Kommentar: Nintendo spielt mit unseren Gefühlen
Vor einigen Tagen habe ich ein Video gesehen, in dem ein Videospiel-Redakteur anlässlich des 35. Geburtstags von „The Legend of Zelda“ seine Erinnerungen an das erste Zelda-Abenteuer teilte. Dieser Mann Anfang der 40er hat die Faszination und Magie aus seiner Kindheit derart charmant und liebenswert erzählt, dass ich gefühlt dabei war, als er nach Wochen des Sparens seinen neuen Schatz, das goldene Modul für das NES, ergattern konnte. Umso schmerzlicher empfinde ich den Kontrast zu Nintendo selbst, die ihre eigenen Jubiläen in meinen Augen aktuell maximal lieblos und rein gewinnorientiert bestreiten.
Ich lese nach Nintendo-Direct-Ausgaben (ob „vollumfänglich“ oder mini) immer wieder Sprüche wie „Ihr erwartet einfach zu viel“ oder „Nintendo ist eben auch ein Wirtschaftsunternehmen, dass Gewinn machen will“. Während ersteres natürlich sehr subjektiv ist, wird wohl kaum jemand die zweite Aussage ernsthaft in Frage stellen. Natürlich ist Nintendo ein Wirtschaftsunternehmen. Genauso wie Sony und Microsoft sind sie nicht nur dafür zuständig, uns mit frischem Gameplay, tollen Geschichten und buntem Klamauk untertänigst unterhalten zu dürfen, sondern möchten durch ihr Schaffen etwas verdienen, Mitarbeiter möglichst gut in Lohn und Brot halten und vielleicht sogar ein paar Investoren bauchpinseln.
Darüber hinaus hat Nintendo aber auch immer einen gewissen Sonderstatus gehabt. Den Ruf des eigentümlichen und lustigen Kumpels, der immer etwas Besonderes mitbringt. Etwas Unbekanntes und Aufregendes, etwas Ursympathisches, auf das ich mich stürzen und davon faszinieren lassen möchte. Dieser besondere Status sorgt dann aber auch für entsprechende Erwartungen. Nintendo-Fans möchten eben nicht einfach „nur“ unterhalten werden. Nintendo-Fans möchten begeistert werden.
Lieblos
Und eigentlich ist es ja auch kein Schwerverbrechen, wenn man als handelsüblicher Fan dieses ikonischen und besonderen Unternehmens entsprechend erwartet, dass in die Spiele von Nintendo etwas mehr Liebe und Esprit fließt, als zuletzt beispielsweise bei der 3D-Mario-Collection geschehen. Und meiner Meinung nach ist diese Lieblosigkeit von Nintendo genau der Punkt, an dem sie an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen und möglicherweise zu viel Zeit damit verbringen, ihr Erspartes zu zählen.
Nachdem Nintendo mit so unfassbar viel Liebe und Leidenschaft den 35. Geburtstag des hauseigenen Videospielsuperklempners ausgerichtet hat, steht mit The Legend of Zelda bereits der nächste Geburtstag an. Obwohl...eigentlich war der Termin ja schon am 21. Februar.
Aber das muss man auch nicht ganz genau nehmen, schließlich sollen sich die Konsumenten ja noch bis Ende März darauf konzentrieren, dass sie JETZT ODER NIE die Mario-Collection kaufen dürfen/sollen/können/müssen. Danach steht erst einmal der Release von jedermanns "Lieblingszelda" Skyward Sword HD an, das ganz gewiss mit allerhöchstem Aufwand auf die Switch portiert wird. Wir alle dürfen gespannt sein, mit welchen Titeln Nintendo uns dann weiter verwöhnen wird....
Ich kreiere mal ein fiktives - und möglicherweise auch völlig unrealistisches - Szenario: Nach Skyward Sword HD portiert Nintendo noch The Wind Waker HD und Twilight Princess HD von der Wii U auf die Switch. Diesen nahezu unmenschlichen Aufwand, die unfassbar hohen Entwicklungskosten für die Portierungen und das Hineinfriemeln der Datensätze in diese kostbaren und teuren Module lassen sie sich dann wieder mit jeweils sehr fairen 60 Euro versüßen.
