Shadow of the Colossus
Das Werk von Entwickler und Spieledesigner Fumito Ueda, der einige Jahre zuvor bereits das märchenhafte "Ico" auf den Weg gebracht hat, ist nunmehr 17 Jahre alt und erscheint zum insgesamt dritten Mal für eine PlayStation-Konsole. Das Original war im Jahr 2005 ein Meilenstein auf der PlayStation 2 und zählt noch heute unangefochten zu den besten Spielen der Konsole. Gut sechs Jahre später erschien eine HD-Version zusammen in einem Bundle mit Ico für die Playstation 3. Damals wurde jedoch lediglich die Auflösung erhöht und die Grafik des Action-Adventures nur leicht aufgehübscht bzw. an das damalige Niveau angepasst. Shadow of the Colossus für die Playstation 4 ist jedoch eine komplette Neuentwicklung für die sich das amerikanischen Studio Bluepoint Games in Zusammenarbeit mit dem JAPAN Studio von Sony verantwortlich zeichnet. Anders als die Frischzellenkur von 2011 wurden die einzelnen Grafikpartikel nicht nur verfeinert, sondern von Grund auf neu programmiert. Shadow of the Colossus ist eine rundum geglückte Neubearbeitung, die das Meisterwerk von damals in neuem Glanz erscheinen lässt.
Eine märchenhafte Geschichte um Leben und Tod
Hauptrotagonist Wander reist mit dem leblosen Körper seiner Freundin Mono auf seinem treuen Pferd Agro in das verbotene Land von Dormin. Dort soll es der Legende nach die Möglichkeit geben, Tote wieder zum Leben zu erwecken. Im dortigen Tempel angekommen erfährt Wander schnell von seinem Schicksal: Er soll dazu in der Lage sein, den Tod zu bezwingen. Dafür muss er jedoch gleich 16 Kolosse niederringen, die so alt sind wie das Land, in dem sie verstreut leben. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken und blind vor Liebe, macht sich Wander zum ersten dieser Wesen auf und das emotionale Abenteuer beginnt.
Was sich zunächst wie eine altertümliche Seifenoper anhört, entpuppt sich schnell als erzählerisches Spektakel auf allerhöchstem Niveau und ist überragend inszeniert. Bereits das Intro-Video mit dem orchestralen Soundtrack schafft es den Spieler in seinen Bann zu ziehen; und ihn über die gesamte Spieldauer nicht mehr loszulassen. Dormin, der Held Wander mit Rat und Tat zur Seite steht, jedoch nur als mysteriöse Stimme in Erscheinung tritt, untermauert bereits mit den ersten Hinweisen die dichte Atmosphäre, die in Shadow of the Colossus omnipräsent ist. Unser Protagonist hat ein Schwert und einen Bogen zur Hand, außerdem weicht ihm sein treues Ross Agro kaum von der Seite. Das verbotene Land, in dem sich die Kolosse aufhalten, fungiert als offene Spielwelt. Dennoch können die einzelnen Kolosse nicht beliebig zur Strecke gebracht werden, sondern müssen stets in einer bestimmten Reihenfolge angegangen werden. Schön ist jedoch, dass ihr prinzipiell dennoch den nächsten Zielort zunächst ignorieren und euch einfach in der Welt nach Belieben umsehen könnt. Ihr werdet nicht durch künstliche Begrenzungen in eine bestimmte Richtung gezwängt, ihr dürft stets frei in alle Himmelrichtungen ziehen und eure Neugier stillen.
