Children of Silentown
Erinnert sich noch jemand an den Film “The Village” von M. Night Shyamalan? In dem Mystery-Thriller von 2004 lebte ein Dorf in Angst und Schrecken vor Monstern und schützte sich, indem es die umliegenden Wälder und die Farbe rot mied. 16 Jahre später verfolgte der Kurzfilm des Animationsstudio Luna2 einen ganz ähnlichen Ansatz und motivierte damit die Entwickler von Elf Games dazu, ein auf dem Film basierendes Spiel herauszubringen. Kurz darauf erschien ein erster spielbarer Prolog, doch danach wurde es erst einmal still um das Projekt. Mitte Januar diesen Jahres war es dann aber endlich soweit und Children of Silentown wurde auf dem PC, Mac und der Nintendo Switch veröffentlicht. Wie es sich auf Nintendos Handheld spielt, haben wir uns für euch einmal angesehen.
Das einzig sichere Gefühl ist die Furcht
Im Zentrum der Geschichte von Children of Silentown steht Lucy, ein junges Mädchen, das zusammen mit Eltern, Freunden und anderen Einwohnern in einem namenlosen Dorf lebt, das durch einen umliegenden Wald vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten ist. Das Leben in dem Dorf könnte eigentlich ganz beschaulich sein, gäbe es da nicht die Monster, die nachts die Wälder unsicher machen und jeden Dorfbewohner auf Nimmerwiedersehen verschleppen, der nach Anbruch der Dunkelheit nicht zuhause ist. Eine Flucht aus dem Dorf scheint unmöglich zu sein und so haben sich die Einwohner mit einem Leben voller Regeln und Ängste weitestgehend abgefunden und auch damit, dass hin und wieder Mitbürger ohne Vorwarnung verschwinden. Besonders diesen letzten Punkt ertragen die Dörfler mit stoischer Gelassenheit und Plakate von Vermissten dienen einzig als Warnung und nicht der Aufforderung, etwas an der Situation zu ändern. Als eines Tages aber wieder einmal jemand verschwindet, beschließt Lucy, dass es an der Zeit ist, etwas mehr über die Monster und die Geheimnisse der Erwachsenen im Dorf zu erfahren und begibt sich auf ein Abenteuer, das für sie, ihre Familie und vielleicht auch das Dorf alles verändern wird.
Wie bei den meisten Adventure-Spielen ist die Handlung neben den Rätseln das Herz des Spiels und wurde zum größten Teil mit viel Sorgfalt ausgearbeitet. Zwar braucht die Handlung eine kleine Weile, ehe sie Fahrt aufnimmt und es gibt am Ende der Geschichte einige offene Fragen zu Figuren, die die Erzähler gerne noch hätten auflösen können. Doch der größte Teil des Abenteuers überzeugt mit seiner schönen Geschichte und den interessanten Figuren, die alle eigene Persönlichkeiten haben. Auch die düstere Atmosphäre, die das Spiel schaffen möchte, funktioniert mit dem Stil der Grafik sehr gut, wobei wir anmerken möchten, dass es in dem Spiel zwar um Furcht geht, der Titel selber aber nicht darauf ausgelegt ist, euch Angst zu machen.
Für den Wiederspielwert bietet euch das Spiel außerdem vier unterschiedliche Enden, die aber alle nur von der letzten Entscheidung abhängen, die ihr mit Lucy im Spiel trefft. Dass man zumindest drei der Enden vergleichsweise schnell und einfach sehen kann, untergräbt den vermeintlichen Mehrwert ein wenig, gibt den Fans des Abenteuers unter euch aber Grund und Anlass, Lucys Abenteuer mehr als einmal zu erleben.
Rätsel, Puzzles und noch mehr Rätsel
Den größten Teil des Spiels über steuert ihr Lucy durch die 2,5D-Landschaft des Dorfes und seiner Umgebung und folgt der Handlung während ihr, wie in Point-and-Click-Adventures üblich, mit allen möglichen Bewohnern redet und als Aufgaben getarnte Rätsel löst. Dabei wird schnell deutlich, wie sehr sich die Entwickler darum bemüht haben, die Rätsel logisch und durchdacht zu gestalten. Und das durchaus erfolgreich, wie wir hier einmal anmerken möchten. Fast alle Rätsel konnten, nachdem wir die für ihre Lösung benötigten Gegenstände in unseren Taschen hatten, nachvollziehbar aufgelöst werden und nur ein oder zwei mal kamen wir in die Versuchung, die Gegenstände auf gut Glück zu kombinieren, um Lucys aktuelle Aufgabe erledigen zu können. Wobei es auch in diesen Fällen rückblickend nie wirklich notwendig war. Die Logik, mit der die Rätsel des Spiels entwickelt wurden, hat aber nicht nur Vorteile. Gerade Adventure-Veteranen könnten die mittelschweren Rätsel als zu einfach empfinden, da ihr recht selten um die Ecke denken oder Dinge ausprobieren müsst. Für neue und jüngere Spieler bietet der Titel aber eine gute Balance und bleibt fordernd, ohne den Spielfluss zu sehr zu bremsen. Einen guten Eindruck macht dabei auch die auf das Nötigste reduzierte Steuerung, die auch in fummeligen Situationen sehr gut arbeitet, sodass ihr die Rätsel ohne technische Probleme angehen könnt.
