. Das aus Mangas und Animes bekannte Kindchenschema (hohe Stirn, große Augen) ist fast allgegenwärtig. Alternativ sind die Figuren lang und übertrieben dünn mit spitzem Kinn. Ich möchte nicht homophob erscheinen, aber finde es zumindest seltsam, wenn ich aufgrund des Art-Styles bei sämtlichen Männern zweimal hinschauen muss, um das Geschlecht zu erkennen. Normale Proportionen? Sind den Japanern offenbar zu langweilig. Ebenso wie normale Kleidungsstücke oder alltägliche Haarfarben/Frisuren. Auch Waffen werden erst dann interessant, wenn sie so groß sind, dass sie ein normal gebauter Mann nicht mehr tragen könnte, ohne sich einen Bruch zu heben. Das wirkt auf mich nicht nur unrealistisch sondern leider auch sehr kindisch.
Und wenn wir schon bei fragwürdigen Designentscheidungen sind: Wieso können viele JRPG-Charaktere beim Reden nicht den Mund aufmachen? Wieso muss mir ein statisches, am unteren Bildrand eingeblendetes Portrait (oft neben einer Textbox) klar machen, wer gerade spricht? Im Jahr 2018 sollten dynamische Kamerafahrten mit gelegentlichen Nahaufnahmen eigentlich bei jedem Spiel immer zum Standard gehören.
Was stört mich sonst noch an JRPGs? Dass Kämpfe meist rundenbasiert ablaufen und manche Bosskämpfe gefühlt Jahrhunderte dauern.
Grinden, Grinden, Grinden.
Die wenigsten Spiele bieten heutzutage mehr als 25 Stunden Spielzeit. Moderne Actionspiele schaffen häufig nicht einmal eine zweistellige Stundenzahl, werden dann aber mit Multiplayer-Modi gestreckt. JRPGs sind dagegen in der Regel absolute Zeitfresser. Mit den größten Spielzeitmonstern können nur die wenigsten westlichen RPG-Größen wie Skyrim oder The Witcher 3 mithalten. Ihre beeindruckenden Spielzeiten erreichen die JRPGs jedoch nicht mit abwechslungsreichen, vor Details strotzenden Welten, die bis ins letzte Eck erkundet werden wollen. Stattdessen dürfen Spieler unendliche Stunden mit mühsamen Kämpfen gegen zufällig und völlig willkürlich auftauchende Gegner verbringen. Ganz wie im echten Leben greifen sich die verfeindeten Parteien dabei abwechselnd an und rufen zu Beginn einer jeden Runde stets den Namen des jeweils vorgetragenen Angriffs, damit der Gegner weiß, was auf ihn zukommt. Beide schlagen so lange aufeinander ein, bis eine Partei, die sich während dem zwanzig Minuten langen Gefecht von jeglichen Angriffen völlig unbeeindruckt gezeigt hat, aufgrund einer leeren Lebensenergieleiste plötzlich tot umfällt. Die Story, die unbedingt episch sein will, dabei aber auch immer wieder betont wie wichtig Freundschaften sind, wird nicht durch natürlich aufeinander folgende Ereignisse vorangetrieben, sondern durch das erreichen vorgegebener Charakterlevel. Dein Charakter ist erst Level 23? Sorry, dann kannst du diese Quest hier nicht machen. Geh doch noch ein paar blaue Fledermäuse, übergroße Ratten oder glibberige Schleimmonster töten…
So, nun habe ich aber genug gemeckert und dumme Klischees genannt, die sich auf viele JRPGs womöglich gar nicht übertragen lassen. Ich hab am Anfang dieses Artikels schon geschrieben, dass ich JRPGs zwar nicht mag, aber dennoch fasziniert von ihnen bin, und jetzt wird letzteres wichtig: Ich verstehe nicht, wieso diese Spiele bei manchen Gamern so populär sind, aber ich möchte es verstehen. Wieso spielt ihr JRPGs? Was genau gefällt euch an diesem Genre? Gibt es einzelne Spiele, die aus dem Rahmen fallen; JRPGs, die auch einem Fan ernsterer, westlicher Rollenspiele gefallen könnten? Gefallen euch gerade die Aspekte, die ich nicht ausstehen kann, oder gibt es Positives, das mir irgendwie entgangen ist? Steinigt mich nicht; belehrt mich!
Bin selbst auch kein großer Fan von JRPGs, kann aber mitunter doch Spaß dran haben: Baten Kaitos (leider nur knapp über die Hälfte gespielt) und Tales of Symphonia (3 mal(?) durch) fand ich sehr gelungen. Tales of ist wohl die einzige Reihe, die mir immer mal wieder ins Auge springt, und so stehen zumindest Tales of the Abyss (3DS) und Tales of Versperia (360) im Regal, wenn auch beide nicht durchgespielt. Vesperia würde ich wahrscheinlich Ende des Jahres auch noch einmal kaufen, um es dann auf der Switch zu beenden.
Aber auch abseits von JRPGs sind RPGs eher seltener in der Konsole, dann oft aufgrund des Franchises: Mario & Luigi, Pokemon, Paper Mario oder South Park hätte ich sonst wohl nicht gespielt, auch Titel wie Golf Story locken mich hauptsächlich durch den Golf-Part.
Woran es bei mir jedoch scheitert: die Zeit. Ich denke mir dann immer: Ich könnte jetzt entweder 100 Stunden in dieses eine Spiel investieren, oder aber in dieser Zeit 5-6 unterschiedliche Spiele spielen. Zumal es bei mir immer wieder Phasen gibt, wo ich wirklich wenig bis kaum Zeit zum Zocken habe bzw. meine Zeit dann lieber in Filme oder Serien investiere. Und dann ist es leichter, wieder ein komplett neues bzw. ein sehr kurzweiliges Spiel anzumachen, als dann z.B. noch 3 Wochen Pause wieder neu in so ein Mammut-RPG rein zu finden. Unter dem Strich kann ich mich daher einer Passage anschließen, die Andy im Gegenartikel aufgreift: Westliche Spiele setzen meist auf ein Spielerlebnis, wo man sofort (wenn auch vielleicht etwas seichter) unterhalten und abgeholt wird, und dann auch in halbwegs überschaubarer Zeit damit abschließen kann. Das passt einfach besser in meinen Alltag, auch wenn das Preis-Leistungs-Verhältnis dann vielleicht schlechter ist.
Ich persönlich spiele JRPGs, weil ich a) ein großer Fan von Fantasy- und Sci-Fi-Kram bin (das kommt bei Naturwissenschaftlern ja recht häufig vor) und b) damit ein bisschen meine Kindheit bewahre, in der ich gern Animeserien geschaut habe. Einfach mal um die Welt reisen, ein farbenfrohes Abenteuer mit gerne auch mal überdrehten Charakteren und einer nicht unbedingt realistischen Welt erleben, mit der Macht der Freundschaft Imperatoren und böse Götter bekämpfen - ich liebe das einfach. Und ich mag rundenbasierte Kampfsysteme sehr.
Persona 5 war letztes Jajr aber ein absolutes Highlight, dass mit einergeilen Story all deine Kritikpunkte so souverän zusammenführt, dass du es schon mal zocken solltest.