NplusX-Retrospektive: Legendäre E3-Auftritte - Nintendo 2006
E3 – das ist, wenn sich erst alle freuen; und dann enttäuscht sind. Diese Faustregel greift nur allzu oft, vor allem in Bezug auf Nintendo. Einerseits schart der japanische Traditionspublisher besonders langjährige, treue, glühende, aber auch anspruchsvolle Fans um sich. Andererseits legt er nicht viel Wert darauf, ihre Erwartungen zu erfüllen. Nintendo und seine Fans verbindet eine Hassliebe, vor allem auf der E3. Und einer der Ursprünge dieser Hassliebe findet sich im Jahr 2006.
"Thanks to all of you who have given us positive feedback. Both of you."
Schon zwei Wochen vor seiner großen E3-Pressekonferenz hatte Nintendo angekündigt, wie seine neue Konsole heißen wird: Wii. Das Wort Shitstorm kannte damals noch niemand, denn Social Media gab es noch nicht, und doch muss man das Echo auf die Namensgebung als solchen bezeichnen; gerade, weil das Wort, gesprochen, in den USA eine unappetitlich konnotierte Nebenbedeutung hat. Doch die Ankündigung zwei Wochen vor der Show war geschickt. Zur großen Enthüllungsshow am 9. Mai 2006 war der erste Furor schon wieder verraucht und Nintendo konnte in Ruhe seine Marketing-Botschaften platzieren.
2006 gab es noch eine große Pressekonferenz mit 3.000 Live-Besuchern im Kodak Theatre in Los Angeles; und einen Live-Stream für diejenigen, die schon eine anständige Internetverbindung hatten. „Die nächste Stunde bitte nicht telefonieren, sonst fliege ich aus dem Internet“ – kann sich das heute noch jemand vorstellen?
Es war die Blütezeit von Reginald „Reggie“ Fils-Aimé; die Zeit, die ihn als Gesicht von Nintendo berühmt gemacht hat. Energetisch, aggressiv, auf den Punkt gab sich Reggie in seiner Einleitung. Er konnte sich die Attitüde leisten, denn er hatte eine starke Botschaft im Gepäck. Sehr offensiv machte der Manager klar: Auf dieser E3, mit dieser neuen Konsole, würden Fans keine „Next-Generation“-Konsole sehen, wie sie parallel die Konkurrenz zeigte. Nein, Nintendo werde auf Innovation setzen; Innovation, die alle einbeziehe, anstatt den Großteil auszuschließen. Playing is Believing – so Reggies Leitmotto. Die Besucher sollten die neue Technik ausprobieren, anstatt sie sich nur anzuschauen.
Dieses Leitmotto zog. Nintendo hatte eine Konsole und – vielleicht noch wichtiger – eine Botschaft entwickelt, das die Spieler auf Anhieb verstanden. Schon sechs Monate zuvor hatte Satoru Iwata auf der Tokyo Game Show den Controller der neuen Konsole vorgestellt, die Wii-Remote. Doch bis zur E3 2006 hatten Fans noch kein einziges Spiel gesehen, noch keinen einzigen Beleg dafür erhalten, wie die neue Konsole wirklich funktionieren sollte. Auch an der Front lieferte Nintendo.
Mario, Metroid, Zelda, Wii Sports und ganz neue IPs: Nintendo lieferte
Nicht nur stellte man unter großem Jubel Super Mario Galaxy vor, sondern hatte auch erste Szenen zu Metroid Prime 3 Corruption im Gepäck, präsentierte mit Excite Truck eine neue Marke und begeisterte das Publikum mit Red Steel. Von The Legend of Zelda – Twilight Princess ganz zu schweigen.
Nintendo wagte auf der E3 2006 auch etwas heute völlig Ungewöhnliches: Man zeigte Titel, die teilweise erst Jahre später (oder gar nicht) erscheinen würden. Final Fantasy – Crystal Chronicles: The Crystal Bearers zum Beispiel (erschien letztlich 2009 / 2010); oder Disaster – Day of Crisis, das erst 2008 auf den Markt kam. Project HAMMER brachte es letztlich nie zur Fertigstellung, sah aber schon auf der E3 nicht atemberaubend aus. Selbst die neuen Mario- und Metroid-Spiele sollten erst anderthalb Jahre nach der E3-Konferenz erhältlich sein. Was Nintendo heute so fürchtet, war damals ein Erfolgsrezept: Ankündigungen im weiten Voraus. Fans wussten von Anfang an, dass für die neue Konsole verdammt viele Spiele kommen werden; auch wenn sie letztlich erst viel später erschienen.
Um den Nintendo DS musste sich Nintendo auf der E3 2006 nicht viele Gedanken machen. Das System lief fast wie von allein – obwohl es seinen Zenit noch gar nicht erreicht hatte. Der Nintendo DS Lite stand bereits in den Startlöchern, mit Nintendogs war der erste große Megahit erschienen; die Brain Age-Spiele gab es in Japan schon. Sie würden später maßgeblich zur Öffnung der Plattform beitragen und als erfolgreichste Spieleserie hinter Pokémon für den Nintendo DS in die Geschichte eingehen. 2006 kündigte Nintendo unter anderem The Legend of Zelda - Phantom Hourglass für den Nintendo DS an.
Der Star der E3 2006 und des Jahres 2006 im Allgemeinen waren jedoch weder Mario noch Metroid oder Zelda – sondern die Miis in ihrer Demo-Sammlung Wii Sports. Als Schlussakkord auf der Bühne präsentiert, belegte das Tennis-Minispiel all das, was die Manager in der Stunde zuvor versprochen hatten: Es war simpel, es war anders, es war neu, es sah schon beim Zusehen verdammt spaßig aus. Und es half Nintendo zu einer seltenen Leistung: Nintendo hatte die E3 gewonnen. Das beflügelte den Publisher so sehr, dass er das gleiche Konzept 2012 bei der Vorstellung von Wii U zu wiederholen versuchte - allerdings ohne Erfolg.
Wir haben euch einen Zusammenschnitt der E3-Pressekonferenz 2006 vorbereitet. Eine vollständige und ungekürzte Version der PK findet ihr hier.
Mit Nintendo Switch scheint sich meiner Ansicht nach das Risiko ausgezahlt zu haben, aktuell zumindest weitaus mehr als mit WiiU. Die E³ wird zeigen, ob sie jetzt auch wieder mehr Risiko eingehen, was die Spiele angeht. Sowohl neue Spiele von weniger erfolgreichen/bekannten Marken wie Metroid, Star Fox, Xenoblade oder Project Zero (oder gänzlich neue Spiele wie ARMS) als auch das Brechen von alten Konventionen, wie neuerdings mit Zelda BotW, sind gerne gesehen. Spiele mit dem immer gleichen, bewährten Konzept, wie z.B. das x-te Super Mario Bros., sind zwar auch gerne gesehen, sollten aber imho eher die Ausnahme bilden.