Test

L.A. Noire für Nintendo Switch

Von Tim Herrmann am 23.11.2017

Düster angehauchte Kriminalgeschichten mit griesgrämigen Charakteren in einer irgendwie kaputten Welt: Willkommen im Film Noir. Rockstar Games hat die Stimmung des übellaunigen Filmgenres der 40er- und 50er-Jahre in ein Videospiel gegossen und mit L.A. Noire eine feinfühlig inszenierte, spielerisch wohldurchdachte Krimi-Geschichte erzählt. Das war 2011.

Sechs Jahre später erscheint L.A. Noire erneut. Im Fall der PS4- oder Xbox One-Remakes mag man sich angesichts der geringen technischen Verbesserung der Portierung fragen: Wozu? Der Release der Switch-Version hingegen scheint ein klarer Test zu sein; ein Test, wie ein klassisches Rockstar-Game sich auf der Nintendo-Konsole wohl schlägt. Helfen wir dabei, es herauszufinden. Mit unserem Review.

(K)ein altmodisches Grand Theft Auto

Rockstar mag zwar auf der Verpackung stehen. Doch L.A. Noire ist kein Grand Theft Auto im Jahr 1947. Nein, L.A. Noire ist nicht einmal ein Action-Spiel. Es ist ein ganz klassisches, geradezu altmodisches Adventure. Ihr schlüpft in die Haut des Kriegsveteranen Cole Phelps, der eine Karriere im Los Angeles Police Department anstrebt – und rasant Karriere macht, indem er komplizierte Fälle löst.

Wie in einem klassischen Point & Click-Abenteuer geht es nach einer kurzen Einführung meist zunächst darum, einen Tatort zu untersuchen; Hinweise zu finden, Zeugen zu befragen, erste Schlüsse daraus zu ziehen. Wie in so vielen Kriminalfällen aus Film oder Fernsehen führt ein Hinweis zum nächsten. Ein kleines Streichholzbriefchen eines Nachtclubs am Tatort legt zum Beispiel nahe, dort einmal nachzufragen; es ist eine Spur. Akribisch muss Detective Phelps die Tatorte erkunden, findet auch immer wieder irrelevanten Müll oder falsche Fährten und macht sich anhand weniger Indizien ein Bild. Im Notizbuch sammelt sich übersichtlich alles, was ihr bislang wisst. Vor allem im späteren Spielverlauf wird es wichtig, die unübersichtliche Hinweissammlung genauer zu studieren.

Die Schauplätze der Fälle sind über Los Angeles verteilt; ihr durchquert die Stadt motorisiert, mit einem Gefährt, das man heute Oldtimer nennen dürfte. Doch Achtung: Man neigt schnell dazu, hinter L.A. Noires „offener Spielwelt“ ein verkapptes GTA zu vermuten. Tatsächlich gibt es in Rockstars 1947-L.A. aber wenig zu sehen oder zu entdecken. Die Fahrsequenzen dienen allenfalls dem Abspielen längerer Hintergrunddialoge. Entsprechend deplatziert wirken sie in einem Spiel, das in seiner Missions- und Erzählstruktur höchst linear ist. Die frei befahrbare Spielwelt ist offenbar ein Zugeständnis an Rockstars GTA-Fans, die man als Kunden eben nicht verprellen wollte. Dasselbe gilt für die Shooting-Passagen und Verfolgungsjagden. Weh tun sie nicht, aber eigentlich sind sie unnütz. Mitunter lassen sie sich sogar überspringen.

Die Antwort liegt im Gesicht

Das Spiel braucht diese mainstreamigen Showeffekte nicht, denn in seiner Kernkompetenz, wenn man sie so nennen möchte, ist L.A. Noire richtig gut. Es blüht auf, wenn es die amerikanistische Action ausklammert und sich auf das Kleine konzentriert, auf die mühsame Spurensuche, auf das Kombinieren von Hinweisen und vor allem auf das Befragen von Zeugen.

