Kommentar: Sechs Monate mit dem Game Pass
Fast jeder, der Videospiele als ernsthaftes Hobby betreibt, kennt es: Ein großer Backlog aus Spielen, die man sich als vermeintliches Schnäppchen in irgendwelchen Sales gekauft hat, nur um sie dann niemals zu spielen. Ein Regal voller noch verschweißter 3DS-Spiele, die auf dem Papier interessant klingen, mit ihrer 240p-Auflösung aber nicht gegen den großen 4K-Fernseher im Wohnzimmer anstinken können. Oder die Sammlerstücke, die man sich gleich am Releasetag zum Vollpreis zugelegt hat, weil man die Entwickler unterstützen wollte und die nun ebenfalls noch verschweißt sind. Wenn man eines dieser Spiele dann doch mal aus dem Regal nimmt, um es tatsächlich zu spielen, stellt sich nach wenigen Stunden heraus: So gut ist es eigentlich gar nicht, und man hätte mit dem Geld bessere Dinge anstellen können.
Meine eigene Spielesammlung wäre mit diesem Absatz jedenfalls ziemlich gut zusammengefasst, und ich habe spätestens seit den großen digitalen Sales komplett den Überblick darüber verloren, wie viele Spiele ich mir im Schnitt jedes Jahr kaufe und wie viele ich insgesamt besitze. Das hat sich 2021 grundlegend geändert und dieses Jahr weiß ich genau, welche Titel bisher den Weg in meine Sammlung gefunden haben - insgesamt waren es nämlich genau zwei Stück. Woran liegt das? Habe ich mit dem Aufbau einer Modelleisenbahn begonnen oder ein Jurastudium angetreten? Die Antwort kennt ihr natürlich schon, denn sie steht in der Überschrift.
Der digitale Backlog zur Flatrate
Während man sich eine Spielesammlung aus hunderten Titeln, die man größtenteis niemals spielen wird, früher noch mühsam selbst aufbauen musste, können Besitzer einer Xbox One, Xbox Series oder eines Gaming-fähigen Windows-10-PCs nun mit wenig Aufwand und zum kleinen Preis in diesen zweifelhaften Genuss kommen. Ultimate-Abonnenten werden von Microsoft nicht nur über den Game Pass und EA Play, sondern auch über Games With Gold und die unregelmäßig stattfindenden Free Play Days mit mehr Spielen versorgt, als man überhaupt spielen könnte. Auf allen Kanälen zusammen erscheinen in der Regel über 20 Titel innerhalb eines Monats, und insgesamt setzt Microsoft trotz dieser Flut einen bemerkenswerten Qualitätsstandard durch. Der Software-Müll von Trittbrettfahrern, der den Microsoft-Store genauso überschwemmt wie Steam oder den eShop der Nintendo Switch, ist in diesen Programmen jedenfalls nicht vertreten.
Natürlich ist niemand dazu verpflichtet, dieses Konzept gut zu finden. Spieler mit einem sehr eng gefassten Geschmack, die sich auf wenige ihnen bekannte Franchises beschränken, kommen vielleicht selbst mit einem derart günstigen und umfangreichen Abo-Service nicht auf ihre Kosten. Für mich persönlich machte sich der Game Pass jedoch absolut bezahlt: Seit dem November des letzten Jahres fanden über 40 Spiele den Weg auf meine Series X, und rund drei Viertel davon haben mir so gut gefallen, dass ich mich gerne länger und ausführlicher mit ihnen befasst habe. Da ich mein Abo zwischenzeitlich pausiert hatte, habe ich für ein Aufgebot, das AAA-Titel wie Resident Evil VII und aktuelle Indie-Perlen wie Narita Boy umfasste, im Schnitt also weniger als zwei Euro pro Spiel bezahlt.
Kann sich das für Microsoft überhaupt lohnen?
Natürlich stellt sich angesichts dieser Zahlen sofort die Frage, ob ein Geschäftsmodell wie der Game Pass überhaupt profitabel sein kann. Xbox-Marketing-Manager Aaron Greenberg macht auch keinen Hehl daraus, dass der Game Pass in seiner jetzigen Form keinen Gewinn einbringt und somit eine Investition ist. Eine spätere Rendite kann sich vor allem durch steigende Nutzerzahlen ergeben. Da Services wie Spotify oder Netflix mittlerweile deutlich über 100 Millionen Abonnenten haben, könnte sich auch die Anzahl der Game-Pass-Abos mittelfristig noch mindestens verzehnfachen - vor allem, wenn Cloud-Gaming endlich auch auf dem PC und Konsolen möglich wird. Denkbar ist aber leider auch, dass sich vor allem Microsofts First-Party-Titel mittelfristig noch mehr in die Richtung von Live Services bewegen, um durch DLCs und Mikrotransaktionen trotz einer Veröffentlichung im Game Pass profitabel zu bleiben.
Während viele Stimmen außerdem das Preisdumping und einen dadurch ausgelösten Wertverfall von Videospielen kritisieren, könnte das Game-Pass-Konzept auch positive Einflüsse auf die Spieleindustrie haben. Microsoft zwingt Entwicklern und Publishern kein einheitliches Geschäftsmodell auf, sondern handelt für jedes Spiel, das im Rahmen des Abos erscheinen soll, individuelle Deals aus. Große Publisher lassen sich gerne für tatsächliche Download- und Spielerzahlen mit Tantiemen bezahlen. Bei Indie-Titeln kann es dagegen durchaus vorkommen, dass Microsoft die Entwicklungskosten teilweise oder vollständig trägt und das fertige Spiel im Gegenzug vom ersten Tag an im Game Pass anbieten darf, während der Entwickler mit Verkäufen auf anderen Plattformen risikofreie Nettogewinne einfährt. Auf diese Weise können auch Spiele das Licht der Welt erblicken, die in den klassischen Gewinnprognosen der großen Publisher durchgefallen wären.
