
Kommentar: Shovelware made in Germany
Ich war vor einigen Tagen beim örtlichen MediaMarkt und ließ es mir bei der Gelegenheit nicht nehmen, einen Abstecher in die Gaming-Abteilung zu machen. Leider musste ich dabei festzustellen, dass diese seit meinem letzten Besuch deutlich geschrumpft war. Xbox-Spiele hatten gar kein eigenes Regal mehr, sondern waren neben der PC-Peripherie untergebracht, während PS5- und Switch-Titel jeweils mit rund 2 Metern Regalfläche auskommen mussten. Die Softwarepyramide daneben war so gut wie leer und bot neben einigen alten PS4-Spielen lediglich Forspoken und FarCry 6 zum Budget-Preis an.
Ganz allgemein muss ich konstatieren: Die Auswahl an aktuellen Spielen war nicht groß, und was da war, war häufig deutlich teurer als anderswo.
Von einem ganz speziellen Publisher gab es dagegen überraschend viele Games, die auch noch allesamt mit auffallend orangen Aufklebern als vermeintliche Schnäppchen gekennzeichnet waren: Eine Firma namens Markt+Technik hatte sich sowohl im PS5- als auch im Switch-Regal ausgebreitet.
"Martha is Dead" und "Madison" (zwei Titel, die ich gerne in physischer Form hätte) konnte ich im PS5-Regal vor Ort nicht finden, aber von "Mia and Me", "Moorhuhn Piraten" und "Meine Tierarztpraxis im Zoo" mit KI-generiertem Cover (inklusive mutiertem Löwenbaby und einem definitiv nicht funktionstüchtigen Stethoskop) gab es gleich mehrere Kopien, die zum Teil auch noch so platziert waren, dass sie "Metaphor: ReFantazio" verdeckten. Anderswo warteten Games wie "United Assault: Normandy '44", "Delivery Driver – die Paketzusteller-Simulation", "Dracula’s Legacy" und "Sherlock Holmes: Jagd auf Moriarty" auf potentielle Käufer – allesamt ebenfalls von Markt+Technik.
Bei den Switch-Spielen war das Ganze noch schlimmer: Auch dort prangte das Logo von Markt+Technik auf etlichen Spiele-Covern, aber stets neben dem Hinweis “Nur Downloadcode – Keine Softwarekarte enthalten”.
Wer oder was ist die Markt und Technik Verlag GmbH?
Der Verlag Markt und Technik wurde 1976 gegründet und spezialisierte sich schon damals auf Fachbücher und Software für Heimcomputer. Die Fachbuch-Sparte wurde 1999 vom britischen Medienkonzern Pearson übernommen, im Jahre 2013 allerdings wieder aufgegeben. 2014 wurde Markt und Technik dann von der Braun Handels GmbH aufgekauft, die damit auch alle Rechte an der Marke Markt und Technik sowie an den Buchreihen des Verlages übernahm. Aus "Markt und Technik" wurde "Markt+Technik". Intern wurde außerdem wohl beschlossen, einen größeren Fokus auf Software und Spiele zu legen.
Allein für die Nintendo Switch hat Markt+Technik inzwischen mehr als 50 Spiele in (pseudo-)physischer Form veröffentlicht. Dazu kommen Titel für PlayStation 4 und 5. Was haben die Spiele gemein? Sie sind grundsätzlich zu einem angeblich "reduzierten" Preis zu haben und orientieren sich gerne an bekannten IPs anderer Publisher. Statt "Nintendo Switch Sports" bietet Markt+Technik unter anderem "Instant Sports" an, statt "Call of Duty" gibt es Titel wie "WWI Verdun", "Strike Force" und "Beyond Enemy Lines", statt "Harvest Moon" oder "Stardew Valley" gibt es "Harvest Life" und "Farm for your Life", statt "Animal Crossing" gibt es "Castaway Paradise" und statt "Mario Kart" gibt es "Moorhuhn Kart" und "Animal Kart Racer", das auf der PS5 irritierenderweise auch als "Renzo Racer" verkauft wird.
Manche Ideen werden immer und immer wieder recycelt. Allein von "Instant Sports" gibt es ein halbes Dutzend Ableger. Ähnliches gilt für “Meine Tierarztpraxis”, die es in drei verschiedenen Ausführungen gibt, oder auch für die Moorhuhn-Kart-Reihe, die demnächst ihren vierten Teil hervorbringt.
Darüber hinaus bietet Markt+Technik noch etliche klassische Gesellschafts- und Brettspiele in Softwareform an: Auf der PS5 könnt ihr etwa Memory, Mensch Ärgere Dich Nicht oder Das Verrückte Labyrinth spielen, auf der Switch Mahjong.
Dass fast alle dieser Titel qualitativ unterirdisch sind, wird schon anhand der Screenshots klar. Ich möchte an dieser Stelle betonen: Das nachfolgende Bildschirmfoto aus "Ultimate Runner" stammt von einem PlayStation-5-Spiel, das neben AAA-Blockbustern in den Regalen diverser Einzelhändler steht:
Es handelt sich hier um Low-Budget-Spiele, die sich technisch und spielerisch überwiegend auf dem Niveau von kostenlosen Smartphone-Spielen bewegen. Entwickelt werden die Spiele von verschiedenen kleinen Teams in Europa, wie etwa Raylight Games aus Italien oder Korion Interactive und Polygon Art Studios aus Deutschland. Das auf der hauseigenen Webseite als "klein" bezeichnete Team von Polygon Art hat allein seit 2019 sage und schreibe 12 Spiele veröffentlicht. Die durchschnittliche Entwicklungszeit von "Strike Force", "Gabelstapler - Die Simulation" und co beträgt also weniger als ein halbes Jahr.