Nahezu revolutionär war die Technik, die Rockstar und sein Dienstleister Team Bondi, mittlerweile nach mehreren Skandalen geschlossen, für L.A. Noire verwendet haben. Echte Schauspieler haben die Mimik für die Spielfiguren eingespielt, die ganz kleinen, subtilen Bewegungen und mimischen Züge. Damit werden sie zu einem spannenden Spielelement. Es sind nämlich die kleinen und manchmal ganz kurzen Reaktionen, die der Spieler und sein Cop genau beobachten müssen. Das gilt für Befragungen ebenso wie fürs Verhör. Stellt Phelps eine Frage, bekommt er darauf eine mehr oder weniger befriedigende Antwort. Jetzt ist es am Spieler: Sagt der Zeuge oder der Verdächtige die Wahrheit? Lügt er? Oder will er euch gar auf den Arm nehmen? Was sagen seine Mikroexpressionen aus? Und wie ist die Faktenlage? Das alles entscheidet darüber, ob ihr letztlich den Good Cop mimt oder den Bad Cop heraushängen lasst und das Gegenüber unter Druck setzt.

An der Stelle haben die Entwickler eine kleine Neuerung vorgenommen, die aber im Grunde nicht viel bringt: Früher war immer etwas unklar, wie harsch der Cop reagieren würde, wenn der Spieler ihn dazu auffordert, eine Aussage anzuzweifeln. Heute heißt die entsprechende Option nicht mehr "Anzweifeln", sondern "Böser Cop". Trotzdem blickt man manchmal noch nicht ganz durch, warum der Spielcharakter in einigen Verhörsituationen fast ausrastet oder wann welche Aktion welche Folge hervorruft. Das Spiel bietet euch grundsätzlich viel Freiheit auf dem Weg zu eurer Falllösung - ein paar Leitplanken setzt es durch wenig flexible und daher manchmal nicht ganz nachvollziehbare Dialogskripte aber trotzdem. Das gleiche gilt für den Fallverlauf im Allgemeinen: Hin und wieder wisst ihr vielleicht insgeheim schon, dass ein Charakter lügt; doch euer Beweis zieht noch nicht, weil im Spiel selbst noch ein Trigger fehlt, der aus dem Indiz einen Beweis macht.

Die Spielmechaniken um das Verhören und Inspizieren waren und sind alles in allem immer noch erfrischend, weil sie euch auf ungewohnt ehrliche Weise mit eurer Intuition allein lassen. Die Entscheidung des Spielers hat echten Einfluss auf den Verlauf der Ermittlungen. Verprellt der Detective eine Zeugin mit harscher Verhörtaktik, gibt sie ihm einen entscheidenden Hinweis vielleicht nicht. Lullt er sie zu sehr ein, bleibt er ebenfalls unwissend. Es ist die große Kunst des Spiels, Mimik als Hinweis einzubauen. Und als Spieler erwischt man sich ernsthaft dabei, die Stirn zu runzeln, die Augenbrauen hochzuziehen und dem virtuellen Gegenüber genau in die Augen zu schauen.

Die gute Nachricht: grafisch so gut wie die PS4-Version. 

Die schlechte Nachricht: grafisch so gut wie die PS3-Version.

Die Gesichtsanimationen waren für Rockstar im Jahr 2011 ein kleiner technischer Meilenstein. Heute ist die Games-Branche sechseinhalb Jahre und eine Konsolengeneration weiter. Spiele wie Naughty Dogs Uncharted 4 oder The Last of Us nutzen noch weitaus ausdrucksstärkere Gesichtsanimationen zum Storytelling. Das ganz große Alleinstellungsmerkmal hat L.A. Noire aus technischer Sicht also verloren.

Auch allgemein merkt man dem Spiel seine sechs Jahre recht deutlich an: Die Spielwelt wirkt für heutige Verhältnisse steril und antiquiert. Gebäude der frei befahrbaren Metropole bauen sich nach und nach pop-up-mäßig auf, der größte Teil der Ferne versickert in stetigem Nebel. Die Schauplätze sind recht spartanisch ausgestattet und simpel modelliert. Das alles macht das Spiel nicht kaputt, aber es verleitet doch zu der Frage, worin Rockstar den Mehrwert einer Neuauflage im Jahr 2017 gesehen hat, wenn nicht in einer Anpassung der schon damals nicht überragenden Technik. Die paar DLC-Pakete, die sich jetzt mit an Bord befinden, sind jedenfalls kein zwingender Grund für eine Neuauflage.