Muss Sony nachziehen?
Sony konnte sich in der letzten Konsolengeneration, nicht zuletzt aufgrund der katastrophalen Vermarktung der Xbox One, praktisch ein Monopol im Bereich der High-End-Konsolen aufbauen und nutzt diese Marktmacht aus, um seine Exklusivtitel auch im Game-Pass-Zeitalter weiterhin zum Vollpreis zu verkaufen. Auffällig ist jedoch, dass Returnal zuletzt nicht mehr an die Verkaufszahlen von Demon's Souls Remastered oder Spider-Man Miles Morales anknüpfen konnte, obwohl sich die Installationsbasis der immer noch als Einhorn geltenden PS5 seitdem mehr als verdoppelt haben sollte und Fans eigentlich wie hungrige Hyänen auf den ersten Exklusivtitel seit über fünf Monaten losgehen müssten. Das liegt natürlich mindestens zum Teil auch daran, dass Returnal ein Nischentitel ist.
Für mich persönlich kann ich allerdings sagen, dass der Game Pass tatsächlich der entscheidende Faktor dafür war, dass ich mir Returnal nicht gekauft habe. Ich bin nicht mehr bereit dazu, auf gut Glück achtzig Euro für einen durchaus interessant wirkenden Titel zu zahlen, der mir jedoch stilistisch nicht gefällt, bei dem ich nicht einschätzen kann ob er mir spielerisch zusagt, und der selbst im Idealfall nach zwanzig Stunden durchgespielt wäre. Denn im Gegensatz dazu habe ich für ein halbes Jahr mit dem Game Pass insgesamt sogar weniger als den für Returnal ausgerufenen Preis gezahlt und dafür hunderte Stunden in dutzende Spiele aus allen möglichen verschiedenen Genres stecken dürfen. Den Vollpreis zahle ich im Jahr 2021 wirklich nur noch für Releases, die in allen Aspekten meinen Geschmack treffen und mich wochenlang unterhalten können.
Natürlich handelt es sich bei diesem Absatz nur um eine Einzelmeinung. Für viele PlayStation-Fans ist der Game Pass allein aus Markentreue keine Alternative. Schon jetzt steht praktisch fest, dass Sony spätestens mit Horizon 2: Forbidden West den nächsten großen Blockbuster feiern und Game-of-the-Year-Awards einstreichen darf. Da jedoch im modernen Kapitalismus von den meisten Investoren nicht nur Nettogewinne, sondern ständiges Wachstum gefordert wird, könnte Sony selbst dann, wenn sie nur geringe Marktanteile an Microsoft verlieren, gehörig unter Druck geraten. Wie viele Spieler werden in zwei bis drei Jahren noch bereit dazu sein, achtzig Euro für ein Spiel zu zahlen, das sie noch nicht einmal gespielt haben? Das wird auch davon abhängen, wie sehr sich Abo-Services bis dahin normalisiert haben.
FAZIT:
Nach einem guten halben Jahr bin ich rundum zufrieden mit meiner Xbox Series X und dem Game Pass. Der größte Anreiz des Abo-Service ist für mich nicht die finanzielle Ersparnis, sondern die Möglichkeit, alle möglichen Spiele völlig risikofrei anspielen zu dürfen. Auf diese Weise habe ich mit der Next-Gen-Konsole schon so einige Titel entdeckt, die mir wirklich Freude bereitet haben und die ich ohne den Game Pass noch nicht einmal beachtet hätte. Von diesem Standpunkt aus bin ich vorsichtig gespannt darauf, ob und wie sich der Markt in den nächsten Jahren durch die Existenz von Abo-Services entwickeln wird. Kann Phil Spencer seine Vision eines Spotify für Videospiele umsetzen? Werden mittelfristig wirklich alle Spiele im Rahmen eines solchen Abos erscheinen? Vielleicht liefert die kommende E3 schon erste Antworten.
An sich interessant, wie ich zum einen völlig nachvollziehen kann, wie du es handhabst und es zum anderen genau deswegen nicht so handhaben will. Also ich habe ja meinen Backlog bestehend aus ca. 35 Vollpreisspielen, von denen ich mehr oder weniger weiß, dass sie mir gefallen werden. Und zum Beispiel nächste Woche kommt schon FFVIIr Intergrade. Also selbst mein verhältnismäßig kleiner Pile of Shame gepaart mit einer handvoll Pflichtterminen (in meinem Fall ein neues Final Fantasy) baut tatsächlich schon so einen beknackten Druck auf lol.
Unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis hin oder her: da brauche ich nicht noch eine Spiele-Flat (GP bzw. PSNow), durch die ich Zugriff auf noch hunderte anderer Spiele habe, die mich, wie du auch erwähntest, zum Großteil gar nicht komplett ansprechen, ich aber reinspielen würde, was mir aber die "Zockzeit" stehlen würde, um meinen eigentlichen Pile of Shame wenigstens in Ansätzen anzugehen. Der aus Spielen besteht, die mir gefallen werden^^'.
Das ist ein bisschen wie damals, als man sich eine CD-Spindel mit 50 gebrannten PSOne-Spielen auf dem Schulhof gekauft hat, man in alle reinzockt und am Ende doch den dritten Run Super Mario 64 angeht. Der Unterschied ist einfach, dass ich damals Zeit für dafür hatte^^.
Würden Sony oder Nintendo ein Abo anbieten, indem alle First-Party-Spiele zum Release erscheinen, würde ich das vermutlich direkt zum Normalpreis abschließen.