Nioh 2
Demon's Souls, das schon 2009 in Asien erschien, kann aus heutiger Sicht wohl problemlos als eines der einflussreichsten Spiele der Neuzeit beschrieben werden. Es diente nicht nur als Grundstein für die Dark-Souls-Trilogie, sondern inspirierte auch unzählige Nachahmer wie Lords of The Fallen, The Surge, Code Vein - oder eben Nioh. Mit Nioh verschleppte uns Koei Tecmo im Jahr 2017 in die Sengoku-Ära, wo wir uns in der Rolle von William Adams gegen japanische Kriegsherren und Dämonen behaupten mussten. Der zweite Teil spielt sich in vielen Bereichen wie ein Add-On, bzw. ein Nioh 1.5: Die Engine wurde beibehalten und viele bekannte Assets, Menüs und Gegnertypen finden wir im Nachfolger wieder. Statt grundlegende Dinge zu ändern, haben die Entwickler die vorhandene Basis mit einem umfangreichen Feature-Paket erweitert.
Das Soulslike-RPG
Anders als in Dark Souls bereisen wir in Nioh keine zusammenhängende Spielwelt, sondern wählen Haupt- und Nebenmissionen auf einer Weltkarte aus. Die einzelnen Gebiete sind allerdings immer noch recht groß und sehr non-linear aufgebaut, sodass die Suche nach Secrets keineswegs zu kurz kommt. Letztere gibt es in Nioh wie Sand am Meer, denn die Entwickler haben ein von Diablo inspiriertes Loot-System in ihren Titel eingebaut: Beinahe im Minutentakt finden wir Waffen und Rüstungsgegenstände in einer von sechs Seltenheitsstufen, mit denen wir unseren Spielstil anpassen und kleinere Vorteile im Kampf erlangen können. Wirklich im Mittelpunkt stehen diese RPG-Elemente natürlich trotzdem nicht, denn in der Praxis entscheiden maßgeblich immer noch unsere spielerischen Fähigkeiten über Sieg und Niederlage - und nicht das Level unserer Spielfigur oder die Qualität unserer Ausrüstung.
Das Kampfsystem selbst ist deutlich actionlastiger, als wir es von den meisten anderen Genrevertretern kennen. Natürlich tanzen wir nicht ganz so elegant um unsere Gegner herum wie Bayonetta oder Dante, aber insgesamt ist unser Avatar deutlich agiler als die Hauptfiguren der Dark Souls Trilogie. Das allgemeine Spielgefühl von Nioh erinnert also eher an Platinum Games als an From Software, sodass uns die Auseinandersetzungen entsprechend schnelle Reflexe abverlangen. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die Komplexität des Kampfsystems: Zu dem Standardrepertoire aus schnellen und starken Angriffen gesellen sich Ninja-Werkzeuge wie Shurikens oder Krähenfüße und sogar Onmyo-Magie, die offensiv oder defensiv eingesetzt werden kann. Außerdem können wir jederzeit zwischen drei verschiedenen Körperhaltungen wechseln, um entweder unsere Offensive, unsere Blocks oder unsere Ausweichmanöver zu verstärken. Im Zentrum steht - ähnlich wie in Sekiro - das Ausdauersystem: Ist das Ki unserer Gegner aufgebraucht, können wir ihnen mit einer Spezialattacke sehr ordentlich zusetzen.
Wer Nioh gespielt hat wird wissen, dass der Action-Titel zwar immer noch sehr schwierig, aber nicht ganz so knochenhart wie Dark Souls oder Sekiro ausfiel. Das gilt - mit einer ganz großen Einschränkung, auf die wir später noch eingehen werden - genauso für den zweiten Teil. Solange wir nicht gerade von neuen Gegnertypen übertölpelt werden oder unachtsam sind, kann man in Nioh auch mal längere Zeit ohne einen einzigen Bildschirmtod auskommen. Brenzlige Situationen gibt es aber immer wieder - vor allem in den Nebenmissionen, die spürbar schwieriger ausfallen als das Hauptspiel, dafür aber kürzer sind und manchmal sogar nur aus Arenakämpfen gegen Gegnerwellen bestehen.
Die neuen Features
Die spielerischen Neuerungen in Nioh 2 drehen sich vor allem um eure Hauptfigur, die ihr diesmal nicht vorgegeben bekommt, sondern zu Beginn frei erstellen dürft. Der Charakter-Editor ist extrem umfangreich und lässt euch viele Freiheiten, sodass ihr bei Bedarf Figuren erstellen könnt, die man eher mit dem Christopher Street Day als mit der Sengoku-Ära assoziieren würde. Wer sich dann doch lieber einen authentischen Samurai-Krieger bauen will, kann das natürlich auch tun. Spielen wir mit einer aktiven Internetverbindung, können wir überall in der Spielwelt die Gräber unserer Mitspieler finden und gegen deren Charaktere antreten.