Der Weg ist das Ziel
Shadow of the Colossus folgt grundsätzlich einem recht einfachen Spielprinzip. Vom Tempel aus beginnend erhaltet ihr zunächst einen Hinweis auf den ersten Koloss, den es aufzuspüren gilt. Fortan fungiert euer Schwert als eine Art Wegweiser: Eure Klinge bündelt die Lichtstrahlen der Sonne und je nach Haltung wird euch die Wegesrichtung zum nächsten Ziel erteilt. Habt ihr das Gebiet des gigantischen Widersachers erreicht, leitet eine kurze Zwischensequenz den folgenden Kampf ein. Nun gilt es mit dem Schwert zunächst den Schwachpunkt des Gegners ausfindig zu machen, indem ihr die gleiche Wegweiser-Funktion des Schwertes verwendet wie zuvor. Da die einzelnen Kolosse wahrlich riesig sind, gilt es diese zunächst zu erklimmen, ehe ihr den Schwachpunkt, dargestellt als leuchtendes Zeichen, mit dem Schwert bearbeitet. Nicht jedes Ungetüm ist dabei gleich und so müssen einige Kolosse erst dazu bewegt werden, eine Aufstiegsmöglichkeit für euch zu schaffen, was beispielweise mit dem Bogen vollbracht werden kann. Andere Riesen müssen hingegen mit ihren eigenen Waffen durch geschicktes Ausweichen überlistet werden, sodass ihr einen Aufstieg zum Schwachpunkt findet.
Dabei sind alle 16 Kolosse komplett unterschiedlich gestaltet, sodass sich die Kämpfe allesamt anders spielen und auch so anfühlen. Eines haben aber alle Kämpfe gemeinsam: Sie erfordern jede Menge Geduld. Das liegt zum einen an der Ausdauer des Helden. Diese ist das A und O in Shadow of the Colossus und entscheidet letztlich über den Erfolg oder Misserfolg beim Kampf gegen einen Koloss. Wenn ihr euch am Fell eines Gegners hochhangelt oder an einer Kante festhält, verbraucht das Ausdauer. Wenn ihr jedoch wieder festen Boden unter den Füßen habt, regeneriert sich diese wieder. Das Problem ist allerdings, dass es häufig nicht allzu viele Möglichkeiten gibt, sich auf dem Rücken eines Gegner zu erholen. Dementsprechend müsst ihr bei jedem Kampf taktisch clever vorgehen und mit eurem Ausdauer-Vorrat geschickt haushalten, um nicht kurz vor dem ersehnten Ziel abzustürzen.
Zum anderen erfordert die Steuerung immer wieder eure Geduld. Diese wurde nämlich auch im PS4-Remake, trotz alternativer Tastenbelegung und etwas mehr Komfort, nicht grundlegend erneuert. Folglich ist sie in der Praxis weiterhin recht störrisch: Sprünge sind teils etwas ungenau, die Richtungsänderungen werden nicht immer exakt genug erkannt und insbesondere im Zusammenspiel mit der Kamera kommt es nicht selten zu unfreiwilligen Absprüngen von Felswänden oder einem Koloss. Denn gerade beim Nachjustieren zickt die Kameraeinstellung hin und wieder und ist einfach nicht immer dort, wo der Spieler sie am liebsten hätte. Man könnte sogar sagen, dass die Kamera in Shadow of the Colossus ein gewisses Eigenleben entwickelt hat und euch lediglich das zeigt, was sie euch auch zeigen will.
Das Zusammenspiel aus der für heutige Verhältnisse ungelenken Steuerung und der Tatsache, dass ihr die Kamera immer wieder manuell nachjustieren müsst, erfordert zugegebenermaßen eine gewisse Frustresistenz und wird sicherlich nicht jedem sofort zusagen. Es ist wohl gerade für Neulinge eine gewisse Eingewöhnungszeit nötig, um sich damit zu arrangieren und sich voll auf das Spiel einzulassen. Auf der anderen Seite bleiben die Entwickler dem Charme des Originals mit dieser Entscheidung absolut treu. Es scheint nämlich genau die Idee von Fumito Ueda gewesen zu sein, den Kampf gegen die Kolosse mit einer nicht ganz einfach zu meisternden Steuerung noch intensiver zu gestalten. Der Kampf gegen jeden einzelnen Gegner ist stets harte Arbeit. Ihr müsst immer wieder ihren langsamen, aber dafür gewaltigen Schlägen ausweichen, um sie letztlich zu erklimmen und ihr Leben mit kräfteraubenden Schwerthieben zu beenden. Durch diese Anstrengung, die ihr gemeinsam mit eurem Helden jedes mal aufs Neue erbringen müsst, fühlt sich jeder Sieg wichtiger, einfach bedeutender an. Und lässt euch gleichzeitig nach jedem besiegten Hünen auch irgendwie zweifelnd zurück.
