Disgaea 4 Complete+ (Nintendo Switch)
Rundenbasierte Strategie-Rollenspiele sind auf der Switch inzwischen keine Seltenheit mehr. Mit Fire Emblem: Three Houses kam dieses Jahr einer der größten Player des SRPG-Genres von Intelligent Systems auf die Hybridkonsole, aber auch abseits davon gibt es mit God Wars, Valkyria Chronicles 1 und 4 und inzwischen der Hälfte der Titel der Disgaea-Reihe mehr als genug Futter für Fans gepflegter Rundenstrategie. So erscheint Disgaea 4 Complete+ nicht nur ein wenig im Schatten des großen Fire Emblem, das vor kurzem erst neue DLC-Inhalte spendiert bekommen hat, das Spiel muss sich auch die Frage gefallen lassen, was es im Vergleich zu den anderen beiden Disgaea-Titeln, die für Switch erhältlich sind, zu bieten hat.
Tote Pinguindämonen lügen nicht
Einst war der Vampir Valvatorez ein mächtiger und gefürchteter Tyrann in der Netherworld. Er verliebte sich jedoch in eine menschliche Frau und schwor, nie wieder Blut zu trinken, bis er es schaffen würde, ihr Angst einzujagen. Tragischerweise verstarb sie, bevor er sein Ziel erreichen konnte und so verlor der Vampir durch seine Blutdiät nach und nach seine Kräfte, wurde gestürzt und landete in Hades, dem Netherworld-Gefängnis, wo er seitdem sein Dasein als Prinny-Instructor und Sardinenbewunderer fristet. Prinnies sind kleine, lebendige Pinguin-Stofftiere, die als Maskottchen der Serie und des Entwicklers Nippon Ichi Software fungieren und auch in der Disgaea-Reihe eine Rolle spielen. Wenn Menschen sterben, werden ihre Seelen nämlich jeweils in eines dieser Kuscheltiere gestopft und sie werden in die Netherworld transportiert, wo sie so lange bleiben, bis sie für all ihre Sünden bezahlt haben und in den Himmel aufsteigen können. Das "Corrupternment", das aus den politischen Führungskräften der Netherworld besteht, plant jedoch eine großflächig angelegte Dezimierung der Prinnies, da aktuell zu viele menschliche Seelen ankommen und die Prinny-Fabriken mit der Herstellung der Pinguin-Kuscheltiere nicht mehr hinterherkommen.
Valvatorez sieht es als Prinny-Trainer als seine Pflicht an, seine Schüler zu beschützen, und so schart er nach und nach eine schräge, aber schlagfertige Gruppe aus Abtrünnigen zusammen, um eine Rebellion gegen das Corrupternment zu entfachen. Im Hintergrund zieht derweil sein getreuer Werwolf-Diener Fenrich ein paar Fäden…
Die Story von Disgaea 4 ist zwar nicht das Hauptverkaufsargument des Spiels, aber die vielen verrückten Charaktere tragen mit ihren ganz persönlichen Zielen und Eigenheiten dazu bei, dass sie durchweg unterhaltsam bleibt. Disgaea-typisch gibt es hier auch wieder jede Menge flacher Witze und übertrieben häufig genutzte Running Gags, die einem die etwas lieblos designten Story-Sequenzen, in denen meist Standbilder der redenden Akteure durch Textboxen miteinander kommunizieren, versüßen sollen. Valvatorez ist beispielsweise ein richtiger Sardinen-Nerd, wirft gelegentlich mit Fun Facts über die Fischart um sich oder brüllt ganz gerne auch einfach mal mitten in der Schlacht grundlos „Sardinen!!!“.
Geopanelogie
Das Gameplay von Disgaea 4 ist im Großen und Ganzen so geblieben, wie man es von der Serie kennt. In einer kleinen Hub-Area könnt ihr euch frei bewegen und verschiedene Stationen wie Ausrüstungsläden, die Item World, den Cheat Shop, eine Krankenstation und viele weitere interessante und nützliche Orte ansteuern.
Wollt ihr die Story vorantreiben, müsst ihr euch in rundenbasierten Kämpfen diversen Gegnern stellen. Ihr zieht zu Beginn des Kampfes eure Einheiten einzeln aus einem Spawnpunkt auf der jeweiligen isometrisch aufgebauten, dreidimensionalen Map und könnt diese innerhalb ihres Bewegungsradius platzieren, Gegner in Reichweite mit normalen, Spezial- oder Kombo-Attacken beharken oder Freund oder Feind aufheben und an einen anderen Ort werfen. Dabei entsteht an mehreren Fronten zugleich Chaos: Zwar kann die Kamera, die voreingestellt schräg auf das Schlachtfeld schaut, bewegt werden, aber eine Einstellung, die euch die perfekte Übersicht gewährt, gibt es nicht. Bei großflächigen Magieangriffen solltet ihr auch wirklich darauf achten, welche Charaktere davon getroffen werden – schließlich wollt ihr ja nicht eure eigenen Leute mit Feuerbällen traktieren, oder? Dazu kommen nicht nur die bereits erwähnten bildschirmfüllenden Kombo- und Spezialangriffe, sondern auch noch die sogenannten Geo-Panels, die das Herz eines jeden Taktikers höher schlagen lassen sollten.
