Kommentar: Die Krux mit der Abwärtskompatibilität
22 – 101 – 14 – 143 – ?
Diese Zahlenfolge beschreibt Nintendos Verkaufshistorie auf dem Heimkonsolenmarkt seit dem Launch des Gamecubes (Quelle: Wikipedia). Oder anders ausgedrückt: Nintendo konnte etwa 22 Millionen Gamecube-Konsolen an den Mann bringen. Darauf folgten 101 Millionen Wii-Konsolen, 14 Millionen Wii-U-Konsolen und 143 Millionen Switch-Konsolen. Als Graph zeigt sich ein stetiges Auf und Ab. Nächstes Jahr wird Nintendo den Nachfolger der Switch auf den Markt bringen, und wenn dieser die obere Zahlenreihe entsprechend den anderen Konsolen weiterführt, wird er ein Flop.
Bevor mir hier irgendwer an die Gurgel springt: Ich möchte hier keinesfalls orakeln. Ich sag nicht voraus, dass die Switch 2 ein Flop wird. Im Gegenteil. Ich halte einen Flop auf dem Niveau der WiiU trotz der obigen Zahlen für fast ausgeschlossen. Zugleich halte ich es aber auch für sehr unwahrscheinlich, dass die Switch 2 nahtlos an den immensen Erfolg der Switch anknüpfen kann.
Durch Misserfolg zum Erfolg
Es mag paradox klingen, aber die Switch verdankt einen Teil ihres Erfolgs zweifelsohne dem Misserfolg der WiiU und ausgerechnet dem Fehlen eines beliebten Features. Die Rede ist hier von Abwärtskompatibilität.
Grundsätzlich ist Abwärtskompatibilität genial. Ich spiele auf meiner PS5 regelmäßig noch PS4-Spiele, und Xbox-ler können alte Games nicht nur zocken, sondern genießen bei ausgewählten Titeln sogar eine höhere Framerate oder verbesserte Auflösung. Gamer haben durch die Abwärtskompatibilität einer Konsole nur Vorteile, Publisher allerdings fast nur Nachteile. Eine Implementierung ist teuer und statistisch wird sie nur von relativ wenigen Spielern genutzt.
Nintendo hat mit der Switch enorm vom Fehlen jeglicher Abwärtskompatibilität profitiert. Innerhalb der letzten Jahre hat Nintendo es geschafft, mehr oder weniger monatlich mindestens ein neues Switch-Spiel zu veröffentlichen – und das ohne Hilfe von westlichen 3rd-Party-Entwicklern, die die Hybridkonsole wieder einmal ziemlich stiefmütterlich behandeln und ihre großen Serien entweder gar nicht oder nur in abgespeckter Version auf ihr veröffentlichen. Wie konnte Nintendo solch ein Lineup schaffen? Indem Lücken im Programm konsequent mit Remakes älterer Spiele und vor allem mit Portierungen von WiiU-Titeln geschlossen wurden. Die WiiU hat so gut wie gar keine Exklusivtitel mehr, weil sie früher oder später alle ihren Weg auf die Switch gefunden haben.
Mario Kart 8, New Super Mario Bros. U, Super Mario 3D World, Bayonetta 2, Donkey Kong Country Tropical Freeze, Captain Toad: Treasure Tracker, LEGO City Undercover, The Legend of Zelda: Breath of the Wild, Rayman Legends, Hyrule Warriors, Fatal Frame: Maiden of Black Water, und, und, und… Die Liste an Titeln, die ursprünglich WiiU-exklusiv sein sollten, dann aber auch auf die Switch kamen, ist beeindruckend. Das hat aber gut funktioniert. Dem Misserfolg der WiiU ist es zu verdanken, dass diese Spiele auf der Switch von vielen Gamern wie echte Exklusivtitel aufgenommen wurden. Klar. Bei einer Diskrepanz von mehr als 100 Millionen Konsolen ist es nur logisch, dass viele Spieler durch die Switch erstmals in den Genuss dieser Games kamen.
Wie viele Exklusivtitel muss eine Konsole haben?
Für die Switch 2 ergibt sich aber nun folgendes Szenario: Nintendo könnte den Switch-Nachfolger wieder ohne Abwärtskompatibilität veröffentlichen, um hinsichtlich Remakes und Portierungen aus dem Vollen schöpfen zu können, würde damit aber rund 140 Millionen Spieler (darunter auch meine Wenigkeit) entfremden. Eine fehlende Abwärtskompatibilität wäre für mich ein Grund, die Switch 2 links liegen zu lassen. Ich erwarte inzwischen von jeder neuen Konsole – egal von welchem Hersteller – irgendeine Form der Abwärtskompatibilität. Gamer-Accounts sind schließlich längst nicht mehr an ein Endgerät gebunden und das Mitnehmen bereits gekaufter Spiele sollte selbstverständlich sein. Wenn Nintendo eine volle Abwärtskompatibilität jedoch umsetzt, werden wir uns von der Idee verabschieden müssen, monatlich neue Nintendospiele serviert zu bekommen, erst recht, wenn mit stärkerer Hardware auch die Erwartungen der Spieler und damit die Entwicklungszeiten steigen.