Zwar sind die Gesichter auch für heutige Verhältnisse immer noch knackig-klar und gut definiert. Doch bei der Glaubwürdigkeit der Darstellung einer Spielwelt, beim Detailgrad, bei der Texturqualität, bei der Weitsicht – überall ist die Technik heute viel weiter. L.A. Noire 2017 ist weniger Remake als Portierung des PS3-Klassikers. Zwischen der PS3- und der PS4-Version liegen demnach keine Welten. Entsprechend nah bewegt sich auch die Switch-Version an ihren Pendants. Allenfalls bei schnellen Verfolgungsjagden kommt es auf der Nintendo-Konsole zu unschönen Framerate-Einbrüchen, ansonsten gibt es neben den Pop-Up-Gebäuden und weniger dynamischen Effekten zum Beispiel bei Autounfällen kaum etwas Spezifisches zu bemängeln.

Achtung: microSD-Karte zum Spielen ratsam

Selbst wer sich L.A. Noire für Switch auf Cartridge kaufen möchte, muss sich auf einen großen Zusatzdownload einstellen: 14GB zusätzliche Daten sind notwendig, bevor ihr mit der enthaltenen Cartridge spielen könnt. Da die Switch-Konsole weniger als 32GB internen Speicher hat, solltet ihr euch also eine microSD-Karte mit 32GB, besser 64GB oder gar 128GB zulegen. Mit Blick darauf, dass die Switch-Version vielerorts 10 Euro teurer ist als die anderen, ist das alles etwas ärgerlich.

FAZIT:
L.A. Noire ist auch heute noch ein spannendes Spiel, das vor allem mit der Inszenierung seiner Story und seiner coolen Gameplay-Mechanik auftrumpft, die dem Spieler Fingerspitzengefühl und Intuition abfordert, ja, fast Menschenkenntnis. Dass das Spiel mittlerweile sechseinhalb Jahre alt ist, merkt man aber. Es fühlt sich grafisch für heutige Verhältnisse antiquiert an; gravierende technische Verbesserungen sind zwischen der PS3-, der Switch- und der PS4-Version kaum zu erkennen. Technisch weist die Switch-Version technische Schwächen auf. Vereinzelte Framerate-Einbrüche und unschön aufploppende oder nebelige Gebäude verschleiern die Schönheit, die eigentlich im Detail dieses Krimi-Thrillers steckt. Wer das Spiel damals verpasst hat, kann auf Switch ein charmantes und außergewöhnliches Konzept nachholen. Mit Blick auf den vergleichsweise hohen Preis der Switch-Version und des sehr niedrigen Preises des Originals sind die Kosten fürs Nachholen auf Switch allerdings recht hoch.

Unsere Wertung:
7.5
Tim Herrmann meint: "Ein klassischer und dennoch außergewöhnlicher Krimi-Thriller, der technisch angestaubt ist."
L.A. Noire für Nintendo Switch erscheint für PlayStation 4 und Nintendo Switch und XBox One. Wir haben die Version für Nintendo Switch getestet.
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3 Kommentare:
Terry)
Terry
Am 23.11.2017 um 11:26
Aktuell bei Amazon für 36,49€ zu haben. Wer es noch nicht kennt: Für diesen Preis absolut zu empfehlen!
michi1894)
michi1894
Am 24.11.2017 um 17:29
Hab ich von Gebrauch gemacht. Nur leider keine Zeit zum Spielen :D...
Falcon)
Falcon
Am 23.11.2017 um 11:50
Habs schon gestern bestellt, obwohl ich das Spiel schon kenne. Ist ein gutes Teil, lohnt sich.
mowowo)
mowowo
Am 26.11.2017 um 12:52
super spiel, leider echt arschalt und zu teuer.. bei steam 9 euro für compl ed mit allen DLCs... wers spielen will sollte echt überlegen ob 3-5x der Preis es wert ist nur für um es auf switch zu zocken XD