Viele Stellen der meisten Maps sind mit einer bestimmten Farbe eingefärbt. Entsprechend gefärbte Geo-Cubes sorgen dafür, dass diese Geo-Panels mit bestimmten Effekten, Buffs und Debuffs versehen werden, die entweder beim Darauftreten aktiviert werden oder wenn eine Figur während eines Angriffs gerade darauf steht. Die Geo-Cubes könnt ihr aber auch aufheben und auf ein Panel einer anderen Farbe werfen oder sie zerstören, was alle Panele, die der gleichen Farbe entsprechen wie die des Panels, auf dem der zerstörte Cube gerade stand, in der Farbe desselben einfärbt und dabei allen Charakteren, die auf entsprechend gefärbten Panelen stehen, Schaden zufügt. Das ist noch lange nicht alles, was ihr mit diesem System anstellen könnt und es mag jetzt schon verwirrend klingen, aber im Großen und Ganzen seid ihr selten gezwungen, großartig Gebrauch von den Geo-Cubes und –Panels zu machen. Taktiker können sich auf bestimmten Maps aber grandios austoben und wahrhaft verheerende Kombo-Angriffe mit gezielten Formationen und klugem Einsatz der farbigen Würfel starten.
Das Kampfsystem macht einen der größten Reize der Disgaea-Reihe aus, vor allem weil es euch die Möglichkeit gibt, eure Charaktere mit der Zeit absurd stark zu machen, indem ihr sie bis Level 9999(!) trainiert, ihre Stats und ihren Level resettet und das Ganze dann noch ein paar Mal mit erhöhten Wachstumsfaktoren für eure Statuswerte durchlauft. Der ausgeteilte Schaden eurer Charaktere wird so im Laufe der Zeit von einstelligen Werten bis hin zu mehreren Hunderttausenden und weiter ansteigen. Das ist für einen Story-Durchlauf nicht erforderlich, aber für Fans des gepflegten Grindings spielt die Musik sowieso in der sagenumwobenen Item World.
Die Welt in eurem Schwert
In der bereits erwähnten Hub-Gegend könnt ihr in Disgaea 4 Complete unzählige verschiedene Dinge tun und Features nutzen, von denen wir nur einige aufzählen wollen: In den Item- und Rüstungsläden könnt ihr, wer hätte es gedacht, Items und Ausrüstung kaufen oder verkaufen. Im Cheat Shop könnt ihr diverse Regeln an- und ausschalten und euch das Spiel quasi so einfach oder so schwer machen, wie ihr es wollt, indem ihr die Stärke der Gegner hier anpasst. Außerdem könnt ihr die Raten an gewonnenen Erfahrungspunkten, Mana und Gold variieren. Wenn euch EXP wichtiger ist als Gold, verringert ihr also einfach beispielsweise die Rate an gewonnenem Gold um 10% und erhöht dafür die EXP-Rate um 10%.
Im Cam-Pain HQ geht es hingegen richtig politisch zu. In Senatssitzungen könnt ihr Abstimmungen zu bestimmten Vorschlägen durchführen - zum Beispiel könnt ihr die anwesenden Senatsmitglieder darüber abstimmen lassen, ob in den Läden seltenere Items verkauft werden sollen oder ob ihr die Erlaubnis bekommt, eine bestimmte neue Kämpfer-Klasse herstellen zu dürfen, denn eure Party besteht nicht nur aus Storyrelevanten Charakteren, sondern kann auch noch mit eigens erstellten Kämpfern ergänzt werden. Die Senatsmitglieder, bei denen die Wahl wahrscheinlich zu euren Ungunsten ausfallen wird, lassen sich vor der Abstimmung noch mit Items bestechen oder im Falle einer verlorenen Wahl einfach verprügeln, wenn ihr stark genug seid.
Die Item World, die in jedem Disgaea vorkommt, öffnet euch ein Tor zu nie gekannten Dimensionen des Grindings. Ihr wählt bei jeder Item-World-Session das Item oder den Ausrüstungsgegenständ in eurem Besitz aus, das/den ihr verstärken wollt und schon befindet ihr euch IN diesem Gegenstand. Auf kleinen, zufallsgenerierten Maps kämpft ihr euch Level für Level vorwärts und stärkt mit jeder abgeschlossenen Karte das ausgewählte Item um bestimmte Parameter und macht damit entweder Heilgegenstände potenter, Schwerter stärker oder Rüstungen widerstandsfähiger. Je höher der Level und je seltener der Gegenstand ist, desto stärker sind auch die in der Item World getroffenen Gegner, sodass euch unendliche Ressourcen zur Verfügung stehen, wenn ihr euch im aktuellen Story-Level unterlegen fühlt oder einfach mal die Sau rauslassen und leveln wollt, was das Zeug hält.