Vielleicht kommt dann zum Ende des kommenden Geschäftsjahres und damit auch zum Abschluss der Feierlichkeiten im März 2022 sogar Breath of the Wild 2. Und mit ganz viel Glück erbarmt sich Nintendo und packt irgendwann noch die aufgehübschten 3DS-Versionen von Ocarina of Time und Majora´s Mask für den üblichen Standard-Preis sogar zusammen auf ein Modul. Okay, nun wird es wohl wirklich Träumerei…
Magie
Ich spanne wieder den Bogen zur Einleitung und frage die älteren unter den Lesern: Erinnert ihr euch noch an die Zeit, als Nintendos Zelda- und Mario-Klassiker auf NES, SNES und N64 frisch auf den Markt kamen? Als es noch nicht cool war, weil es retro war? Sondern, weil es tatsächlich wirklich cool war? Erinnert ihr euch an das Gefühl, als ihr A Link to the Past oder Ocarina of Time im örtlichen Elektromarkt gekauft, ihr auf dem Klo sitzend sabbernd die Anleitung durchgeblättert und geschnüffelt und dann mit zitternden Händen das Modul in die Konsole gesteckt habt? Als würdet ihr das Master-Schwert aus dem Sockel ziehen und euch aufmachen, um die ganze Welt zu retten? Als ihr auf Epona die hylianische Steppe durchquert und dann zum ersten Mal voller Ehrfurcht die Zitadelle der Zeit betreten habt?
Bei der Veröffentlichung von Ocarina of Time bin ich als Jugendlicher jeden zweiten Tag hoffnungsvoll zum Elekrofachmarkt in meinem Dorfe gepilgert und habe geschaut, ob das Spiel eeeeeeeeendlich im Regal liegt. Und wie überwältigt ich war, als ich es nach 2 Wochen in meinen schwitzenden und vom Selbst-Daumendrücken nahezu verstümmelten Händen hielt. Vom Glück geküsst und vom Universum belohnt für all die Mühen und Entbehrungen in dieser aufwühlenden Zeit. Ich wette, Neil Armstrong hat sich ganz ähnlich gefühlt, als er den ersten Fuß auf die staubige Mondoberfläche setzte und im Radio seines Mond-Cruisers episch die Hymne der Zeit erklang.
Natürlich waren das damals noch andere Zeiten. Es konnte nicht online vorbestellt werden, es gab auch nicht etliche Gameplay-Videos bei Youtube. Es gab viele Unwägbarkeiten und genauso viel Abenteuer. Und vor allem gab es nach dem Kauf nur noch mich und dieses eine Spiel.
Okay, diese Magie lässt sich wirklich nicht 1:1 auf heute übertragen. Aber Nintendo hat für meinen Geschmack 2017 mit Breath of the Wild bewiesen, dass sie immer noch überraschen und begeistern können. Ich sehe in den letzten Jahren aber auch, dass sie vermehrt ausloten, mit wie wenig Aufwand sie sich (und ihren Aktionären) den Geldspeicher noch weiter vollschütten können.
Man spielt nicht mit Gefühlen
Die Mario-Collection wurde recht mühe- und lieblos dahingeklatscht - und dazu noch zeitbegrenzt veröffentlicht. Und obwohl die Sammlung im Grunde unvollständig ist (Super Mario Galaxy 2?), wird sie zum Vollpreis verkauft. Das wirkt einfach kalt und berechnend und so gar nicht lustig und begeisternd. Vor lauter Jongliererei mit Zahlen, dem Aufwärmen alter Gerichte zum Vollpreis und der Geheimniskrämerei über zukünftige Releases sollte Nintendo aber eines Bedenken: Mit den Neuauflagen ihrer Klassiker triggern sie bisweilen die beschriebenen Kindheits- und Jugenderinnerungen ihrer Fans. Und wenn sie diese positiven Gefühle wirklich ansprechen wollen, sollte auch etwas Liebe in die Projekte einfließen.
Denn spielt man derart kalt mit den guten Gefühlen der eigenen Anhänger, dann setzt man diese wichtige Beziehung möglicherweise irgendwann aufs Spiel.
Wenn die Entscheidungsträger allerdings darauf spekulieren, dass alle aus dem Häuschen sind sobald erstmal BotW 2 und Metroid Prime 4 draußen sind und dann alles Friede, Freude, Eierkuchen ist und kaum einer mehr darüber nachdenkt, was in den Monaten/Jahren davor alles für fragwürdige Dinge passiert sind, nun, dann liegen sie damit am Ende wohl doch ziemlich richtig. XD Inwieweit das gegen die Fans spricht, möge jeder für sich selbst entscheiden. Ich werde sie jedenfalls nicht verurteilen, weil ich genau weiß, dass ich mich dann auch so verhalten werde wie eben beschrieben.
„Erwartet lieber nicht zu viel“ ist einer dieser Sätze, die ich überhaupt nicht mag. Man muss sich doch mal vor Augen halten: es besitzen jetzt so viele Menschen eine Switch, Nintendo scheffelt Kohle ohne Ende, legte Heimkonsolen- und Handheld-Sparte zusammen...
