NplusX-Gewinner des Jahres: Tatsumi Kimishima
Bei Fans genießt der Businessman seit seinem Start an der Konzernspitze vor gut zwei Jahren keine große Liebe. Vor allem im Vergleich zu Satoru Iwata wirkt er spröde, langweilig, shareholderorientiert. In der Fan-Community eines bunten Entertainment-Unternehmens kann man so keinen Blumentopf gewinnen. Kimishima gilt geradezu als das Gegenteil des so nahbaren Satoru Iwata, der sich bei Nintendo Direct regelmäßig augenzwinkernd zum Affen machte und damit zum Gesicht Nintendos wurde. 2015 ist er verstorben.
Nintendos Erfolg geht nicht nur auf Iwatas Konto
Heute hat Nintendo Switch den besten Marktstart hingelegt, den das traditionsreiche Unternehmen je gesehen hat. Das System dürfte seinen Vorgänger noch in diesem Weihnachtsgeschäft überflügeln und könnte auf 15 Millionen Verkäufe nach dem ersten Jahr kommen. Dieses Ziel war vor kurzem noch belächelt worden. Oder ausgelacht. Die Zukunftsaussichten sind jetzt glänzend, für Spieler ebenso wie für Entwickler, Nintendo Switch ist eines der begehrtesten Produkte im Weihnachtsgeschäft. Kurzum: Nintendo steht heute so gut da wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Trotz aller verständlicher und angebrachter Sentimentalität – das ist nicht nur das Verdienst des verstorbenen Satoru Iwata. Man darf die Erfolge durchaus auch aus gutem Grund einem zuschreiben, der nicht die größte Fan-Liebe genießt: Nintendos CEO Tatsumi Kimishima. Er hat’s verdient.
Sicher hat auch Satoru Iwata seinen Anteil an den aktuellen Erfolgen. Noch 2013 legte er die Handheld- und Konsolenhardware-Divisions zusammen. Schon damals hatte er offenbar die Vision einer vereinigten Nintendo-Konsole, die man mobil ebenso wie unterwegs benutzen kann. Er hat damals die Grundlage für Nintendo Switch gelegt und den Entwicklungsteams ihre Aufträge erteilt. Iwata verdient dafür durchaus posthum ein Lob.
Eine andere Form des Konsolen-Releases
Die Markteinführung hat aber ein anderer begleitet: Kimishima. Unter seiner Führung hat Nintendo im vergangenen Jahr genau die richtigen Entscheidungen zu genau der richtigen Zeit getroffen – selbst wenn sie auf den ersten Blick nicht immer im Interesse der Fans gewesen sind. Statt mit einer verspielt-skurrilen Direct-Ausgabe, wie Iwata sie für neue Hardware-Projekte moderiert hätte, hat Nintendo seine Switch-Konsole mit jugendlichen Lifestyle-Clips und völlig neuer Bildsprache beworben. Das erste Enthüllungsvideo hat weltweit knapp 40 Millionen Zuschauer erreicht. Die stärksten Nintendo Directs bringen es auf vielleicht eine Million Views bei YouTube. Das verdeutlicht die unterschiedlichen Dimensionen von Aufmerksamkeit, die die beiden Marketing-Konzepte erzeugt haben. Das Produkt, sein Mehrwert und die Kommunikation haben ideal zueinandergepasst und von der ersten Sekunde an Begehrlichkeit erzeugt.
Es waren außerdem Tatsumi Kimishima und sein Team, maßgeblich Entwicklungschef Shinya Takahashi, die sich für eine Markteinführung im März entschieden haben. März – das war nicht nur ein Termin völlig außerhalb der klassischen Logik des Weihnachtsgeschäfts. Es war auch ein sehr früher, geradezu spontaner Termin, gerade mal vier Monate nach der Ankündigung. In einer anderen Zeit wäre eine so rasante Veröffentlichung Nintendo womöglich zu überstürzt gewesen. Die Konsole war im März offenkundig noch nicht ganz fertig. Wichtige Funktionen fehlten noch, am kostenpflichtigen Online-Service werkelt Nintendo heute noch, das Betriebssystem wirkt nach wie vor spartanisch. Doch Nintendo hat sich für einen schnellen Marktstart und gegen eine lange Durchoptimierung entschieden. Rückblickend: genau die richtige Entscheidung. Jetzt befinden wir uns im Weihnachtsgeschäft und die Läden sind voll mit Switch-Konsolen; die heiße Anfangsnachfrage ist befriedigt, die Lieferkette funktioniert mittlerweile, die Spielebibliothek ist bereits mehr als beachtlich.