Ihr wolltet übrigens schon immer mal eine Bande interdimensionaler Dämonen-Piraten befehligen? Disgaea 4 bietet euch die Chance, genau dies zu tun! Gelegentlich werdet ihr in der Item World von Piraten angegriffen. Besiegt ihr diese, erhaltet ihr ab und zu Schiffsteile, die ihr sammeln und zu Piratenschiffen zusammenbasteln könnt. Bestückt ihr dann noch eines dieser Schiffe mit einer Crew aus euren Charakteren, steht euren Abenteuern nichts mehr im Wege. Ihr könnt eure Crew auf einen Server hochladen und die Piraten damit andere Spieler überfallen lassen oder offline kleine Missionen mit ihnen abschließen.
Abseits der ohnehin schon nicht gerade kurzen Hauptkampagne gibt es also recht viel zu tun, auch wenn sich das meiste auf ein Wühlen durch Menüs oder auf Kämpfe auf zufallsgenerierten Maps beschränkt.
Spielt dasselbe Lied nochmal!
Zur Technik von Disgaea 4 Complete+ lässt sich nicht viel sagen außer: Alles tut, was es soll. Die comichafte Grafik ist nicht super detailliert, passt aber zur durchgeknallten Atmosphäre des Spiels. Gleiches gilt für den Soundtrack, der seinen Zweck erfüllt, zu Teilen aber aus älteren Disgaea-Titeln recycelt wurde.
Das Spiel läuft sowohl docked als auch im Handheldmodus flüssig, ist aber in beiden Modi wie bereits erwähnt während der Schlachten nicht gerade übersichtlich.
Trotz des Updates wurde ein Bug bisher aber noch nicht behoben: Sprecht ihr den Dämonenhund an, der euch Zugang zum Piraten-Menü gewährt, kann es gelegentlich dazu kommen, dass der Bildschirm schwarz wird und das Spiel (nicht aber die Konsole) einfriert. In solch einem Fall hilft nur noch das Beenden des Spiels, sodass ihr immer speichern solltet, bevor ihr den Hund ansprecht.
Wie die meisten von NIS America veröffentlichten Titel verfügt Disgaea 4 Complete+ lediglich über englische Bildschirmtexte. An der englischen Lokalisierung ist aber immerhin nichts auszusetzen, wartet sie doch mit einigen Wortwitzen und detailgetrauen wissenschaftlichen Einordnungen und Charakterisierungen von Sardinen auf. Die englische Sprachausgabe ist ebenfalls gelungen – besonders hervorzuheben ist Troy Bakers Leistung in der Rolle des naiven, aber ambitionierten Protagonisten Valvatorez.
Fazit:
Nach Disgaea 5 Complete und Disgaea 1 Complete steht mit Disgaea 4 Complete+ das nunmehr dritte Disgaea-Gesamtpaket ins Haus. Es enthält alle DLCs, die die ursprüngliche Play-Station-3-Version bekommen hat und alle Annehmlichkeiten, Verbesserungen und Erweiterungen des ersten Re-Releases auf der Play Station Vita. Ob das + im Titel damit gerechtfertigt ist und warum es die anderen beiden Spiele nicht erhalten haben, werden wir wahrscheinlich nie erfahren, aber das ist auch egal.
Was zählt ist, dass Disgaea 4 ein schräges, chaotisches Taktik-RPG mit einer interessanten Story, abgefahrenen Charakteren und einem doch recht tiefen Kampfsystem ist. Ob ihr also einfach nur die Kampagne durchspielen wollt oder in den Kaninchenbau namens Item World fallt und hunderte Stunden damit verbringt, die Werte eurer Charaktere auf astronomische Höhen zu steigern, wenn ihr ein Fable für Slapstick vermischt mit etwas schwarzem Humor und Gesellschaftskritik habt und eine Alternative zu Fire Emblem oder Valkyria Chronicles sucht, könnt ihr mit einem Titel der Disgaea-Reihe nichts falsch machen – für welchen ihr euch schlussendlich entscheidet, solltet ihr also am ehesten von den Charakteren und der Story abhängig machen. Sowohl zu Teil 4, als auch zu Teil 5 gibt es dafür Demos im eShop der Switch, die euch ein ungefähres Gefühl der Atmosphäre der beiden Spiele vermitteln soll.