Euer Alter Ego ist halb Mensch und halb Yokai und verfügt somit über die Fähigkeiten eines Gestaltenwandlers, die das ohnehin schon recht komplexe Kampfsystem von Nioh noch mehr erweitern. Findet ihr die Seele eines besiegten Gegners, könnt ihr diese ausrüsten und eine seiner Spezialattacken selbst einsetzen. Ebenfalls neu ist das Burst-Counter-System: Bestimmte gegnerische Angriffe können mit dem richtigen Timing ausgekontert werden, was oft die einzige Chance ist, diesen Attacken überhaupt zu entgehen. Das richtige Zeitfenster müsst ihr dabei jedoch wirklich haargenau treffen und für jeden Gegnertypen neu erlernen. Zu guter Letzt könnt ihr euch auf Knopfdruck komplett in einen Yokai verwandeln und in dieser Zeit ordentlich austeilen - die Verwandlung hält jedoch nur wenige Sekunden lang an, bevor ihr dann wieder als Mensch weiterkämpfen müsst.
Wer jetzt glaubt, dass Nioh 2 aufgrund dieser ganzen mächtigen Offensivoptionen zu leicht werden könnte, wird allerspätestens bei den Bosskämpfen eines Besseren belehrt. Während die meisten Soulslikes noch recht gemächlich beginnen, werdet ihr in Nioh 2 von Beginn an so extrem aufs Korn genommen, als hättet ihr es mit einem Elder Dragon aus Monster Hunter zu tun. Bevor ihr überhaupt eine theoretische Chance gegen die Obermotze habt, müsst ihr alle Angriffsmuster in- und auswendig kennen und ohne nachzudenken wissen, wie ihr diese abwehrt oder auskontert. Aber selbst danach kann es noch Stunden dauern, bis ihr irgendwann den perfekten Run erwischt und siegreich seid, da die Endgegner über nahezu unerschöpfliche Lebensbalken verfügen und ein einziger übereifriger Angriff oder eine einzige Unaufmerksamkeit das sofortige Ableben bedeuten kann. Für den zweiten Bosskampf habe ich bei meinem Test 21 Versuche gebraucht, beim dritten wurden es sogar 43 - verteilt über zwei Spielsitzungen à zwei Stunden. Vielleicht werde ich einfach zu alt, aber in Dark Souls Remastered hatte ich selbst mit optionalen Endbossen wie Great Grey Wolf Sif nicht annähernd so große Probleme.
Immerhin werdet ihr bei diesem nahezu aussichtslosen Unterfangen von einer sehr soliden Technik unterstützt. Sofern ihr dieses Feature nicht beim Spielstart abstellt (und ihr wärt wahnsinnig, wenn ihr dies tun würdet), fährt Nioh 2 seine Grafikleistung bei Bedarf herunter, um euch immer eine stabile und flüssige Framerate bieten zu können. Ihr müsst also durchaus mit einigen Popups und anderen auffälligen Schönheitsfehlern leben, könnt euch dafür aber zu einhundert Prozent darauf verlassen, dass ihr zu keiner Zeit von Rucklern oder Framerateeinbrüchen gestört werdet. Weniger solide ist die Kamera, die vor allem bei Kämpfen in engen Räumen nicht immer ideal erscheint. Insgesamt macht Nioh 2 optisch nicht sehr viel her, aber die Gegnerdesigns sind dem Entwicklerteam herausragend gut gelungen.
Fazit:
Statt das Rad neu zu erfinden, übernimmt Nioh 2 das komplette Fundament seines Vorgängers und baut darauf auf. Fans des ersten Teils werden sich also gleich wie zu Hause fühlen, müssen jedoch hinnehmen, dass sich das Gameplay abseits der neuen Yokai-Fähigkeiten eurer selbst erstellten Hauptfigur nicht verändert hat. Wer den Vorgänger noch nicht kennt, sollte jedoch auf jeden Fall mit diesem einsteigen, da die Lernkurve von Nioh 2 ungefähr dort beginnt, wo Williams Reise aufgehört hat. Insgesamt betrachtet ist Nioh 2 zwar nicht übermäßig schwierig, aber die Bosskämpfe sind noch einmal deutlich härter als das, was uns die Action-Titel von Platinum Games oder Dark Souls Remastered zugemutet haben. Wer mit einem Kauf von Nioh 2 liebäugelt, muss sich deshalb auch darüber im Klaren sein, dass er für jeden einzelnen Endkampf mehrere Spielstunden und dutzende Fehlversuche investieren muss, bis irgendwann der „Mission Complete“-Bildschirm erscheint. Wer diese Tortur auf sich nimmt, wird mit einem insgesamt sehr hochwertigen Vertreter des Soulslike-Genres verwöhnt.