Ein Jahr Switch – keine Verschiebungen
Schnelle Marktstarts statt langer Optimierung – das gilt auch für die Spiele-Releases. Erst vor kurzem hat unser Redakteur Andy Tatsumi Kimishima und seinen Nintendo-Vorstand bei NplusX dafür kritisiert, Nintendo-Spiele zunehmend unfertig auf den Markt zu bringen: Die technischen Probleme von The Legend of Zelda – Breath of the Wild oder Xenoblade Chronicles 2 dienten ihm dabei als Beispiele. Er hat mit seiner Argumentation wahrscheinlich sogar recht. Und doch muss man sagen: Nachdem Nintendo mit Wii U eine ganze Konsolengeneration lang echte Kracherspiele hat vermissen lassen, sind dieses Jahr gleich drei, vier davon erschienen, darunter besagtes Zelda-Spiel (clever auf den Switch-Start verschoben) oder Super Mario Odyssey.
Früher hätte sich Nintendo vielleicht eine Verschiebung und ein paar zusätzliche Monate für den letzten Feinschliff großer Flaggschiffprojekte geleistet. Oder man hätte ein Spiel wie Zelda aus Fanservice-Gründen nicht künstlich für den Launch einer neuen Konsole zurückgehalten (wobei … doch).
Doch dann hätte Nintendo Switch das gleiche Schicksal ereilt wie Wii U; nämlich eine akute Spieleflaute im ersten Jahr, eine kommunikative Negativspirale, die kaum noch in den Griff zu bekommen gewesen wäre. Im ersten Wii U-Jahr hat Nintendo so ziemlich alles verschoben, was nicht niet- und nagelfest war, von Wii Fit U über LEGO City Undercover bis zu Pikmin 3. Im ersten Switch-Jahr sind die Spiele einfach so erschienen, wie Nintendo sie angekündigt hatte; jeden Monat eines, verlässlich, ohne Tamtam, ohne Entschuldigungen. Es ist der durchaus aggressiven Veröffentlichungsstrategie von Tatsumi Kimishima und Co. zu verdanken, dass Nintendo das erste Switch-Jahr mit so viel Software füllen konnte. Auch wenn manch ein Spiel danach eines Patches bedurfte. Und es ist diese Strategie, die dazu führt, dass Nintendo Switch nun im Weihnachtsgeschäft ein ziemlich guter Deal ist. Das so wichtige Weihnachtsgeschäft wird dazu führen, dass die Konsole noch erfolgreicher wird – und damit noch attraktiver für Entwickler und Spieler.
Ein wirtschaftlich erfolgreiches Nintendo ist auch gut für die Fans
Nur ein wirtschaftlich erfolgreiches Nintendo hat die Mittel, um erstklassige Software abseits des Maximalminimalismus der vergangenen Jahre zu entwickeln. Und nur ein erfolgreiches Nintendo zieht wieder Dritthersteller an, wie aktuell Bethesda, das seine Großproduktionen zaghaft wieder für Nintendo-Konsolen umsetzt. Kurzum: Ein wirtschaftlich erfolgreiches Nintendo ist gut für die Fans; auch wenn steigende Gewinne zunächst einmal nur Investoren und nicht den Spielern zu nutzen scheinen.
Tatsumi Kimishima mag nicht der sympathische Showman sein, der sich zum Gesicht von Nintendo macht. Er wird es auch nie werden. Er ist ein spröder Businessman im Hintergrund, tatsächlich. Aber in dieser Rolle hat er Nintendo durch stille, konsequente, verlässliche Arbeit in diesem Jahr zu Erfolgen verholfen, die letztlich vor allem den Fans in den nächsten Jahren viel Freude bereiten werden. Deshalb ist er unser Gewinner des Jahres 2017.
Niemand zweifelt gerade, dass es keinen Platz mehr im Konsolengeschäft für Nintendo gibt und das geht auf Kimishimas Kappe.