Sonys 16 First-Party-Studios mit rund 20 Entwicklerteams schaffen zusammen aktuell etwa zwei oder drei Spiele pro Jahr. 2023 war Marvel's Spider-man 2 das einzige neue PS5-Spiel eines First-Party-Studios. 2024 wurden bzw. werden Hell Divers 2, Concord und Astro Bot veröffentlicht. Dazu kamen/kommen Remakes/Remasters wie The Last of Us Part 2 sowie Exklusivtitel oder zumindest zeitlich exklusive Spiele von Partnerstudios, wie Forspoken, Final Fantasy 16, Stellar Blade oder Silent Hill 2. Ähnliches könnte Nintendo auch blühen, denn auf einer Switch 2, die abwärtskompatibel zur Switch ist, kann Nintendo nicht einfach das gesamte Switch-Lineup (und damit auch das WiiU-Lineup) noch einmal veröffentlichen. Fraglich ist allerdings, ob Nintendo bereit wäre regelmäßig für die Exklusivität von großen 3rd-Party-Titeln zu zahlen. Solche Games gibt es, sie stellen auf Nintendosystemen jedoch zweifelsohne Ausnahmen dar.
Eine Lösung wären Portierungen noch älterer Spiele, aber bei faulen 1:1-Portierungen von Spielen, die noch vor dem HD-Zeitalter erschienen sind (und dazu gehört schließlich jede Nintendokonsole vor der WiiU), rümpfen Fans gerne die Nase, während Remakes teilweise fast so aufwendig sind wie Neuentwicklungen. Hinzu kommt, dass auch im Bereich der Remakes und Remastered-Versionen etliche Titel wie Donkey Kong Country Returns, The Legend of Zelda: Link's Awakening, Luigi’s Mansion 2, Super Mario RPG oder Metroid Prime bereits für die Switch erschienen sind und damit auf einer abwärtskompatiblen Switch 2 mehr oder weniger uninteressant wären. Die Webseite Nintendo.fandom.com listet sage und schreibe 325 Remakes und Remastered-Versionen auf der Switch, wovon etwa 50 von Nintendo selbst kommen – einfache Ports, digital-only Spiele und emulierte Titel sind da übrigens noch gar nicht inbegriffen. Die Switch hat somit mehr Neuauflagen alter Spiele als die WiiU überhaupt physische Spiele!
Eine all-digital Lösung als Kompromiss?
Eine weitere Lösung wäre eine eingeschränkte Abwärtskompatibilität, die aber wohl ähnlich unbeliebt wäre wie gar keine Abwärtskompatibilität: Ohne (kompatiblen) Modulschacht könnte eine Switch 2 nur mit digitalen Käufen abwärtskompatibel sein. Anders formuliert: Käufe aus dem E-Shop der Switch dürfen mitgenommen werden, physische Games dagegen nicht. Das hätte für Nintendo gleich zwei Vorteile. Besitzer physischer Spiele könnten dazu genötigt werden, ihre Spiele in digitaler Form erneut zu kaufen, um sie auf der neuen Hardware weiter spielen zu können. Außerdem würde Nintendo grundsätzlich jeden Spieler mit schlagkräftigen Argumenten in eine digital-only Zukunft lenken.
Bereits vor Monaten hatte der Insider "SoldierDelta" (von dem auch schon korrekte Infos zum Spiel Rise of the Ronin kamen) behauptet, Nintendo würde zwei Varianten der Switch 2 veröffentlichen: Ein Standard- und ein Digital-Only-Modell.
Dass sowohl Nintendo als auch Microsoft und Sony ihre Zukunft digital-only sehen, ist längst kein Geheimnis mehr. Ursprünglich sollte die Xbox One immer online sein. Erst nach großen Protesten änderte Microsoft seine Pläne. Zum Launch der Xbox Series-Konsolen war es deutlich leichter eine all-digital Series-S zu bekommen als eine Series-X, wohl auch, weil Microsoft trotz größerer Nachfrage nicht mehr Series-X-Konsolen hatte produzieren lassen. Im Herbst soll jetzt zudem eine überarbeitete Series-X-Konsole veröffentlicht werden, die ganz ohne Laufwerk auskommt. Auch auf der noch aktuellen Switch sehen wir einen eindeutigen Trend zu digital-only. Immer mehr Spiele bekommen gar keinen physischen Release mehr spendiert, oder bescheuerte, umweltunfreundliche Leerboxen, die statt einem Modul nur einen Download-Code beinhalten. Nintendo könnte sich mit einer all-digital Switch 2 nicht nur die Kosten für Module sparen, sondern sich gleichzeitig auch noch den lästigen Gebrauchtmarkt vom Hals halten.
Wie seht ihr die Situation?
Wenn der Nachfolger 1. keine Hybridkonsole mehr wird ODER 2. keine AWK hat, werde ich ihn auf keinen Fall Day One holen. Dafür ist mein Switch Backlog einfach viel zu groß und ich brauche die Flexibilität des Handheld-Modus. Einzige Ausnahme wäre natürlich, wenn Dragon Quest XII ein exklusiver Switch 2 Launchtitel wird :D
Am Ende entscheiden bei mir aber schlicht das Konzept und die Leistung des neuen Systems darüber, ob es gekauft wird oder nicht.