Denn Shadow of the Colossus schafft als Gesamtwerk etwas, was man nur selten in einem Videospiel erlebt. Das Spiel kreiert eine ganz besondere Stimmung und Atmosphäre, die von Beginn an fesselt und den Spieler bis zum Ende hin nicht mehr loslässt. Mehr noch: Wer einen Koloss erlegt, wird jedes Mal einen triumphalen und befriedigenden Erfolgsmoment verspüren. Wenn unter dem epochalen Musikchor der gefallene Riese vor dem Auge des Spielers in seinen letzten Atemzügen zusammenbricht, bekommt ihr fast schon Mitleid mit eurem Widersacher. Denn jeder Sieg fühlt sich einerseits gut an, lässt euch gleichzeitig aber auch immer stärker an euren Taten zweifeln. Das Spiel schafft es auf einzigartige Art und Weise eure Gegner auch als Opfer darzustellen und die Spieler das auch über die gesamte Spieldauer gehörig spüren lassen. Habt ihr schlussendlich die ganze Geschichte aufgesaugt und auch den letzten Koloss gelegt wird euch der dann folgende Abspann emotional nochmal so richtig aufwühlen und ihr könnt letztlich mit Stolz behaupten, eines der bedeutendsten Videospiele aller Zeiten gespielt zu haben.
Ein optischer Leckerbissen
Zerlegt man Shadow of the Colossus in seine spielerischen Einzelteile, besteht es aus dem Durchstreifen der offenen Spielwelt und dem Erlegen der insgesamt 16 Kolosse. Abseits davon könnt ihr noch einige Boni finden, um eure Energie oder Ausdauer zu erweitern. Diese sind allerdings relativ einfach versteckt und so dürftet ihr das Spiel - je nach Spielweise - bereits in acht bis zehn Stunden beenden. Im Zusammenspiel mit der mitreißenden Geschichte und dem einzigartigen Spielkonstrukt werden es aber garantiert einige der intensivsten und anrührendsten Spielstunden die ihr je erlebt habt. Das Spiel also lediglich in seine Einzelsteile zu zerlegen und so bewerten zu wollen, wird dem Spiel einfach nicht gerecht.
Dennoch gilt es ein Einzelteil besonders hervorzuheben, nämlich die hervoragende Restaurierung der Optik. Das leblose und melancholische Tal sieht so wunderschön aus, dass ihr euch an der Kulisse kaum sattsehen werden könnt. Die Spielewelt ist so leer und doch so voller Geschichten wie im Original, sie sieht im PS4-Remake in letzter Konsequenz einfach nur genauso aus, wie man es heute erwarten würde. Und das ist absolut fantastisch! Sowohl die Wälder, die Flüsse und die Berge sehen rundum gelungen aus und machen den Titel spielend leicht zu einem der schönsten PS4-Titel. Dabei geht es nicht nur um schärfere Texturen und geschliffene Kanten. Sondern auch um zusätzliche Animationen für Wander und sein Pferd, für sämtliche Lebewesen, um eine von Grund auf neu arrangierte Physik für die bewegten Stoffe und Pfeile, die beispielweise ins Obst geschossen dort auch stecken bleiben. Zu gefallen wissen zudem auch die neuen Lichteffekte, die je nach aktueller Wetterlage und dem vorherrschenden Klima einzigartige Facetten der Spielwelt hervorbringen. Umso erfreulicher daher, dass die Entwickler dem Titel nun auch eine eigene Foto-Funktion spendiert haben. So könnt ihr die ikonischen Landschaften für immer festhalten.
