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„Heute nicht bei uns im Test ...“: Nintendos verschärfte Review-Politik

Von Tim Herrmann am 19.10.2017

Dieser Leak hat Nintendo richtig aufgeregt

Das hat Nintendo viel Geld gekostet: Schon Wochen vor dem Release des 3DS-Remakes von Mario & Luigi Super Star Saga kursierte bei 4chan, einer der eher düsteren Ecken des Internets, eine digitale Raubkopie des Spiels. Wo die wohl herkam? Das Spiel war schließlich noch nicht erschienen. Nintendo of America ging dem Ganzen auf die Spur und fand in den Tiefen des Codes eine 3DS-Seriennummer; eine Nummer, die das Unternehmen schließlich auf die Spuren desjenigen Kriminellen gebracht hat, der jetzt massig Probleme haben dürfte.

Pikant: Es war wohl ein „Influencer“, der das Spiel geleakt hatte. Ein Influencer, den Nintendo vor Release mit einem kostenlosen Download des Spiels versorgt hatte. Zu Testzwecken. Ein massiver Missbrauch von Vertrauen. So berichten es zumindest US-Medien. Nintendo of America ist über den Vorfall wohl so fuchsteufelswild geworden, dass es in den USA jetzt vorerst gar keine Muster mehr gibt; etwa zu Super Mario Odyssey oder Fire Emblem Warriors. Entsprechend wird es zu beiden Spielen vor Release wohl nur wenige Reviews geben, von den größten Magazinen. Wenn die Berichte über den Musterentzug aus Amerika stimmen, hat Nintendo in Übersee kurzerhand mit einer Praxis gebrochen, die seit Jahren eigentlich gut funktioniert. Denn Nintendo und die Games-Medien, zu denen im weiteren Sinne auch NplusX gehört, leben in fast symbiotischer Beziehung voneinander.

Publisher und die Medien: Spiel gegen Unterwerfung

Der Deal: Nintendo legt fest, wann und was berichtet wird, und unterstützt die Berichterstattung mit Testexemplaren. Die Medien bereiten ihre Tests möglichst sorgfältig vor und erzeugen zum Tag X mächtig Buzz um ein Spiel. Diesen Tag X, zu dem ein Test veröffentlicht werden darf, bestimmt auch Nintendo. Er ist Teil eines Embargos, das jeder unterzeichnen muss, der ein Spiel vorab spielen möchte. Der Publisher will damit verhindern, dass alle Geheimnisse schon ausgeplaudert, alle Spielszenen im Internet zu sehen sind, bevor normale Spieler eine Chance haben, das Produkt zu kaufen.

Das ist soweit ein faires Vorgehen – zumindest so lange, wie Medien sich nicht von Nintendos gutem Willen abhängig machen und bei Wertungen Rücksicht auf die zukünftige Kooperation nehmen. Der Hersteller profitiert durch Review-Exemplare von enorm günstig erkaufter, reichweitenstarker Berichterstattung; die Medien, Blogs und Influencer wiederum von gutem, planbarem Content ohne Konkurrenzkampf, Zeitdruck und damit verbundene Nachlässigkeit.

Doch die Embargo-Praxis ist nicht völlig unproblematisch. Gerade bei schwachen Spielen oder Titeln, die (vermutlich) hinter den Erwartungen zurückbleiben werden, legen alle Publisher die Embargo-Termine regelmäßig näher ans Release-Datum. Das Kalkül ist klar. Sind die Scores schlecht, ist der Schaden für die Vorbestellsituation einen Tag vor Release geringer als zwei Wochen davor. Denn schlechte Wertungen können ein Spiel schon killen, bevor es im Handel erscheint; wenn der Hype abflacht und die Vorfreude einem Abwarten weicht, das früher oder später einen Druck auf den Preis und damit den Umsatz ausüben wird.

Nintendo hat eigentlich kein Problem mit den Medien

Diese Probleme hat Nintendo nur selten; ein Beispiel war etwa Mario Tennis – Ultra Smash, zu dem wir unseren ernüchternden Test erst zwei Tage vor Release bringen durften. Doch gemeinhin sind die Nintendo-Marken so stark und die Spiele so gut, dass sie auch überdurchschnittlich gut bewertet werden. Nintendo hat kein Problem mit seinen Medien, im Gegenteil. Zu vielen, wie etwa auch NplusX oder unseren Vorgängermagazinen, pflegt das Unternehmen jahrelange Kontakte. Doch mit den sozialen Medien kommen fast täglich neue junge Leute auf die Bildfläche, die nominell Reichweiten haben wie eine BILD-Zeitung, aber erst 16 sind und völlig unerfahren mit Embargos und ihren hohen Konventionalstrafen, mit den Regelungen und Vereinbarungen mit einem Großkonzern.

Es ist fast unumgänglich, dass unter diesen Influencern auch mal vereinzelt faule Eier sind. Eines dieser faulen Eier hat Nintendo jetzt beim Betrug erwischt – aber wahrscheinlich die falsche Konsequenz daraus gezogen. Anstatt sich die neuen Partner besser und sorgfältiger auszusuchen, bestraft Nintendo mit der Gießkanne viele seine Medienpartner, auch die langjährigen – und vertut damit die Chance auf ehrliche Berichterstattung über seine Spiele, die, letztlich, ja nichts anderes ist als kostenlose Werbung.

Aber ehrlicherweise muss man ja auch sehen: Super Mario Odyssey ist eine andere Hausnummer als das 3DS-Remake vom GBA. Ein Leak zum meisterwarteten Spiel des Jahres würde Millionen Kosten. Nintendo fährt also die sichere Schiene. Anstatt zu sehen, wie gut und problemlos die Review-Bemusterung jahrelang lief, ist nun ein Einzelfall der Stein des Anstoßes. Eines darf man aber wohl auch prognostizieren: Super Mario Odyssey wird wohl nicht darauf angewiesen sein, von unabhängigen Kritikern beäugt zu werden; viele Nintendo-Fans werden bei Mario ohnehin blind zugreifen. Es wird wohl keine schlechte Entscheidung sein.