Im Verlauf der Geschichte findet und sammelt ihr einzelne Sticker und Teile von Melodien. Erstere erfüllen keinen besonderen Zweck und geben euch auf der Switch höchstens einen Hinweis darauf, wie weit ihr in der Geschichte fortgeschritten seid. Die Noten schalten aber nach und nach einzelne Melodien frei, die Lucy dann beliebig einsetzen kann, um zum Beispiel die Gedanken von Dorfbewohnern zu lesen oder die Geschichte eines Gegenstandes zu erkunden. Durch die Einführung der Lieder gewinnt das Spieldesign nach und nach an Tiefe, sodass die Rätsel irgendwann mehr erfordern, als die bloße Nutzung von ein paar Gegenständen. Setzt Ihr Lucys Gesangskünste bei für die Handlung wichtigen Charakteren und Gegenständen ein, wechselt das Spiel, je nach Melodie zu einer eigenen Denksportaufgabe, bei der ihr mit Nadel und Faden eine Strecke abstecken, mit Drehscheiben einen Weg zwischen zwei Punkten erstellen oder mit Licht eine Fläche komplett erhellen müsst. All diese Aufgaben sind rein Logik-basiert und können euch, je nach Übung, genauso trivial wie knifflig vorkommen. Am Ende sind sie aber alle schaffbar, auch wenn eine Hilfefunktion für jüngere Spieler grundsätzlich nett gewesen wäre.
So werdet ihr das Spiel im ersten Anlauf in sieben bis zehn Stunden abschließen können, was für die aktuell (Stand Januar 2023) geforderten knapp 20 Euro in Ordnung geht, auch wenn wir gerne noch ein paar Stunden damit verbracht hätten, uns mit einzelnen Figuren und deren Geschichten zu beschäftigen. Mit dem ersten Durchspielen schaltet ihr aber zusätzlich den “New Game+”-Modus frei und könnt durch das Erspielen der anderen drei Enden noch ein paar weitere Stunden aus dem Titel herausholen. Das erhöht den Umfang nicht massiv, ist aber trotzdem nett.
Bei der Präsentation setzt Elf Games auf blasse Farben, große leere Augen und eine insgesamt düstere Stimmung, die zu der Geschichte sehr gut passt. Die leicht hölzernen Animationen überzeugen zwar nicht immer, gehen aber insgesamt in Ordnung, da Aktionen und Emotionen der Figuren gut dargestellt werden. Unterlegt wird die Geschichte von einem meist ruhigen Soundtrack, der nach Stunden im Dorf ein wenig eintönig, aber nie nervig wird. Aufgelockert wird er auch durch die Musik der Zwischensequenzen und den anderen Gebieten, die natürlich mit eigenen Stücken bedacht wurden. Darüber hinaus bleibt es in Silentown mangels Synchronisation ziemlich still. Nur in den Abschnitten zwischen den Kapiteln erzählt eine Stimme die Geschichte in deutscher Sprache weiter und begleitet uns so bis zum unvermeidlichen Ende des Abenteuers.
Fazit:
Children of Silentown erinnert mit seiner schön erzählten Handlung und der atmosphärischen Darstellung an eine Mischung aus Märchen und Kunstprojekt, stellt aber schnell klar, dass es nicht nur eine interaktive Geschichte, sondern tatsächlich ein vollwertiges Adventure ist. Mit seinen durchdachten Rätseln und Puzzeln, die nie zu einfach oder zu kompliziert sind, zielt das Spiel auf die Gruppe der Adventure-Neulinge und -Enthusiasten, kann aber auch Fans des Genres überzeugen, sofern diese keine Rätselkost im gehobenen Schwierigkeitsgrad erwarten. Beim Umfang des Spiels, einem der wenigen Punkte, an denen man vielleicht etwas bemängeln könnte, scheiden sich vermutlich die Geister: Sieben bis zehn Stunden wirken nicht wie eine besonders lange Zeit. Und auch die zusätzlichen Enden schaffen da trotz aller Mühen nur wenig Ausgleich, da einmal gelöste Rätsel schnell wieder gelöst sind. Dafür verbringt ihr die Stunden in Silentown aber mit einem tollen Spiel, das das Genre nicht neu definiert, deswegen aber nicht weniger gut unterhält. Wer darauf Lust hat, kann jetzt zuschlagen.