Darüber hinaus sind insbesondere auch die Kolosse ein echter Hingucker und wirken im PS4-Remake lebendiger denn je. Besonders hervorzuheben ist die Darstellung von dichtem Fell, die bei einigen der Kolosse sogar im Wind authentische Wellen schlagen und zu begeistern wissen. Spielt ihr auf der PS4 Pro dürft ihr euch zudem auf stetige 60fps freuen, auf der normalen PS4 sind es immernoch angenehme 30fps, die nie ins Stocken geraten.
Nicht verschweigen möchten wir allerdings, dass die (Lauf)Animationen der Hauptfigur weiterhin recht hüftsteif daherkommen und im Gegensatz zu vielen anderen Elementen im Spiel nicht neu arrangiert wurden. Da jedoch das Charaktermodell von Wander im Remake deutlich überarbeitet wurde und grundsätzlich viel realistischer wirkt, fallen die altbackenen Animationen, insbesondere bei plötzlichen Richtungswechseln, noch stärker ins Auge. Auch das Gesicht von Wander wirkt sehr puppenhaft und lässt kaum Mimik zu. An dieser Stelle hätten wir uns tatsächlich etwas mehr Überarbeitung gewünscht. Doch das ist eher Meckern auf hohem Niveau: Das Mehr an Detail in Shadow of the Colossus nimmt nichts von der einzigen Atmosphäre und nichts von den vielen Fragen, die ihr euch im Laufe des Spiels sicher stellen werdet. Es ist schlichtweg erstaunlich, was die Entwickler aus dem Titel gemacht haben, gerade für Spieler, die das Original bereits erlebt haben.
Fazit:
Shadow of the Colossus ist und bleibt ein kleines Meisterwerk und PlayStation-4-Besitzer dürfen nun die mit ganz großem Abstand schönste und beeindruckendste Fassung dieses Spiels erleben. Von dem Action-Adventure geht nach wie vor eine derartige Faszination aus, wie man sie nur selten bei einem Videospiel erlebt hat. Vom ersten Moment an, in dem ihr mit Wander in das Tal reitet, bis hin zum Abspann, hat mich das Spiel voll in seinen Bann gezogen und emotional mitgenommen. Das liegt an der unglaublich dichten Atmosphäre, der gelungenen Story und der Tatsache, dass es das Siel schafft beim Spieler große Zweifel an den eigenen Handlungen zu schüren. Hinzu kommt die wirklich tolle Optik, Shadow of the Colossus wirkt so schön wie nie zuvor. Dass die Steuerung auch diesmal wieder nicht konsequent überarabeitet worden ist, dürfte nicht jedermann gefallen, sorgt aber dafür, dass der Charme des Originals unangetastet bleibt. Wenn ihr Shadow of the Colossus bisher noch nicht gespielt habt, dann ist jetzt der wirklich perfekte Zeitpunkt dafür.
Zweite Meinung von Lars Peterke:
Shadow of the Colossus ist unbestreitbar eine der größten Errungenschaften seines Mediums aus einer Zeit, in der es noch um Akzeptanz im gesellschaftlichen Mainstream kämpfen musste. Atmosphäre und Musik waren schon damals einzigartig und herausragend, doch mit der Neuauflage lässt sich der Titel auf eine Art erleben die der ursprünglichen Vision gerecht wird. Dennoch hat der Titel auch Makel. Die Steuerung ist ungelenk und das Gameplay wird mit der Zeit zu redundant. Denn eigentlich ist Shadow of the Colossus nicht viel mehr als ein Reiten von Bosskampf zu Bosskampf. Es macht zwar sehr viel Spaß die Welt zu erkunden, doch etwas zu tun oder zu entdecken gibt es dort eigentlich nicht. Dabei sind die Kolosse oft viel zu schnell aufgespürt. So gibt es beispielsweise kaum Kletterpartien in der Spielwelt selbst und die Kolosse sind meist nur gefühlte fünf Spielminuten entfernt und fühlen sich nicht immer wie das belohnende Ziel am Ende einer langen Reise an. Und dennoch ist Shadow of the Colossus zweifelsohne ein ganz besonderer Titel, den jeder einmal selbst gespielt und erlebt haben sollte.
Der Test ist jedenfalls sehr aufschlussreich - vielen Dank!