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6 Kommentare:
Matthew1990)
Matthew1990
Am 19.10.2017 um 12:28
Kann man beim Verteilen der Seriennummer nicht zurück führen, wer die Codenummer bekam?
Vielleicht wäre ein stärkeres Sicherheitssystem besser: Mit Authentifizierung der Codes, die raus gegeben werden, damit auch Ansprechpartner vorhanden sind, etc.
So kann man gezielter schwarze Schafe aussortieren.
Asinned)
Asinned
Am 19.10.2017 um 12:32
Sehr interessanter Artikel. Denke der angesprochene Zeitdruck ist ein enorm wichtiger Faktor für diq Qualität der Reviews. Wenn ein Reviewer eine riesige Spielwelt wie Odysse bekommt und darauf angewiesen ist in wenigen Tagen eine Review zu schreiben, ist er zwar im wichtigen hyper-Zeitraum und sein Artikel wird möglicherweise öfters geklickt, aber die Spielweise die er dafür an den Tag legen muss, hat dann möglicherweise nichts mehr damit zu tun, wie ich das Spiel spiele, was die Aussagekraft der Review mindert.
Vyse)
Vyse
Am 19.10.2017 um 13:13
Das ist unter anderem ein Sinn von solchen Embargos. Würde es solche Termine nicht geben, entstünde unter den Magazinen ein "Wettrennen" darum, wer als erster ein Review fertig hat. Die ersten Reviews wären dann die am meisten geklickten, aber gleichzeitig auch die am wenigsten fundierten, da sie mit wenig Spielzeit hastig verfasst wurden.

Fire Emblem Warriors haben wir schon Anfang Oktober bekommen. Somit war mehr genug Zeit, den Titel vor dem Erscheinen eines Tests durchzuspielen.
Falco)
Falco
Am 19.10.2017 um 16:01
Ich finde den Schritt einmalig vertretbar, um ein wenig eine gesellschaftliche Verantwortung einem Tester zu projizieren.
Dennoch muss vor allem der Einzelne stärker bestraft werden, sodass es auch zu einer Abschreckung kommt. Ich hoffe, dass Nintendo in Zukunft auf letzterem eher den Fokus setzt, da sonst nur Eigenschaden bei entsteht!
Gast)
Gast
Am 19.10.2017 um 23:23
Wie in der Politik auch. Ist also nichts neues, mit dem Unterschied, dass es hier nicht um ein existenzielles Problem geht.
Buttergebäck)
Buttergebäck
Am 20.10.2017 um 02:57
Nintendo befindet sich zur Zeit in so einer für die Zukunft des Unternehmens so wichtigen Phase, dass ich diese Entscheidung durchaus nachvollziehen kann. Trotzdem sollten sie sich auch mal an die eigene Nase fassen und nicht mehr von sich aus so viele Infos im Vorfeld preisgeben. Ich erinnere mich noch, wie bei Pokemon Sonne/Mond fast alle neuen Pokemon im Vorfeld enthüllt wurden. Natürlich muss man auch versuchen den Spielern ein Spiel schmackhaft zu machen, aber da sind sie einfach übers Ziel hinausgeschossen. So war die Enttäuschung bei mir und sicher auch vielen anderen groß, als man im Verlauf des Spiels nach und nach begriff, dass man die neuen Pokemon ja alle schon kennt.
Matthew1990)
Matthew1990
Am 20.10.2017 um 10:18
"Trotzdem sollten sie sich auch mal an die eigene Nase fassen und nicht mehr von sich aus so viele Infos im Vorfeld preisgeben."
Aber das sind doch ihre Produkte... Sie können mit den Informationen umgehen, wie sie wollen.
Das ist doch eine logische Konsequenz. Jeder gibt von sich selbst so viel preis, wie man es selbst für richtig hältst. Sauer wärst du auch, wenn jemand anderes alles über dich preis gibst.
Selbst wenn es Informationen sind, die du selbst vielleicht offen legen würdest.
Es geht ja um das Prinzip des Vertrauensbruch.
JeWe)
JeWe
Am 20.10.2017 um 12:28
Zum einen das, zum anderen wurden ja nicht "nur" ein paar Informationen geleaked, sondern, dem Artikel nach zu urteilen, eine Raubkopie des Games ins Netz gestellt. Das ist imo nochmal ein andere Hausnummer. Andererseits konnte man meines Wissens auch das erwähnte Pokemon Mond vor Release im Internet finden.
Buttergebäck)
Buttergebäck
Am 23.10.2017 um 01:53
@ Matthew1990: Natürlich können sie rechtlich gesehen mit ihren Informationen umgehen wie sie wollen. Was ich sagen wollte war nur dass man sicher viele Spieler vor den Kopf stößt, wenn mann ZU VIEL verrät, und im Fall von Pokemon Sonne/Mond wurde dieser Fehler in meinen Augen in besonders krasser Weise begangen.

Und die Entscheidung, bis auf Weiteres erstmal keine Testmuster mehr auszuhändigen finde ich ja völlig korrekt, darüber streite ich ja gar nicht.
the_Metroid_one)
the_Metroid_one
Am 22.10.2017 um 12:41
Keine Absolution, Nintendo mal wieder mit einer hirnlosen Entscheidung. Würde man nicht jedem pseudoberühmtem Kind Codes geben, gäbe es dieses Problem nicht. Und jetzt müssen genau die Leute büßen, die alles richtig machen.