Spiele, die im Portfolio von Markt+Technik auf den ersten Blick ansprechender wirken, sind häufig sogenannte Wimmelbild-Spiele. Die in Screenshots schön anmutenden Grafiken von "Kingdom of Aurelia" sind beispielsweise nur spärlich animierte, zweidimensionale Bilder, in denen ihr bestimmte Gegenstände anklicken und kleinere Rätsel lösen müsst. Spielbare Charaktere gibt es nicht.
Markt+Technik hat sich praktisch auf Shovelware spezialisiert - also auf qualitativ minderwertige, schnell produzierte Spiele, die ihre Entwicklungskosten durch massenhaften Verkauf zu vermeintlich günstigen Preisen wieder einspielen sollen.
Sind wirklich alle Spiele von Markt+Technik schrecklich? Ich weiß es nicht. Tatsächlich ist es schwer, überhaupt Reviews für viele Spiele des Publishers zu finden. Es ist anzunehmen, dass absichtlich keine Testmuster verschickt werden. Wer sich auf die Suche nach Testberichten zu Moorhuhn Kart 3 und 4 macht, wird zumindest auf Metacritic nicht fündig. Moorhuhn Kart 2 wurde anno 2001 von Nintendo Life getestet und mit 3 von 10 Punkten bewertet. Bemängelt wurden die geringe Streckenanzahl, der Umfang allgemein und die Qualität des Spiels. Das einzige User-Review auf Metacritic liest sich ähnlich vernichtend: “No, just no. It's awful. I don't know where to start. My expectations were low, but HOLY **** I feel violated.” - Eine deutsche Übersetzung kann ich mir hier wohl sparen.
Zu Beyond Enemy Lines – Remastered wird auf Metacritic eine einzige Kritiker-Wertung (mit 1/10) geführt, zu Beyond Enemy Lines 2 gar keine. Letzteres gilt auch für United Assault – World War 2, United Assault – Normandy ‘44, Strike Force 3 und Animal Kart Racer 2.
Auf Amazon sind deutlich mehr und zum Teil auch überraschend gute Bewertungen zu finden, aber deren Authentizität darf bezweifelt werden. So hat Laura Bauer das Spiel United Assault – Normandy ‘44 auf Amazon zwar als “mega” bezeichnet und mit fünf Sternen bewertet, aber eine schnelle Recherche zeigt, dass die gute Laura Produkte verschiedenster Art grundsätzlich nur mit dem Wort “mega” und fünf Sternen bewertet.
Was will ich mit diesem Kommentar bewirken? Nun, mir ist klar, dass NplusX nicht die größte Reichweite hat, aber vielleicht stolpert ja dennoch mal jemand über diesen Artikel.
Es ist eine Schande, dass Leerverpackungen, die letztlich nur Müll produzieren überhaupt legal sind. Ebenso ist es eine Schande, dass es im Nintendo eShop und im PlayStation Store massig Shovelware gibt und Nintendo und Sony nicht viel strenger gegen solche Spielegurken vorgehen, dort sind aber immerhin meist nur technikaffine Gamer unterwegs. Markt+Technik bietet seine Spiele leider nicht nur dort an. Vor den Regalen von MediaMarkt und co fällt es Eltern oder Großeltern, die ihrem Kind etwas Gutes tun wollen, vermutlich viel schwerer, hochwertige Software von billigst produzierter Grütze zu unterscheiden. Mario Kart kostet 50€, Renzo Racer dagegen nur 14,99€ – der niedrige Preis und das bunte Titelbild können dann schnell zu einem Fehlkauf führen. Markt+Technik ist Shovelware made in Germany. Die Zielgruppe? Leute, die von Videospielen keine Ahnung haben. Das einzige Gegenmittel? Aufklärung und nicht zugreifen.
Markt+Technik und LJN haben übrigens beide einen Regenbogen in ihrem Logo. Zufall? :D
Dass solche Leute mittlerweile die einizige Zielkundschaft von Spieleabteilungen in Media Markt, Saturn usw. sind ist ein selbstgemachtes Problem. Schon vor 10-15 Jahren war es schwierig, Spiele am Releastag im Einzelhandel zu bekommen, solange es nicht gerade ein westlicher AAA-Titel war. Oft bin ich dann Freitags mit leeren Händen nach Hause gefahren und habe die Spiele halt digital gekauft, um sie über's Wochenende spielen zu können. So wurden ich und vermutlich viele weitere Kunden halt systematisch vergrault.
Im eShop ist die Situation noch mal eine ganz andere. Hier wird oft dasselbe Spiel 20 Mal unter verschiedenen Namen für einen völlig überzogenen Preis eingestellt, und eines davon ist dann immer für 90-95% im "Sale". Die Spiele haben dann noch so klangvolle Namen wie "World War Battle Heroes Field Armies Call of Prison Duty Simulator", um in möglichst vielen Suchanfragen als Ergebnis aufzutauchen.