Und im nun 5. Jahr wird man immer noch mit Legacy-Content abgespeist bzw. mit Party-/Multiplayerspielen? Wenn nicht jetzt neue, große Exklusivtitel, die IPs abseits Mario/Zelda/Pokémon bedienen, wann dann? xD
In diesem Jahr ist es sogar schon so, dass ich eher die Series X als Hauptkonsole betrachte, nicht die Switch. Die nächste Nintendo-Konsole wird wahrscheinlich nicht Day One gekauft... Nintendo sendet mir als Fan momentan das Signal, dass sie sich auf absehbarer Zeit nicht ändern werden. Wieso auch? Sie scheffeln ja Kohle ohne Ende. Noch...
Zum Zelda-Jubiläum: Seit dem Year of Luigi sind die Jubiläen doch ein bisschen willkürlich gewählt und verschoben. Ich bin mir sicher da kommt noch mehr...und zwar ein Port von TP und WW GEMEINSAM um 60€. Juhu. :P
In Sachen Kommunikation und Verhalten ggü den Fans, ist es natürlich spätestens seit 1-2 Jahre nach dem Ableben Iwatas etwas anders geworden; schlechter geworden. Man muss hierzu aber auch anmerken, dass diese Kursänderung nicht unwichtig war, bezogen auf Nintendos Weiterbestehen. Trotzdem wünscht man sich natürlich die alte Magie etwas zurück. Ob diese allerdings rein in der Nostalgie existiert, vermag ich nicht zu beantworten.
Also ja, ist nicht alles geil. Ordner fehlen immer noch, technisch hinkts bei einigen Games, manche Remastereds sind zu teuer und/oder lieblos - aber ist das gerade wirklich schlechter als sonst? Du sprichst über die Veröffentlichung von Ocarina - ein Meilenstein der Videospielgeschichte. Aber das N64 hat an einer Hand abzählbare gute Exklusivtitel und 0,0 gute Third-Party-Games, nachdem sich Ninty es gleichzeitig mit Square, Sony und vielen anderen Publishern verscherzt hatte. War das echt so viel geiler damals als es jetzt ist, wo sogar Switch-exklusive SquareEnix Games rauskommen?
Außerdem hat Nintendo erfolgreiche Marken aussterben lassen, wie F-Zero oder Star Fox und hält mit Mühe und Not sterbende Marken wie Pokémon und Mario am Leben!
#damalswarallesbesser
Meiner Meinung nach gab es für das N64 deutlich mehr als an einer Hand abzählbare gute Exklusivtitel. Aber das ist einerseits natürlich die Frage, ob man das N64 damals hatte und die Titel auch in dieser Zeit betrachtet hat. Heutzutage müsste ich das meiste davon nicht mehr zocken, aber mir fallen aus dem Stand ohne groß nachzudenken so einige Spiele ein, die ich damals toll fand: Super Mario 64, Mario Kart 64, beide Zelda-Titel, Wave Race, F1 World Grand Prix, International Superstar Soccer, 1080° Snowboarding, Forsaken, Extreme-G, Star-Wars-Racer, Star Wars: Rogue Squadron, die Turok-Spiele, Top Gear Rally, fast alle Spiele von Rare, Lylatwars, F-Zero X...
Andererseits ist es aber natürlich auch Geschmackssache: Ich denke, unsere Geschmäcker sind einfach auch sehr unterschiedlich. An mir gehen SquareEnix-Spiele für die Switch, JRPGs und ähnliches wirklich Lichtjahre vorbei.
Bei der Frage, ob die N64-Ära seiner Zeit so viel geiler war, als die Switch Zeit heute: Dazwischen liegen Welten! Ja, das N64 zählt nicht gerade zu den erfolgreichsten Konsolen aber es hatte ein Spieleagebot, das seinerzeit plattformübergreifend beeindrucken konnte. Sehr viele Genres (bis auf Beat em Ups u.a.) hatten auf dem N64 einen oder mehrere hervorragende Vertreter, die über den Nintendokosmos hinaus, die Spielerschaft aufhorchen ließ. Schaue ich nun, was die Switch heute so alles im Angebot hat, sehe ich neben der Fülle an Spielen, die mich persönlich schlichtweg nicht interessieren (JRPG´s) nur ganz wenig Spiele, die ich wirklich aufregend finde, weil es sie so zum Teil auch schon auf älteren Nintendokonsolen hätte geben können. Sie also nicht modern, nicht nach Next-Step schmecken. Hinzukommt, dass vieles davon Spiele sind, die ich bereits gezockt habe (auf der WiiU) aber bei denen ich damals schon dachte "ganz nett aber die spielerischen Glanzperlen vergangener Tage und bahnbrechenden Weiterentwicklungen sind das nicht". Der Pioniergeist, den es bei Nintendo einst gegeben hat, ist weg. Tatsächlich ist er nur noch ein Geist.